St. Brelade's Bay auf Jersey (Aus: von Aufseß, Ein Bilderbogen von den Kanalinseln)
17. [10. 1943]
Wer ist nun die Anziehendere der beiden Schwestern Wedel? Ich weiß es nicht, ich liebe sie beide gleich und es könnte mir wie in heißen Jugendtagen gehen, wo ich mich in die beiden Schwestern [ unleserlich ] verliebte und die eine immer auf die andere wartete, bis ich sie beide wieder verküßte. Damals liebte ich sie sogar nur alle beide zusammen, eine allein war mir sofort langweilig.
Ich fuhr mit dem Rad in das entferntere Soldatenheim in der Brelades bay 33hinaus und wir plauderten 2 Stunden, die sich Schwe- [18] ster Heidi 34freigemacht hatte. Sie hat die gleiche gute Rasse und famose Erziehung, aber sieht bis auf die große schlanke Figur doch ganz anders aus. Ihre Augen sind kleiner, bestimmter und realer. Sie ist klüger, ruhiger, reifer, hat nicht das Fliehende in sich, sondern stellt einen klaren faßbaren Mittelpunkt dar. Während die andere einen prachtvollen Tänzer und Reiteroffizier heiraten könnte, ist diese für einen Juristen, Gelehrten oder Professor bestimmt. Marie reißt mit, Heidi zieht an. Marie macht zu viele Seitensprünge Heidi zu wenig. So ist die eine dynamisch, die andere statisch. Bei aller Ähnlichkeit ist daher doch ein großer Unterschied und da beide äußerlich gleich hübsch und rassig ist die Entscheidung schwer. Meiner Natur [19] läge im Ende doch mehr Heidi. Ich bin nicht passionierter Jäger genug, um mein Leben lang Wild zu jagen. Im übrigen bin ich viel zu gut verheiratet 35, um dieses Problem mich beschäftigen zu lassen. Aber es geht doch ein starker Ausstrom gegenseitig aus. Alle Ehelichkeit in Ehren, die Strahlungen sind da und sie sind ungeheuer stark, aber unsre gute Erziehung und unsre Selbstdisziplin sind ja immer noch größer. Es werden schon alte Gedanken einer Annäherung weit abgewiesen, so weit jedenfalls, daß sie nicht schaden und nur die angenehme Wärme eines Flirts davon ausgeht.
Der General 36rief mich an und wollte mit mir den Abend verbringen. Leider bin ich schon beim Oberst eingeladen.
18. 10. [1943]
Dr. Auerbach war beim Oberst miteingeladen. [20] Dadurch war schon der Abend gerettet. Wir ziehen den kleinen sächsischen Kriegsgerichtsrat 37mit seinem praktischen Sinn für die kleinen Umweltsdinge auf. Die Wirkung aber ist überraschend. Er zieht vor und aus allen Hosentaschen besonders darin aufgehängte Dinge wie Messer, Schlüssel, Feuerzeug heraus, und erklärt ganz hochgenommen u. begeistert, wie er die Sachen weder verlieren noch sie ihm die Taschen kaputt machen können. Heut beim Frühstück begann er mit einer langen Geschichte, wie er den Abfluß seines Dunges auf den Garten konstruiert habe. Im Eifer beginnt er neben dem Sächsisch noch zu stottern, daß sich die am Morgen noch nicht angestimmten Sinne aesthetisch geradezu empören über dieses botokudische 38Gestammle eines deutschen Zwergstammes.
