In Briefen, die von Aufseß nach 1945 von den Kanalinseln erhält, wird aber deutlich, dass er sich durchaus im Rahmen seiner Möglichkeiten um die Bedürfnisse der Inselbewohner bemüht hat und dabei auch Erfolge erzielen konnte. In einem Brief einer Inselbewohnerin vom 2. Januar 1947 an den Freiherrn heißt es: »I shall never forget your great effort in 1945 in trying to give us civilians our vegetables when that detestable Nazi admiral did his best to starve us all.« 98Edward Le Quesne, Präsident des ›Committee of public health States of Jersey‹, schreibt an von Aufseß im November 1947: »As minister of Labour during the whole of the Occupation of the Islands I can bear witness to the moderation you showed in putting into operation the orders of your superiors.« 99
Doch ist Sanders’ Einschätzung ebenfalls zutreffend. In der Tat findet von Aufseß neben der mit begrenzten Kompetenzen versehenen Verwaltungstätigkeit viel Zeit für Gespräche, Frauenbekanntschaften, Ausritte oder entspannte Stunden am Strand. Im Auftrag der Feldkommandantur 515 gibt der Freiherr sogar einen Bildband mit dem Titel ›Bilderbogen‹ 100über die Kanalinseln heraus. Die Texte und Bilder stammen vom Freiherrn, der dafür viele Stunden müßig über die Inseln gezogen sein muss. Das Buch erreicht drei Auflagen und wird in insgesamt 36 000 Exemplaren ausgeliefert. Nach Kriegsende ist es ein gesuchtes Souvenir englischer Soldaten. Sogar Adolf Hitler soll ein Exemplar erhalten haben, wie von Aufseß im Oktober 1943 berichtet: »Es wurde vom Chef des Fuehrerhauptquartiers, General Schmundt dem Fuehrer in den schweren Tagen vor Stalingrad im Januar 43 vorgelegt. Trotz des besonderen Interesses des Fuehrers für die Kanalinseln habe er begreiflicherweise keine Zeit dafuer gehabt, denn der Russe habe wider alle Regeln der Kriegskunst eine ungeheure Winteroffensive gestartet, stand woertlich gleich einem Eingestaendnis des Ueberraschtseins darin. (…) Die Engländer auf den Inseln haben es in grosser Menge gekauft und den oeffentlichen Bibliotheken eingereiht, wobei sie zugestanden haben, dass es das beste bisher erschienene illustrierte Buch der Inseln sei. Eine englische Uebersetzung des Textes ist hinzugefuegt worden.« 101Das Buch selbst ist eine unkritische Lobpreisung der Inseln und stellt dabei die deutsche Besatzung als freundliches Idyll dar.
Im Oktober 1943 beginnt von Aufseß mit den Eintragungen in seine Tagebücher. Vor seinen Mitarbeitern hält von Aufseß in diesem Jahr immer wieder programmatische Vorträge, in denen er sich für die schon aufgezeigte Mäßigung im Umgang mit den Inselbewohnern ausspricht, aber durchaus auch Identifikation mit den deutschen Zielen im Zweiten Weltkrieg beweist. So führt er am 15. Juli 1943 unter der Überschrift ›Vom Takt und Rücksichtnahme im Krieg‹ aus: »(…) denn zum totalen Krieg gehört nicht nur die Mobilisierung aller materiellen Güter der Nation, sondern ebensosehr der volle Einsatz aller geistigen, zu denen zweifelsohne als Tochter der Vernunft auch die echte Rücksichtnahme zählt. Wieviel in der Welt schon durch kluge Rücksichtnahme erreicht und wieviel durch ihr Fehlen zerstört wurde, darüber ließen sich Bände füllen. Wir Deutschen, die wir heute zur Lenkung und Verteidigung des Schicksals der europäischen Völker berufen sind, müssen uns dies besonders klar vor Augen halten. Denn so wenig die Waffen allein uns zum Siege bringen werden, so wenig wird uns die blosse Gewalt die Vormachtstellung in Europa sichern. (…) Wo es die Verteidigung und die höchste Ausnützung des Landes für den Krieg bedingt, gibt es natürlich keine persönliche Rücksichtnahme. Für wen soll es aber z. B. gut sein, dem Engländer sein Tennis- und Golfspielen zu verbieten, wenn er die ganze Woche für uns gearbeitet hat. (…) So muss sich die deutsche Geradheit mehr in Geschmeidigkeit wandeln (…). Es wird dann nicht mehr die Rede vom taktlosen oder rücksichtslosen Deutschen sein. Dem Augenblick nur immer richtig angepasst, müssten wir sogar mit unseren guten Grundeigenschaften allen wahrhaft überlegen sein.