»Guten Tag, ich bin der Trauzeuge des Bräutigams … Aufgrund einiger unglücklicher Umstände konnten meine Frau und ich uns noch nicht für die Trauung umziehen. Wir sind spät dran und möchten hier parken.«
»Ach so, in Ordnung.«
Ich stelle mich an den Straßenrand und steige aus. Alle, einschließlich der Klarinette und des Fagotts, starren mich unentwegt an. Jutta fühlt sich genauso beobachtet und bedeckt ihr Gesicht mit der Hand. Die Posaune trägt ein rotschwarzes Wams, die Große Trommel, eine schöne, etwas reifere Signora, ein vergoldetes Leibchen, einen roten Rock und auf dem Kopf einen weißen Schleier. Das Fagott trägt die typische schwarze Stoffmütze der Sarden und eine Weste aus Widderleder mit der Fellseite nach außen. Nach und nach trauen sich auch die Becken, die Oboen und die Piccoloflöten heran. Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, alle reden so schnell durcheinander, und ich verstehe kein Wort. Ich versuche es mit dem Dirigenten der Kapelle, der mir gerade mit dem Taktstock auf die Schulter klopft und mich anstrahlt. Ich erkläre ihm das Problem mit den Trauringen und der Festtagsgarderobe. Er denkt kurz nach, dann ruft er einen Jungen zu sich und flüstert ihm etwas ins Ohr. Er ist noch nicht fertig, da saust der schon los wie eine Rakete. Dann richtet er den Taktstock auf die Große Trommel, die wieder der Klarinette zuzwinkert. Der Musiker klettert blitzschnell hinten in einen Kleinbus mit der Aufschrift »Banda Municipale«. Es vergehen keine dreißig Sekunden, da kommt er mit zwei dicken, auf Metallbügeln hängenden Gewändern zurück. Sie sind wunderschön, fein genäht und bestickt, eins ist für mich, das andere für Jutta.
»Zieht das an.«
Inzwischen sind sogar die traccas der Brautleute eingetroffen. Ein Karren prächtiger als der andere! Maurizio steigt aus und geht in Richtung Kirche. Giulia bleibt stehen und plaudert mit ihren Brautjungfern, während sie darauf wartet, dass ihr Vater sie abholt, um sie zum Altar zu führen. Unentschlossen stehe ich vor diesen beiden Gewändern.
»Zieht das an!«, beharrt der Dirigent.
Ich sehe, wie Giulias Vater in einem alten Fiat 500 ankommt, aussteigt und mit einem wunderbaren Bukett aus weißen Rosenknospen und Lilien auf sie zugeht. Mir bleibt keine Zeit. Ich reiße der Klarinette das Gewand aus der Hand, verschwinde hinter der Kirche, reiße mir die Hose vom Leib, lege Jacke und Hemd ab, und im Nu habe ich mir das schwarzrote Wams angezogen.
Auf meinem Weg zurück sehe ich, wie die Brautjungfern vor Giulia Aufstellung nehmen, ihr Vater reicht ihr den Arm. Sie wollen gerade die Kirche betreten, als der Kleine von vorhin schweißbedeckt mit einem roten Samtsäckchen in der Hand zurückkommt.
»Gott sei Dank, die Ringe!«
Der Dirigent, der sich an die Ape gelehnt hatte, wendet sich mit einem nicht ganz eindeutigen Blick – ist es ein schelmisches Augenzwinkern oder doch eher Mitleid? – zu mir und trommelt ungeduldig auf den Seitenspiegel; die Posaune bringt einen langen Misston heraus, die Große Trommel und alle anderen Musiker schreien: »AJÒ!«
Ich renne in die Kirche. Gerade spielt die Orgel die ersten Noten des Hochzeitsmarsches von Mendelssohn.
