»Wer ist da?«, rief jemand.
»Jetzt!«, sagte ich. Plötzlich standen fünf Männer hinter mir auf, den Bogen in der Hand. Die Pfeile wurden fast aus nächster Nähe auf das andere Boot abgefeuert, als wir dagegenstießen. Männer schrien, Werkzeuge wurden weggeworfen. Ich und fünf weitere Männer enterten das andere Boot mit gezogenen Schwertern, schlugen und hieben zu. Keiner von uns sprach. Die Schreie und Rufe kamen nur von den Piraten. Mehr als einer rettete sich, indem er über Bord sprang. Ich warf den Körper eines Piraten auf eine Ruderbank und rollte ihn dann über die Reling ins Wasser.
»Was geht da draußen vor sich?«, rief eine Stimme von einem Piratenschiff, etwas von der Kette entfernt.
Währenddessen drückten wir mit dem Ruder einen Piraten nach unten, der versuchte, das Boot zu erreichen.
»Was geht da draußen vor sich?«, rief die Stimme erneut, als wir langsam wegfuhren.
»Fort mit euch! Fort mit euch!«, schrie eine verängstige Stimme in der Dunkelheit.
»Rudert rückwärts!«, befahl ich. Dann sagte ich: »Ruhig!« Das Beiboot ruhte auf dem Wasser und schaukelte in der Dunkelheit leise hin und her.
»Wir wissen, dass ihr da draußen seid«, rief ein Kerl in die Dunkelheit in der Nähe der Kette. »Wir sind bewaffnet! Nähert euch auf eigene Gefahr! Gebt euch zu erkennen!«
Ich lächelte, nahm seine Angst wahr. Doch ich gab keine Befehle.
»Gebt euch zu erkennen!«, rief die Stimme.
Wir schwiegen. Ich sah keinen Sinn darin, anzugreifen. Wir hatten nicht mehr das Überraschungsmoment auf unserer Seite und drei Beiboote in der Nacht eingenommen. Dass eine Gefahr an der Kette lauerte, war den Piraten jetzt mehr als bewusst. Sie hatten gedacht, sie könnten ungestraft ihre Arbeit verrichten und hatten herausgefunden, dass wir entschlossen waren, dies nicht zuzulassen.
Wir schwiegen weiter.
»Wir kehren zum Schiff zurück«, sagte die Stimme in der Dunkelheit. »Zurück zum Schiff!«
Wir ließen das Beiboot steuerbord vorbeifahren, nur einige Yards entfernt, dem Geräusch der Ruder nach zu urteilen. Danach ließ ich das Beiboot entlang der Kette fahren, wo ich die Kette untersuchte. An einem der großen Kettenglieder konnte ich eine raue Aushöhlung ausmachen, die entstanden war, als ein Werkzeug sich daran zu schaffen gemacht hatte, ausgehöhlt zu einer spitzen, geometrischen präzisen Spalte, zu eng, um hineinfühlen zu können. Ich tastete zu beiden Seiten an dem Kettenglied und der Spalte entlang. Sie war diagonal, ging auf die Mitte des Kettengliedes zu und war ungefähr einen Inch tief.
»Was ist es?«, flüsterte ein Ruderer, der mich begleitete, hinter mir und zu meiner Rechten.
»Sie müssen hier etwa eine Viertelahn gearbeitet haben«, erklärte ich.
»Wie schlimm ist es?«, fragte er.
»Die Kette wurde geschwächt.«
»Was sollen wir jetzt machen?«
»Wir werden die Kette weiter patrouillieren«, erwiderte ich.
»Hast du das gehört?«, fragte einer der Männer, der mich begleitete.
»Ja«, erwiderte ich.
»Ein Fisch?«, fragte der nächste Mann.
»Taucher, denke ich«, gab ich ihm zur Antwort.
»Was machst du?«, fragte der voherige.
»Kommt in fünf Ehn zu mir zurück!«, befahl ich.
Ich legte meine Waffe mit der Scheide auf dem Boden des Beibootes ab, ebenso meine Sandalen und die Tunika.
»Gebt mir ein Messer!«, verlangte ich.
»Hier«, sagte einer meiner Gefährten. Ich nahm das Messer zwischen meine Zähne und ließ mich leise über die Seite des Beibootes ins Wasser gleiten. Ich trieb im Wasser. Das Beiboot war durch die umhüllten Ruder, deren Holz mit Fell an den Hebelpunkten umwickelt war, fast lautlos; die Ruderdollen waren ähnlich verhüllt. Es bewegte sich von mir weg. Das Wasser des Vosk war kalt und dunkel. Einige Ehn später kehrte das Beiboot zurück und ich wurde an Bord gehievt.