« 102Ähnliche Gedanken formuliert von Aufseß in einem Vortrag im August 1944. Der Vortrag trägt den Titel ›Die Kanalinseln im Belagerungszustand‹: »Wir handeln hier als Besatzungsmacht auf rechtlicher Grundlage. (…) Alles, was hier geschieht, steht unter der Glasglocke der Weltöffentlichkeit. Unser Handeln wird nicht nur als ein Verhalten der Deutschen in einem besetzten Staat schlechthin gewertet, es hat auch eine unmittelbare Auswirkung auf die weit grössere Anzahl von Deutschen, die unter englischer und amerikanischer Herrschaft lebt. Nicht dass wir deswegen in unserem Handeln vom Urteil der anderen abhängen (…). Aber es gibt eine Bindung an das Recht und eine Rücksichtnahme aus Vernunft, deren wir uns bei allen Handlungen bewusst sein müssen. (…) Als Grundsatz des Rechts einer Besatzungsmacht gilt die Erhaltung des fremden Volkes. Man muss die fremde Zivilbevölkerung leben lassen und ihr nicht das Letzte nehmen. Dieser Grundsatz wurde von Herrn General Schmundt bei seinem Besuch der Kanalinseln als ausdrücklicher Wunsch des Führers bestätigt. Der Militärbefehlshaber in Frankreich, General von Stülpnagel, der Befehlshaber Nordwestfrankreich, General Vierow und General von Mühlendorf vom AOK VIII haben endlich wiederholt der hiesigen Militärverwaltung zum Ausdruck gebracht, dass für die Bedürfnisse der englischen Zivilbevölkerung in ausreichendem Mass gesorgt werden müsse.« 103
Bei allen Appellen zur Mäßigung scheint aber auch dieser angeblich so moderate Besatzer von Aufseß nicht frei von Herrenmenschenallüren gewesen zu sein. Joe Mière, damals 15 Jahre alt, berichtet von einer Begegnung und charakterisiert den Freiherrn ausgesprochen negativ. Mière arbeitet in einem Hotel, das deutschen Offizieren als Unterkunft dient. Er hat schwer zu tragen, als ihm von Aufseß begegnet: »We start to cart away the plates from the plant room which was at the back of the Hotel through a very narrow passage leading to the roadway. We had to wear gloves, because there was still acid dripping from the plates (…). On one trip I was half way down the long narrow passage when a German officer started to come in the passage from the roadway. He told me to go back so that he could pass up the passageway without the plates that were still dripping acid splashing his very highly polished boots. The plates were very heavy, so I did not feel like retreating back up the passage. I told him to pass me and I did try not to let the wet plates touch his boots but my hand slipped and one of the plates did touch his boots. He went mad, and like all the so-called master race, he started to shout in English, but mostly German. Curly came along (his mother was German so he spoke German like a native). He tried to calm the officer down who was still shouting and laying down the law to me. Curly translated what the officer was going on about. He told me that he would have me arrested the next time I caused any trouble and if his high boots were damaged I would have to pay for a new pair (…). Curly told me later (…) that the officer was Baron von Aufsess (…). I was only just over 15 years old at this date and thought what a bully this Baron was, and made a note in my mind to remember his face and keep out of his way.« 104Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte lässt sich heute nicht mehr überprüfen. Das Bild eines cholerischen Offiziers, der nicht zögert, einen Jugendlichen wegen einer Kleinigkeit mit seiner ungesetzlichen Machtfülle zu bedrohen, ist jedenfalls überaus unsympathisch und gegensätzlich zu dem Bild, um das von Aufseß nach 1945 so bemüht war. Die auch an anderer Stelle bezeugte Eitelkeit des Freiherrn wird in der Anekdote Mières allerdings deutlich illustriert. Auch eine weitere Begegnung Mières mit von Aufseß nimmt nicht für den Freiherrn ein: »The next time I saw this German baron was in January 1944 we were up Westmount and in passing helped an old couple to cut the branch off a pine tree. A German staff car pulled up and out came two officers, one of them was the German Baron von Aufsess. We made a run for it up towards the old football field. As we looked back we saw the Baron was taking the old couple’s identity cards away from them.« 105
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