Callimachus kam vom Vordersteven, ließ seinen Offizier auf seinem Posten zurück. Er benutzte seinen Helm als Gefäß, füllte ihn mit Wasser und spritzte etwas davon in sein Gesicht.
»Wir haben die Kette verteidigt«, sagte ich an Callimachus gewandt. Er wischte sich sein Gesicht mit einem Tuch ab, das ihm einer seiner Männer reichte.
»Für den Moment«, erwiderte er.
»Denkst du, Voskjard wird sich jetzt zurückziehen?«, wollte ich wissen.
»Nein«, sagte er und drückte seinem Nebenmann das Tuch in die Hand.
»Was werden wir jetzt machen?«, fragte ich nach.
»Ausruhen«, erwiderte er.
»Wann denkst du? Wird Voskjard einen neuen Versuch wagen?«, fragte ich.
»Was denkst du?«, wollte er von mir wissen.
»Heute Nacht«, gab ich ihm zur Antwort.
»So wird es sein!«, stimmte er mir zu.
In der Dunkelheit schlich die Tina langsam die Kette entlang. Das Geräusch der Ruder, die sanft ins Wasser glitten, war fast nicht zu hören.
»Sie sind irgendwo da draußen«, mutmaßte Callimachus.
»Noch immer?«, fragte ich nach.
»Natürlich«, erwiderte er.
Zwei Schiffslaternen, die an Stangen befestigt waren und über dem Bug an Steuerbord- und Backbordseite hingen, warfen ein gelbliches Licht aufs Wasser. Im Licht der Laterne auf der Steuerbordseite war die Kette hier und da oberhalb des Wassers sichtbar, da man die dunklen Kettenglieder an bestimmten Masten sehen konnte; normalerweise jedoch ist sie nicht sichtbar und liegt unter der Wasseroberfläche.
»Still!«, befahl Callimachus plötzlich. »Innehalten!«, rief er leise dem Rudermeister zu, der hinter ihm auf dem Vordersteven stand. Die Ruder der Tina wurden angehoben und halb nach innen gezogen. Das Schiff driftete dennoch weiter in südliche Richtung, entlang der Kette.
»Was hast du gehört?«, wollte ich wissen.
Wir sahen über die Seite des Schiffes zur Kette, die hier ungefähr sechs Inch über dem Wasser hing, und über das Wasser, das im Schein der Laterne flackerte.
»Sie waren hier«, sagte Callimachus. »Da bin ich mir sicher. Komm nicht ins Licht.«
Sofort zog ich mich zurück.
»Es ist hoffnungslos«, sagte er düster. »Sie kommen und gehen, wie es ihnen beliebt und ziehen sich zurück, wenn wir näher kommen.«
»Es gibt fast nichts, was wir dagegen tun können«, erwiderte ich.
»Löscht die Laternen!«, befahl Callimachus. »Wartet! Schilde und Schwerter! Schilde und Schwerter, Männer!«
Fast im gleichen Augenblick, als er die Anweisung gegeben hatte, flogen Enterhaken über die Reling und vergruben sich im Holz. Wir sahen, wie sich die Eisen anspannten, als die Männer an den Seilen hochkletterten. Doch als die dunklen Schemen über die Reling kamen, wurden sie sogleich von schreienden und fluchenden Männern empfangen, die sie mit ihren Schilden zurückdrängten und den Stahl in ihre Körper gruben. Die Piraten waren Beibooten entstiegen, mussten nach oben über die Reling klettern. Welle auf Welle versuchten die Piraten, auf unser Deck zu springen. Doch die Vorteile waren auf unserer Seite. Nur einer erreichte das Deck, und wir warfen seinen leblosen Körper, durchbohrt an Dutzenden Stellen, zurück in den Vosk. Danach zogen sich seine Kameraden zurück.
Callimachus wischte das Schwert an seinem Umhang ab. »Zusätzlich haben sie uns auch noch beleidigt«, grinste er. »Glauben die etwa, wir wären nur Kaufleute, die nicht wüssten, wie man sich verteidigt, um uns so kühn und töricht anzugreifen?«
»Als du einen Mann niedergestreckt hast«, sagte ich, »hast du vor Freude aufgeschrien.«
»Habe ich das?«
»Ja«, bekräftigte ich.
»Auch du hast vor Freude geschrien, als du deine Klinge in den Körper eines Mannes gestoßen hast«, bemerkte Callimachus.
»Das kann nicht sein«, entgegnete ich.
»Hast du aber«, grinste er.