»Hier ist dein Messer«, sagte ich an den Mann gewandt, der es mir geliehen hatte.
»War es ein Fisch?«, wollte ein anderer wissen.
»Nein«, erwiderte ich.
»Das Messer ist klebrig«, stellte der Mann fest, dem ich es zurückgegeben hatte.
Ich spuckte in den Vosk. »Spül es ab!«, wies ich ihn an.
»Wie viele waren es?«, fragte ein weiterer Mann.
»Zwei«, erwiderte ich. »Sie waren nicht geduldig. Sie sind zu früh an die Arbeit zurückgekehrt.«
»Was sollen wir machen?«, fragte einer.
»Zur Tina zurückkehren«, erwiderte ich. »Wir werden unseren Schlaf brauchen. Morgen gibt es Krieg!«
»Ist die Kette kaputt?«, fragte ein Mann.
»Ja!«
»Wirklich?«, hakte er nach.
»Ja«, wiederholte ich.
»Das kann an hundert weiteren Stellen auch der Fall sein«, hörte ich.
»Das denke ich auch«, stimmte ich ihm zu.
»Dann wird die Kette morgen nicht mehr standhalten.«
»Ich denke nicht«, bestätigte ich.
»Vielleicht sollten wir fliehen, solange wir noch können.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Lass die Mannschaft und ihre Kommandeure diesbezüglich die Entscheidungen treffen«, erwiderte ich.
»Hast du die beiden Taucher getötet?«
»Ja.«
»Dann wird Voskjard nicht erfahren, dass die Kette an dieser Stelle geschwächt ist«, fuhr der Mann fort.
»Nein, das werden sie nicht erfahren!«
»Aber es wird noch weitere Stellen geben«, sagte der Mann.
»Natürlich«, stimmte ich ihm zu.
»Es ist unmöglich, die Kette zu beschützen!«, resignierte der Mann.
»Früher oder später, wenn nicht diese Nacht, wird sie durchtrennt werden«, sagte ein anderer.
»Voskjard wurde ausgetrickst«, bemerkte einer der Männer. »Es wird behauptet, dass er kein geduldiger Mann sei!«
»Wir sind keine Matrosen«, sagte ein weiterer Mann. »Bei einer offenen Schlacht auf dem Fluss werden wir kaum eine Chance gegen die schnellen Schiffe des Voskjard haben!«
»Wir haben die Schiffe aus Port Cos auf unserer Seite«, warf ein Mann ein.
»Das sind zu wenige«, vermutete jemand. »Wahrscheinlich werden sie sich sobald die Kette durchtrennt ist, zurückziehen, um Port Cos zu schützen.«
»Falls Voskjard sich mit Policrates vereinigt«, sagte noch einer, »und wenn die Kräfte aus Port Cos und Ars Station weiter zerstritten sind, wird keine Stadt entlang des Flusses sicher sein.«
»Die Piraten werden den Vosk besetzen«, merkte der nächste Mann an.
»Wir müssen fliehen«, warf der vorherige ein.
»Entscheidungen in dieser Angelegenheit können am Morgen, von den Kommandeuren und ihren Mannschaften getroffen werden«, sagte ich.
»Aber einzelne Männer könnten fliehen«, warf jemand ein.
»Ich werde den ersten Mann, der seinen Posten verlässt, töten!«, drohte ich.
»Was für ein Mensch bist du?«, fragte man mich.
»Ich weiß es nicht.«
»Befehlige uns!«, rief ein anderer Mann.
»Wendet!«, sagte ich. »Kehrt zur Tina zurück! Wir werden morgen weiter über diese Angelegenheiten nachdenken.«
»Denkst du, Voskjards Urts würden aufhören, an der Kette zu nagen, weil wir beschlossen haben, uns auszuruhen?«, fragte ein Mann.
»Nein«, erwiderte ich.
»Dann müssen wir an der Kette bleiben.«
»Nein!«
Das Beiboot wendete und fuhr langsam in nördliche Richtung, entlang der Kette. Das Schicksal des Flusses, so habe ich gelernt, liegt nicht am Schicksal der Kette. Wir wurden von den Männern eines Piratenschiffes gegrüßt, als wir nahe daran vorbeifuhren, aber wir reagierten nicht.
»Wir haben keine weiteren Beweise für Arbeiten an der Kette gefunden«, stellte ein Mann fest, als wir uns der Ankerstelle der Tina östlich der Kette näherten; eine einzelne Laterne schaukelte am Vordersteven.
»Vielleicht hat Voskjard aufgegeben.«
»Vielleicht wurde nicht weitergearbeitet?«, mutmaßte jemand.
Читать дальше