Ebenso machte es Sinn, angeborene Lösungsmöglichkeiten zu besitzen, um diesen Gefahren zu entkommen. Natürlich geht das durch den Verstand, doch unser Denken ist verhältnismäßig langsam. Viel schneller arbeiten unser Unterbewusstsein und unsere Reaktionen. Und Schnelligkeit kann Leben retten. Wenn wir etwa stolpern und hinfallen, liegen wir schon auf der Nase, bevor wir bewusst nachdenken können, was eigentlich geschehen ist. Glücklicherweise hat unser Körper automatisch reagiert und uns so hinfallen lassen, dass uns meist nichts passiert ist. „Fall nicht hin“, sagen wir häufig sorgenvoll zu kleinen Kindern. Aber sie fallen dennoch immer wieder und meist geschieht ihnen nichts. So üben sie diese automatischen Körperreaktionen bis zur Perfektion. Erst im Alter, wenn unsere Muskeln und Gelenke nicht mehr so beweglich sind, können sie nicht mehr so flink die automatischen Befehle des Unterbewusstseins ausführen. Dann kommt die Zeit der Knochenbrüche, insbesondere der Oberschenkelhalsbrüche. Grundsätzlich sind unsere angeborenen und automatischen Reaktionsweisen in Gefahrensituationen jedoch eine gute Sache für unser Leben und unsere Gesundheit bis ins hohe Alter.
Begeben wir uns zurück in eine Zeit, in der unsere Vorfahren noch als Steinzeitmenschen in den Savannen Afrikas lebten. Oder noch weiter zurück, als wir als kleine mäuseartige Säugetiere in einer von Dinosauriern beherrschten Welt überleben wollten. Vielleicht noch weiter zurück als kleines Tier, das einmal der Vorfahr aller Wirbeltiere werden würde. Was hatten diese Wesen nun für ein Rüstzeug, um aus Gefahrensituationen lebend davonzukommen? Was konnten sie tun? Nun, die Evolution hat uns gleich mit drei Strategien ausgestattet. Dreifach hält halt besser. Es sind Flucht, Angriff und Erstarrung.
2.1 Flucht
Wir sind ein Steinzeitmensch, vielleicht ein kleiner Homo habilis, der vor eineinhalb Millionen Jahren in der ostafrikanischen Serengeti lebte.37 Mit einem Stock und einem Faustkeil bewaffnet, ziehen wir durch die Savanne, um kleine Tiere zu erbeuten, vielleicht ein Erdferkel oder ein langsames Stachelschwein. Nebenbei sammeln wir und unsere Familienangehörigen Pflanzen und Früchte und suchen nach Aas. Da! Hinter dem Felsen bewegt sich etwas, vielleicht ein kleiner Klippschliefer, eine leckere Beute. Doch nein. Schrecken. Plötzlich und unverhofft starrt uns ein Leopard ins Gesicht, nur zwei Meter vor uns. Seine großen stechenden Augen fixieren uns. Seine starken Muskeln sind zum Sprung bereit, seine weißen großen Reißzähne leuchten uns entgegen. Höchste Gefahr. Lebensgefahr, wir sind dem Tode nahe. Jetzt muss alles ganz schnell gehen; sonst werden wir gefressen.
Was geschieht nun in uns? Angst. Panische Angst. Es gibt nichts anderes mehr als Angst. Denn nur sie kann nun unser Leben retten. Wir denken nicht, das macht unser Unterbewusstsein nun allein. Es checkt ab, ob wir die Gefahrensituation meistern können. Nein, können wir nicht, ist die Entscheidung in Bruchteilen einer Sekunde. Der Leopard ist stärker als wir. Also läuft automatisch unsere erste Bewältigungsstrategie für Angst an, die Flucht.
In Mikrosekundenschnelle drehen wir Steinzeitmensch uns um und laufen mit aller zur Verfügung stehender Kraft von dem Leoparden davon. Wir laufen schneller als jemals zuvor in unserem Leben. Denn die Angst schaltet unseren ganzen Körper auf dieses einzige Ziel der Flucht. Alle Energiereserven werden freigeschaltet. Adrenalin strömt in unsere Muskeln, sodass wir noch schneller werden. Je leichter wir sind, desto mehr Geschwindigkeit bekommen wir. Also alles raus. Heute würden wir uns in die Hose machen, aber damals liefen wir nackt umher. Das kennen wir heute noch, etwa wenn wir vor einer Prüfung noch schnell zur Toilette müssen, obwohl wir kaum etwas getrunken haben. Oder wenn sich dann plötzlich noch Durchfall einstellt. So blöd das für uns heute ist, für uns als Steinzeitmensch damals erhöhte es die Überlebenswahrscheinlichkeit. Wenn der Magen noch gefüllt ist, kann auch ein Erbrechen Sinn haben. Schlussverkauf, alles muss raus, oben und unten. Leichter werden, schneller werden.