»Daran kann ich mich nicht erinnern!«
»Im Eifer des Gefechts«, sagte Callimachus, »ist es schwer, sich an alles zu erinnern, was stattfindet.«
»Du schienst erfreut zu sein«, fuhr ich fort.
»War ich auch«, erwiderte er. »Auch du, so schien es, warst es.«
»Nein, das kann nicht sein.« Doch ich war verunsichert.
»Aber so ist es«, beharrte Callimachus.
»Ich glaube nicht, dass ich mich selbst kenne«, bekannte ich.
»Du bist ein Mann. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich selbst kennenlernst.«
»Wir waren genauso kämpferisch wie sie«, stellte ich verwundert fest. »So schnell, so böse.«
»So scheint es«, stimmte Callimachus mir lächelnd zu.
Ich schwieg.
Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Ich glaube, wir haben den Männern von Ragnar Voskjard etwas Respekt vor ehrlichen Männern beigebracht.«
»Ja«, erwiderte ich. »Lass es uns so betrachten.«
»Fragst du dich nicht manchmal«, wollte Callimachus wissen, »warum ehrliche Männer, ehrliches Volk, wie wir es sind, erlauben, dass Piraten wie diese existieren dürfen.«
»Warum?«
»Damit wir jemanden haben, den wir töten können«, sagte er.
»Sind wir dann so verschieden von ihnen?«, fragte ich.
»Ich glaube nicht«, sagte Callimachus. »Wir haben mit ihnen viel gemeinsam.«
»Was genau?«
»Dass wir Männer sind.«
»Es ist nicht das Töten«, sagte ich, »denn das Ausführen ist nicht genug.«
»Nein«, stimmte er mir zu. »Die Jagd, das Risiko und das Töten sind gestillt.«
»Man muss aus einem Grund kämpfen«, entgegnete ich.
»Es gibt immer Gründe, damit Männer kämpfen können!«
»Ich bin beunruhigt«, gestand ich.
»Löscht die Laternen!«, befahl Callimachus plötzlich. »Die Piraten könnten noch in der Nähe sein.«
»Lass unser Beiboot zu Wasser«, schlug ich Callimachus vor. »Mit umhüllten Rudern könnten wir unseren Bereich der Kette patrouillieren.«
»Warum sollten wir das tun?«
»Unser Schiff kann, selbst mit erloschenen Laternen, die Kette nicht so still und leise erreichen wie ein Beiboot. Die Piraten an der Kette müssen sich nur zurückziehen.«
»Das Beiboot müsste westlich der Kette sein, damit es sich den Piratenbooten weniger verdächtig nähern kann«, warf Callimachus ein.
»Natürlich«, stimmte ich zu.
»Warum willst du das tun?«, fragte er.
»Na, um die Kette zu verteidigen«, erwiderte ich.
»Tatsächlich.« Callimachus lächelte. »Du hast Blut geleckt«, fuhr er fort. »Du willst mehr!«
»Solche Gedanken sind zu schrecklich, um sie zu haben«, erwiderte ich.
»Ein Schwert muss trinken, bis sein Durst gestillt ist«, sagte Callimachus. Es ist ein goreanisches Sprichwort.
»Ich denke nicht so«, entgegnete ich.
»Betrachte deine Gefühle«, sagte Callimachus. »Findest du, dass du dich so verzweifelt der Kette verpflichtet fühlst und dich daher in ein Unterfangen stürzen willst, das dich in Lebensgefahr bringt? Ist die Motivation jene, dass du lediglich eine gefährliche Pflicht erfüllen möchtest, die niemand dir auferlegt hat?«
»Nein«, antwortete ich.
»Was ist es dann?«
»Ich stand dem Feind gegenüber«, erwiderte ich. »Ich bin begierig darauf, ihm wieder gegenüberzustehen.«
»Das dachte ich mir«, erwiderte Callimachus. »Ich werde ein Beiboot zu Wasser lassen und nach Freiwilligen suchen.«
»Wer ist da?«, rief eine Stimme in der Dunkelheit.
Wir legten die Ruder auf den Ruderdollen ab.
»Bereit«, sagte ich leise zu dem Mann, der mich begleitete. Wir fuhren aus westlicher Richtung auf die Kette zu. Das Beiboot war über die Kette gehoben worden, als die Tina quer gestanden hatte, ungefähr vor einer Viertelahn. Wir waren sogar an Piratenschiffen vorbeigefahren, die sich nur wenige Yards von uns entfernt hatten und auf dem Fluss vor Anker lagen.
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