Der Oberst ließ sich von mir zu allem leiten und wenn niemand nach mir herein kommt, gelten auch meine Vorschläge. Oft berechne ich auch die möglichen späteren Einflüsse und es gelingt mir sie auszuschalten. Ich kenne ihn viel zu gut in all seinen eitlen Schwächen und, wenn ich nicht mein Ziel für richtig hielte, müßte ich [28] über die raffinierten Mittel der Beeinflussung mich für schmutzig halten. Die Notwendigkeit der Ausweisung der B. 44aus verschiedenen Gründen war mir klar, obwohl die Folgen sehr hart 45sind. Die B. hatte persönlich bei ihm vorgesprochen und ihn für ihr Bleiben erweicht. Ich trug dem Oberst die objektiven Gründe für eine Ausweisung vor, verschwieg dagegen die subjektiven, die in ihrer Person lagen, denn ich wußte ja, daß er darin umgestimmt worden war von ihr. Ich verließ ihn mit dem Resultat, daß sie aus Menschlichkeitsgründen bleiben könne, im Grunde war er nur von der hübschen Person 46bestrickt [29] worden. Nach mir schickte ich Herrn K. zu ihm in einer anderen Angelegenheit und nebenbei erzählte dieser nun, wie die B. es dick mit allen Männern treibe und verschiedene Offiziere eingefangen hätte 47. Ich hatte das in Vorbedacht nicht selbst gesagt, denn er hatte sie reizend gefunden und hätte von mir nicht gern gehört, daß er sich hier gründlich getäuscht hatte. Der Erfolg war, daß er sofort zu mir schickte und nun doch plötzlich für die Ausweisung war. Er war nicht belehrt und in seiner Eitelkeit verletzt worden, sondern war gleichsam selbstständig auf die Schliche der B. gekommen. Zur Zeit möchte ich ihn in einer mir wichtig erscheinenden Sache beeinflussen, aber ich kenne noch nicht den wahren Grund seiner Ablehnung, sodaß mir die richtigen [30] Mittel zum Ansatz fehlen. Gestern nach dem Essen habe ich die Pferde besucht, die alle im Freien in Boxen standen. Udo kennt mich von Weitem an meinem Schnalzen und spitzt die Ohren, weil ich ihm immer etwas mitbringe. Ich hatte aber diesmal nichts dabei, und ließ mir einen Blechkübel voll Hafer geben. Ich habe ihn reihum an meine Lieblinge vergeben und es gab viel Aufregung, Eifersucht und langgestreckte Mäuler und scharrende Hufe. Dabei zeigte sich, daß jedes Pferd eine ganz andere Maulgröße, Lippenbewegung und eine verschiedene Art von Gier und listiger Anheimsung der immer weniger [31] werdenden Körner hatte. Satan legte die Ohren weit zurück und sein Ausdruck bedeutete gleichzeitig Befriedigung wie auch Abwehr gegen Einmischung seiner Nachbarn, Pferdeköpfe sind wundervoll ausdrucksvoll und gute langschädelige Menschenköpfe gleichen ihnen oft nicht wenig.
Der Hengst »Satan«, mit dem von Aufseß Ausritte unternahm. (Foto: H. M. von Aufseß)
Wir waren in einem englischen Film: Dr. Auerbach hat dazu angeregt und ihn so gelobt, daß er sich schließlich verpflichtet zur Teilnahme fühlte. Ich meinerseits hatte den Oberst und die Wedelschwestern zur Teilnahme mit veranlaßt und so durfte also keinesfalls ein Reinfall eintreten. Es handelte sich um eine Geschichte aus der englischen Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts. Ein Dichter und eine Dichterin lernen sich durch ihre Sonette kennen, die draus entstehende Liebe heilt die gelähmte Frau und die Tochter verläßt das Haus des egoistisch [32] sie liebenden Vaters, das Stück war getragen von 2 reizenden Schauspielerinnen und hatte große Feinheiten und einen geschickt bemessenen Wechsel zwischen heiteren und ernsten Szenen. 48Vor mir saß Heidi, neben mir flüsterte mir Dr. A schwer verständliche Sprachstellen übersetzend zu. Heidi beugte sich dabei zurück und nahm auch oft die hastigen Bemerkungen auf. So war sie ganz gestraffte Aufmerksamkeit nach beiden Seiten und vor dem Bild der Leinwand und der sympathischen hübschen Schauspielerin selbst ein mitspielendes Wesen. Oft sah ich auf sie, auf dieses hellwache, lebendige schöne Mädchen in der Halbdunkelheit der Loge, das auf jedes Wort anspielte und ein kluges und sensibles Geschöpf in einer ungewohnten neuen Nähe und Ansprechbarkeit für mich darstellte. Die Anwesenheit zu vieler Kinder brachte Lachsalven an rührend verkehrten Punkten [33] und auch der Oberst saß in einer Weise in seiner Ecke, daß man ihm die fehlende Beteiligung deutlich anmerkte. Tragik u. Seelengröße sprechen ihn nicht an, denn er ist für die mittleren praktischen Lösungen in allen Dingen und darin liegt auch viel Geschick und Verdienst von ihm.
