An der Spitze der Feldkommandantur steht zunächst mit Oberst Friedrich Schumacher als Inselkommandant ein gelernter Soldat. Auch Schumachers Nachfolger sind Militärs. Schumacher wird 1941 von Oberst Friedrich Knackfuß 36, dieser 1944 von Major Dr. Wilhelm Heider, dann als Platzkommandant der verkleinerten Feldkommandantur, abgelöst. Die Außenstelle der Feldkommandantur leitet bis 1943 Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein, dem Dr. Jacob Kratzer nachfolgt. 37Militärischer Ansprechpartner für die Feldkommandantur ist Oberst Rudolf Graf von Schmettow, der Befehlshaber auf den Inseln und damit ranghöchster Wehrmachtsoffizier ist. Schmettow wird 1942 zum Generalmajor befördert. Gegen Kriegsende wird von Schmettow, mittlerweile Generalleutnant, abgelöst und durch Vizeadmiral Friedrich Hüffmeier ersetzt. Leiter der zivilen Verwaltungsgruppe der Feldkommandantur wird zunächst Oberkriegsverwaltungsrat Dr. Gottfried Stein von Kaminski, ihm folgt im August 1941 der schon erwähnte Oberkriegsverwaltungsrat Dr. Casper. 38Auf britischer Seite sind die jeweiligen Insel-Bailiffs – für Jersey Alexander Moncrieff Coutanche, für Guernsey Victor Carey – die wichtigen Gesprächspartner. Für Guernsey sind noch die Vorsitzenden des dortigen sogenannten »Kontrollrats«, des ›States Controlling Committees‹, Ansprechpartner. Das ist zunächst Ambrose Sherwill und nach dessen Deportation John Leale. Coutanche ist auf Jersey ebenfalls noch Vorsitzender des ›Supreme Courts‹. Bedeutsam ist weiterhin noch die Rolle von Charles Duret Aubin, des Generalstaatsanwalts auf Jersey, auf dessen Mithilfe bei der Durchsetzung ihrer Verordnungen die deutschen Invasoren angewiesen sind. Auf Alderney gibt es für die Feldkommandantur 515 keine direkten britischen Ansprechpartner, befindet sich die entvölkerte Insel doch komplett in der Hand von Wehrmacht und SS. Die Interessen von Sark hingegen vertritt die selbstbewusste Lady Sibyl Hathaway, die ›Dame of Sark‹, die gern deutsche Offiziere auf ihrem Anwesen empfängt und mit ihnen geistvolle Gespräche führt. Sark und Alderney gehören zum Verwaltungsbereich von Guernsey und liegen so auch noch im Einflussbereich Victor Careys und der Vorsitzenden des dortigen Kontrollrats.
Rasch machen sich die Mitarbeiter an die Errichtung eines deutschen Besatzungsregimes. Vermutlich auf Anordnung Hitlers, der auf britischem Gebiet eine Art zivilisiertes ›Vorzeigebesatzungsregime‹ einrichten möchte 39, verhalten sich die Deutschen gegenüber den Inselbewohnern zunächst so zurückhaltend wie möglich. Allerdings gilt dies nicht für die kleine Gruppe jüdischer Inselbewohner, mit deren Verfolgung die Feldkommandantur schon im Herbst 1940 beginnt. Im Oktober werden die ersten Verordnungen gegen die jüdischen Einwohner erlassen. Die englischen Inselbehörden rufen die jüdischen Mitbürger auf, sich registrieren zu lassen. Die Inselparlamente von Jersey und Guernsey bestätigen im November die antisemitischen Maßnahmen. 40Die Inselbewohner müssen im November ihre Funk- und Radiogeräte abgeben. Außerdem müssen sich die Bewohner registrieren lassen. Die dabei entstandenen ›Occupation Registration Cards‹ sind überliefert und bis heute eine wichtige Quelle zur Erforschung der Besatzungszeit.
Die Deutschen reagieren mit den Registrierungen auf ein gescheitertes britisches Kommandounternehmen, in dessen Verlauf einige englische Soldaten als Spione auf den Inseln landen wollten. Widerstand gegen die Verordnung bestrafen die Deutschen mit Haft und im schlimmsten Fall mit Deportation ins ›Reich‹. 41Die ›Geheime Feldpolizei‹ durchsucht die Inseln nach oppositioneller Literatur und beweist auch in diesem Detail, dass die Besetzung der Inseln keine skurrile Posse der Weltgeschichte, sondern durchaus Akt nationalsozialistischer Gewalt und Unterdrückung ist.