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31. 10. [1943]
Das Buch lag fast 14 Tage in der Schublade. Die Tage sind zu sehr ausgefüllt 39, um die Arbeit zu erledigen, die Bewegungslust zu stillen, den Lesehunger zu befriedigen, die Natur im Herbstkleid zu genießen und last not least mich mit den entzückenden beiden Schwestern Wedel zu befassen, ganz abgesehen davon, daß Briefe zu schreiben waren, Briefe der verschiedensten Art. Meine geliebte Frau schreibt mir, daß wider alle Erwartung u. Absicht womöglich ein Kindlein aus dem letzten Urlaub sich anmelde. Nun bin ich noch mehr in das Wohl u. Wehe dieses 5ten Kriegsjahres verflochten. Die Auspizien für einen Sohn sind günstig. Ich war kühl. Verstimmungen der letzten Zeit, die übertriebene Geselligkeit in Altaussee hatten mich vorsichtig u. reserviert gemacht. Es sollte diesmal in den kurzen Tagen des Sonderurlaubs sicher keine Enttäuschung geben. Ein wenig teile ich aber den indischen Glauben, daß der mehrliebende Teil das ihm entgegengesetzte Geschlecht herbeizieht u. bestimmt. Außerdem [22] liegt der September auch an meinem Sternbild. Ich bin nicht abergläubisch und weiß nichts. Aber wenn es Ahnungen gibt, so sind sie diesmal für einen Sohn eingestellt. 40Es wird uns ein drittes Kind noch enger zusammenschließen, denn die Überlegungen dazu haben uns manche Verstimmung in den letzten Jahren gebracht. Die große Sorge rund um Marilies und das Kind erfüllen alles in allem mich aber mit einem geradezu fanatischen Willen, mein Leben in dieser gefährlichen und sich in den Grundfesten verändernden Zeit zu beziehen und gut durchzustehen. Ich beginne es mit unendlichen Einkäufen und bin im Päckchenpacken schon ein Meister geworden, wobei ich zugeben muß, daß die handliche Arbeit mich nach langer Büroarbeit geradezu erfrischt. Es fand die Einweihung des neuen Soldatenheimes La Houge statt, das [23] Schwester Heidi als Heimleiterin übernimmt. Ich war mit Oberst geladen. Eine Menge Offiziere stand am Gang – was fehlt nicht bei einer so [ unleserlich ]haften Angelegenheit – ein steifes Gegrüße begann, eine die erstickende militärische Steifheit voller Rangbewußtsein und Enge beklemmt mich, daß ein revolutionäres indessen wohlverhaltenes inneres Lachen mich ankam. Endlich war alles verstummt an den hübsch gedeckten Tischen. Ausgerechnet saß ich zwischen Schwester H. 41, die ich schon ein halbes Jahr fast ostentativ gemieden hatte, weil sie gar so viel Selbstbewußtsein in ihrem Heim hat und mit ihrem schmutzigen Karpfengesicht nicht mit [unleserlich] eine zu primitive Sinnlichkeit in ein Heim bringt, weil sie außerdem noch auf eine Junge spielt, die ihr nicht mehr zukommt. Jedes Alter verlangt eine gewisse Hal- [24] tung und es steht zu 40 Jahren nicht, was einer 20jährigen erlaubt ist. Wir schwiegen nach mühsamen Redethemen ausgiebig am Tisch. Der Oberst hielt eine ganz nette leichte Rede und ich war froh, daß sie nicht so dürftig wie seine übrigen war. Der General war aufgehalten durch Sturm auch noch auf Jersey. Er bewegte sich mit einer natürlichen Eleganz durch die Runden, die dem Selbstbewußtsein und der Gutgelauntheit eines gutgewachsenen alten Offiziers u. Gentleman entsprang. Auch ohne alle rote Streifen hätte ihm niemand die absolute Führereigenschaft absprechen können. Nach einer Weile ging ich hinaus auf den Gang Schwester Heidi nach, um sie zu begrüßen. [25]
Es war niemand draußen. Sie pustete und schüttelte sich in der entzückendsten Weise und griff mit beiden Händen nach den glänzenden Backen. Eine reizende Vertraulichkeit mir gegenüber lag darin. Ich durfte wie eine Freundin ein wenig hinter die Fassade dieses ihres Einweihungsfestes sehen, das eine große heiße und anstrengende Angelegenheit war. Auf ihre Frage, ob ich die übrigen Räume schon gesehen habe, schwindelte ich und verneinte ich gern und ließ mich von ihr nochmals überall durchführen. Das hätte Marie nie getan, sie hat einen im Trubel eher übersehen und ich glaube, es war eher weniger ihre Kurzsichtigkeit als ihre Geniertheit und Schroffheit, die auch allen ihren Bewegungen anhaftet. – Die Räume waren mit großem Geschmack mit den vor- [26] handenen Mitteln eingerichtet. Es strahlte überall etwas Persönliches aus, wie die Bilder hingen, die Schränke standen u. s. w. Ich wurde gefragt und durfte Ratschläge geben. Es waren entzückende Minuten, so privat beiseitegenommen worden zu sein und in diesen Augenblicken fand von einem menschlich warmen Gesichtspunkt gesehen, die wahre Einweihung des Heimes statt. Ich schrieb Schwester Heidi einen Brief in französischer Sprache darauf, weil man darin graziöser die Wohlgelungenheit des neuen Heimes nochmals nachfeiern konnte. 42Er enthielt nichts Anzügliches – ich würde gegen Heidi nie anzüglich sein, sie verdient nur gerade Offenheit oder völlige Zurückhaltung – es [27] sei denn, daß die Tatsache eines Briefes am gleichen Tag geschrieben auf einer kleinen Insel sich zugesandt etwas Anzügliches enthielt. 43Und so war mir es sehr recht, daß wir später den Brief nie erwähnt haben. Ich vergesse von diesem Tag nicht einen wunderschönen Strauß im Flur aus Heidis Hand und ihr neckisches mich Anlachen mit den beiden Handrücken auf den glühenden Backen.
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