Wer schnell läuft, darf nicht überhitzen, benötigt Kühlung. Also beginnen wir zu schwitzen, Schweiß läuft über den ganzen Körper und kühlt uns. Der Blutdruck muss steigen, ebenso der Puls, um die Muskeln mit genügend Sauerstoff versorgen zu können, den wir durch heftiges Atmen hereinhecheln. Denken hilft bei der panischen Flucht nicht, einfach weg, ist die Devise. Ach, wenn uns dies heute nur nicht bei Prüfungen geschehen würde. Angst in der Prüfung und schon kommt der Blackout und wir wissen nichts mehr von dem, was wir so intensiv gelernt hatten und genau wussten. Hier kommt es her. Denn als die Angst entstand, hatte sie den Sinn, das Überleben zu sichern, von Prüfungssituationen wusste sie noch nichts. Aber da holt sie uns dann heute leider manchmal ein.
Als Steinzeitmensch durften wir nicht eingeholt werden. Wir rennen und rennen, so schnell wie nie, so lange wie nie. Irgendwann sagte uns dann etwas im Inneren, wir sind entkommen. Der Leopard ist weg. Wir haben es geschafft, wir leben. Boah, geschafft. Er ist weg, er ist weg. ‚Ist er wirklich weg?‘, taucht als erster Gedanke des nun wieder einsetzenden Denkens auf. Ja, er ist weg. Wir sind sicher. Alles ist gut. Unser Körper entspannt, das Herz pocht noch heftig, aber nach und nach gehen Puls und Blutdruck zurück, die Muskeln erschlaffen, ein Zittern beruhigt die Nerven und wir sind völlig erschöpft und müde. Ausruhen, hinlegen, schlafen, ist unser Wunsch. Einfach erholen jetzt. Ruhe. Nach ein paar Stunden im Schatten einer Akazie kommen wir wieder auf die Beine. Wir gehen zurück zum Lager und stolz erzählen wir den Familienmitgliedern immer wieder, wie wir es geschafft haben, dieser Bestie heil zu entkommen. Nächstes Mal sind wir vorsichtiger, wenn wir etwas hinter einem Felsen rascheln hören.
Flucht kann also das Leben retten. Und diese Methode wenden wir auch heute gern an. Oft auch in Situationen, die eigentlich gar nicht so gefährlich sind. Bei Prüfungen oder Vorstellungsgesprächen ist es zum Beispiel gar nicht selten, dass manche Personen nicht erscheinen. Sie haben Angst vor der Situation bekommen und so flüchten sie vor ihr. Andere verlassen das Haus, wenn die Schwiegermutter zu Besuch kommt, oder Kinder schwänzen die Schule, weil heute der eine Lehrer oder das schlimmste Fach auf dem Stundenplan stehen. All das sind Formen des Fluchtverhaltens. Halten wir durch und stellen wir uns den Situationen, können trotzdem die körperlichen Reaktionen einsetzen. Wer kennt es nicht! Panik, innere Unruhe, Schweißausbrüche im Wartezimmer des Zahnarztes, vor der Prüfung oder neben Hooligans vor dem Fußballstadion.
Nun gibt es auch viele Menschen, die Angst vor Krankheiten haben, vor Krebs, Demenz oder ansteckenden Krankheiten, Viren und Bakterien. Bloß nicht eine Türklinke anfassen, da kann man sich ja wer weiß was holen. Und wenn doch, schnell die Hände waschen. Überall lauert Gefahr für die Gesundheit. Es kann sein, dass solche Menschen Arzt nach Arzt aufsuchen. Und obwohl die unisono beteuern, dass keine Krankheit festzustellen ist und die Patienten kerngesund sind, glauben diese es nicht. Krank sind sie tatsächlich. Nicht der Körper ist krank, sondern die Psyche. Angsterkrankung. Das ist aber nur die Steigerungsform der Angst vor Krankheit, die wir in normaler Form alle in uns haben. Diese hilft uns, vorsichtig zu sein und gesund zu leben, macht also Sinn und hilft uns beim Überleben. Leider kann man diese normale Angst manipulieren und anheizen. Verbreiten sich etwa Behauptungen über die Gefährlichkeit eines Virus oder Bakteriums und wird dies immerfort wiederholt, so steigt bei fast allen Menschen der Angstpegel. Das merken wir ganz besonders in der Coronazeit. Ein ziemlich normales Grippevirus mit dem wir schon lange Zeit leben, wird plötzlich zum Killervirus erklärt. Dabei war die Grippe 2018 viel schlimmer und hatte hohe Todesraten; in Österreich starben 2.900 und in Deutschland 25.000 Menschen daran.38 Doch da machte niemand Angst. Damals war es eine normale Wintererscheinung, die mit Bettruhe und Vitaminen und einem guten Abwehrsystem von den allermeisten Menschen bewältigt wurde, ohne dass die Angst um sich griff. Das jetzige Virus ist harmloser, es sterben weniger Menschen, aber medial wird Angst verbreitet, und die wirkt bei den meisten Menschen. So wurde die Angst vor einer Coronaerkrankung geschürt.
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