Wir fuhren – Pelz 49, Kriegsgerichtsrat und ich – Heidi in ihr Soldatenheim nach Hause u. besuchten draußen eine schöne große Farm, um zu entscheiden, ob der Pächter gegen den Willen der Verpächterin verbleiben sollte. Die alte 84jährige [Dame] Lady Vernon 50empfing uns in dem sehr englischen Landhaus am Kamin, daß mir alles wie die Fortsetzung des soeben gesehenen Films vorkam mindestens im Milieu der Einrichtung und des Geschmacks. Danach kehrten wir bei Heidi im Soldatenheim ein.
Es war reizend aber einfach vorgerichtet. Die [34] Extrasachen aus besonderen Schubladen, die es bei anderen Schwestern gibt und die man eigentlich nur mit schlechtem Gewissen gegenüber dem einfachen Soldaten annehmen kann, unterbleiben unangenehmerweise. 51Wir unterhielten uns vergnügt. Ich habe das stete Bestreben, in der Unterhaltung nie zu gewichtiges Ernstes zu sagen, mehr zu spielen und am liebsten ganz gegenwärtig und vergnügt zu sein. Es kommt mir nicht auf philosophische Gespräche als vielmehr auf eine phil. Einstellung an. Nun gibt es aber seltener Menschen, die einen im inneren Bestreben so ähnlich sind, daß man sich plötzlich mehr aufdeckt und bekennt. Wenn mich Heidi mit ihren blauen klaren Augen voll Sagens und träumerischen Ernsts etwas fragt, denn wäre mein Scherzen eine zu billige Antwort gewesen. Denn sie ist nicht ein Kind und nicht unreif in der Frage, die sie stellt, sondern eine geistige Per- [35] sönlichkeit steht dahinter und die gute Stirne, die feine Nase und die klaren Augen sind der Tempelsitz hiervon. Gleich reagiert sie auf die Antwort herrlich richtig und findet fehlende Worte und Vergleiche dazu. Ich komme manchmal nicht davon ab, sie gegenständlich als etwas ungeheuer richtig und Wohlgelungenes zu betrachten, an dem ich meine reine Freude habe, wie an einem edlen Kunstwerk. Nur lebt dies alles und erwidert und ist beweglich folgend und hat eine eigene Seele und seine Gefühle und Hoffnungen und Sorgen. Ja müßte meine seltsam starke Berührung durch sie nicht auch eine Erwiderung in ihr finden. Ich werde mich nie verraten und sie auch niemals ausfragen. Ich beherrsche meine Sinne und meine Worte so sehr wie sie die ihrigen. Ich liebe meine Frau und ich werde nie etwas zerstören oder auch nur stören, was [36] unsre Ehe oder die offene Zukunftsbahn von Heidi berühren würde. 52Beherrschte Leidenschaften sind Tugenden heißt es irgendwo. 53Jetzt, wo ich dieses nachsage komme ich mir unangenehm brav moralisch vor. Bin ich immer so beherrscht und müssen Leidenschaften sich immer gleich wie tobende Stiere gebärden? – Diese fürchte ich nicht, aber sind es nicht die stillen Passionen, die sich ansammeln und eines Tages überbrechen, die gefährlichen? –
Es sind nun schon wieder viel zu viel Tage verflossen, ohne daß ich zum Schreiben kam. Nie mehr kann ich alles so nachholen und ich versuche das Wesentliche nur noch nachzuholen.
Am Mittag vor der Abreise nach Paris fuhr ich mit Pelz zu Heidi hinaus, um [37] Bilder von ihr zu machen. Sie saß erst neben mir am Tisch und der gut gelaunte Pelz brachte an sich die besten Voraussetzungen, um bei aller Natürlichkeit die ersten Versuche zu machen. Aber welches sensible Geschöpf ist schon Heidi. Jeden Augenblick anders und von einer entzückenden Spanne vor jedem festhaltenden Blick der Kamera. Also gingen wir in das Freie. Aber nun durfte ich auch nicht mehr vom Photographieren reden, wenn es nicht den schönen Tag unter einen einzigen unbeliebten Zweck setzen sollte. Es war ein greller Sonnentag mit hellen weißen Wolken und einer weiten Fernsicht, ein frischer Wind blies aus dem Wasser, ein idealer Tag zum Photographieren. Heide nahm ihr klösterliches Häubchen ab und [38] nun flatterten ihr wild die gelockten dunklen Haare um den Kopf. Jeder Augenblick bot neue reizvolle Bilder. Ich war so entzückt von den entzückenden Bewegungen und dem Aussehen, daß meine Kamera nur schwer nachkommen konnte. Wenn mich bisher ihr Wesen stark angezogen hatte, so hat mich diesmal ihr Aussehen völlig betört. Nach lustigem Herumklettern über den senkrechten Küstenabfall zum Meer fuhren wir noch auf dem Meeresgrund 5 Seemeilen weit durch die Aubinsbucht 54. Es war ein glücklich schöner Nachmittag voll Lebenslust, Freude und versteckter Verliebtheit.
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