Im Verlauf des Jahres 1941 werden weitere Zwangsmaßnahmen durchgesetzt. Die britische Inselverwaltung hilft bei der Verfolgung des jüdischen Bevölkerungsteils, indem sie den Deutschen Namenslisten jüdischer oder auch vermeintlich jüdischer Mitbürger vorlegt. Mit Übereifer werden auch strittige Fälle, bei denen sich die Inselbehörden über den Status der Betreffenden unsicher sind, übermittelt – eine Form der Kollaboration oder Kooperation 42, wie sie ähnlich auch im besetzten Frankreich und im von der Vichy-Regierung kontrollierten unbesetzten Frankreich zu beobachten ist. Die wenigen jüdischen Geschäfte werden nach dem bereits im ›Deutschen Reich‹ seit 1933 erprobten Muster ›arisiert‹, also zu einem lediglich symbolischen Preis an nichtjüdische Käufer veräußert. 43Dass die englischen Inselbehörden nicht mehr oder weniger antisemitisch waren als der britische Bevölkerungsdurchschnitt, darf angenommen werden. Zumindest kann ihnen kein besonderes Interesse nachgewiesen werden, ihren jüdischen Inselbewohnern gegen die deutschen Repressionen zu helfen. Selbst vergleichsweise zaghafte Formen des Widerstands werden durch die Inselbehörden unterdrückt. Als Unbekannte auf Guernsey Churchills berühmtes ›V‹ für ›Victory‹ auf Gebäude malen, lobt Bailiff Carey 25 Pfund für die Ergreifung der Täter aus. 44
Das britische Narrativ vom heroischen Kampf gegen ›Nazideutschland‹ will auf die Zeit der Inselbesatzung nicht recht passen, wie auch Madeleine Bunting feststellt: »What has always made the Channel Islands’ record so important is that it punctures that British complacent assumption of a national immunity to this combination of amoral bureaucracy and anti-semitism.« 45
Im September 1941 verlangt der ›Führer‹ Adolf Hitler die Deportation von Inselbewohnern, allerdings unterbleiben die Deportationen aus ungeklärten Gründen zunächst. Ob hier die Feldkommandantur oder die britischen Behörden den Befehl hintertrieben haben, wie später immer wieder behauptet wurde, bleibt unklar. Eventuell hat auch ein Brand im Führerhauptquartier die Weitergabe des Befehls verhindert. 46Ab November 1941 arbeiten dann 16 000 47Zwangsarbeiter der ›Organisation Todt‹, viele davon aus Russland, aber auch Franzosen, Spanier, Nordafrikaner, unter menschenunwürdigen Bedingungen am Bau von Festungsanlagen, mit denen Hitler die ganze französische Westküste zubetonieren lassen möchte. Die Betonburgen und ihre Geschütze sollen die Inseln in uneinnehmbare Festungen verwandeln.
Therese Steiner, Opfer der antijüdischen Maßnahmen. Sie wird ebenso wie Marianne Grünfeld und Auguste Spitz deportiert und stirbt im Vernichtungslager Auschwitz .
Im Jahr 1942 befinden sich 35 000 Deutsche auf den Inseln, womit auf zwei Inselbewohner ein deutscher Wehrmachtsangehöriger kommt. 48Kinos, Buchhandlungen mit NS-Propaganda, Bordelle, Theateraufführungen und eine deutschsprachige Inselzeitung dienen zur Zerstreuung für die kaum beschäftigten Landser. Für viele Deutsche erscheint der Aufenthalt auf Jersey und Guernsey weniger Krieg als vielmehr Urlaub zu sein.
Anders sieht es dagegen auf Alderney und auf den Festungsbaustellen aus. Die SS richtet auf Alderney mehrere Konzentrationslager ein, denen sie zynischerweise die Namen der deutschen Ferieninseln Norderney, Helgoland, Borkum und Sylt gibt. In diesen Lagern werden Zwangsarbeiter, Oppositionelle und Juden gefangen gehalten und misshandelt. Bei unzureichender Ernährung müssen die Gefangenen 12 Stunden am Tag an den Festungsbauten arbeiten. Die SS-Wachmannschaften prügeln wahllos Insassen zu Tode. Gefangene, die an Tuberkulose erkranken, werden erschossen. Viele Lagerinsassen sterben an Unterernährung und Auszehrung. 49
Hans Max Freiherr von Aufseß ist als Kriegsverwaltungsrat seit Januar 1942 Stellvertreter Caspers in der Feldkommandantur 515. Im September des Jahres werden doch noch die ersten Inselbewohner in die deutschen Internierungslager Biberach, Laufen, Dorsten und Wurzach deportiert. 50Die Behandlung in den deutschen Lagern, welche die britischen Deportierten erfahren, ist allerdings wesentlich rücksichtsvoller als jene, wie sie die von der NS-Propaganda als ›slawische Untermenschen‹ bezeichneten russischen Kriegsgefangenen oder gar Juden erleiden müssen. In der kruden nationalsozialistischen Ideologie sind die britischen Gefangenen zwar Feinde, aber zumindest ›rassisch‹ nicht ›minderwertig‹. Dennoch sterben knapp 50 Inselbewohner in den deutschen Lagern. 51Weitere Deportationen folgen im Dezember 1942. Am 21. April 1942 werden die drei jüdischen Ausländerinnen Auguste Spitz, Marianne Grünfeld und Therese Steiner – Grünfeld ist Polin, Spitz und Steiner stammen aus Österreich – deportiert. Sie sterben später im Vernichtungslager Auschwitz. 52
Читать дальше