Die Kirche ist gerammelt voll, man glaubt es kaum: Einwohner von Gesturi, Verwandte und Freunde, die aus Rom, den Abruzzen und sogar aus Kalifornien angereist sind. Maurizio steht schon wartend vor dem Altar, von Kopf bis Fuß gegelt und gelackt. Ich hatte mir so schöne Streiche ausgedacht, die ich ihm spielen wollte. Zum Beispiel wollte ich mir gestern Abend einen seiner Schuhe für die Trauung besorgen und mit einem weißen Stift auf die Sohle »Holt mich hier raus!« schreiben. Im letzten Moment hatte ich mir noch überlegt, mich als Braut zu verkleiden, oder dass er nach der Kirche statt seines traccas nur noch unsere kleine Ape vorfinden sollte. Doch jetzt muss ich mich beeilen. Wegen der vielen Leute ist so gut wie kein Durchkommen. Ich kann gerade einmal Giulia ausmachen, die am Arm ihres Vaters sichtlich angespannt langsam vorwärtsschreitet. Die Ärmste, um in dieses alte Spitzenkorsett zu passen, muss sie wohl seit gestern Nachmittag um drei den Atem angehalten haben! Genau wie Maurizio hat sie sich ziemlich herausgeputzt, mit dickem Make-up und kunstvoller Haarpracht à la Lady Gaga. Bosheit mal beiseite, sie ist wunderschön, auch wenn ich ein natürliches Aussehen bevorzuge. Was Maurizio betrifft, so trägt er ein weißes Hemd und darüber ein Leibchen aus scharlachroter grober Wolle, dazu lange weiße Strümpfe. Bis hierhin ist alles noch normal, schauten sie nicht unter einem in der Taille mit einem Ledergürtel zusammengehaltenen kurzen Rock hervor. Was tut man nicht alles aus Liebe! Giulias Vater ist vor Rührung ganz verwirrt, seit sie die Kirche betreten haben. Er konnte sich zunächst nicht mal entscheiden, ob er links oder rechts von der Braut gehen sollte, und beinahe wären die beiden im Gänsemarsch hintereinander hergelaufen wie bei der Silvesterpolonaise.
Maurizios Vater, Onkel Peppo, sieht noch genauso aus wie vor dreißig Jahren, als ich ihn zum letzten Mal getroffen habe. Er steht vor dem Platz auf der Bank links vom Altar, der für mich bestimmt ist, und hält seinen Ehering und den von Tante Clara in der Hand. Offensichtlich hatte er sich schon darauf vorbereitet, dass ich verschollen bleibe. Während wir uns umarmen, raune ich ihm zu: »Ich bin dein Neffe Bruno! Achte nicht auf meine Kleidung, aber wenn du mir nicht glaubst, hier sind die Ringe …« Tante Clara ist in diesen Jahren unglaublich gealtert. Ich hätte sie kaum wiedererkannt. Sie steht ganz allein hinter dem Altar. Ich frage ihn nach dem Grund, und er sagt mir, das sei wegen ihrer kleinen Mimi. Seit man ihr als große Ausnahme erlaubt hat, die Hündin zur Trauung mitzubringen – aber nur wenn sie in der Tasche bliebe und nicht bellen würde –, hat sich die ein wenig sonderliche Tante hier hinten verkrochen, aus Angst, ihre weiße Zwergpudeldame könnte herausspringen. Ich muss aber sagen, dass die kleine Mimi nicht einmal fünf Minuten in der Tasche geblieben ist. Von Kopf bis Fuß mit Schleifen geschmückt wie die rosa Zuckermandelsäckchen, die man bei der Hochzeit verteilt, hat sie die ganze Zeit bei ihrem fürsorglichen Frauchen im Arm gelegen. Tante Clara hat sich keinen Moment von Mimi getrennt, nicht einmal, als das Brautpaar die Ringe getauscht hat. Jetzt haben sich neben dem Haupteingang zwei Carabinieri in Gardeuniform aufgebaut. Ob Giulia heil durch die Kirche kommt, ist nicht klar. Da sie nicht an dreizehn Zentimeter hohe High Heels gewöhnt ist, klammert sie sich ständig an ihren Vater, um nicht zu fallen. Inzwischen habe ich es bis zum Altar geschafft.
Ich dränge mich zu Maurizio, der mich natürlich nicht wiedererkennt und mich für einen von der Kapelle hält. »Psst …« Er achtet nicht auf mich, oder vielleicht will er jetzt auch keine Zeit an einen Unbekannten verschwenden. Er ist ganz in eine leise Unterredung mit Padre Mariano versunken. Vielleicht erteilt ihm der Pfarrer die letzten Ratschläge vor der Zeremonie. Jetzt kommt ein Freund hinzu und gibt ihm einen Zettel. Maurizio wird rot, er weiß, dass es einer dieser »Streiche« seiner Kumpel ist, die ihm peinlich sein werden. Er liest nur ein paar Zeilen und muss prompt laut loslachen. So fassungslos, wie der ehrwürdige Pfarrer schaut, muss es sich um einen unanständigen Brief handeln. Padre Mariano entfernt sich verlegen. Giulia hat endlich den Altar erreicht, nachdem sie auf dem Weg ständig über ihre Schleppe gestolpert ist. Maurizio kriegt sich gar nicht mehr ein. Der Zettel rutscht ihm aus der Hand auf den roten Läufer, und bevor der Ministrant sich hinunterbeugen und ihn mit seiner schmalen Knabenhand aufheben kann, stelle ich meinen Schuh darauf, schnappe ihn mir und lasse ihn in meiner Tasche verschwinden. Maurizios Lachen wirkt ansteckend, so ansteckend, dass es jetzt die ersten Reihen hinter den Bänken für die Verwandten des Bräutigams erreicht hat. Dort sitzen seine Freunde: eine Bande von Spaßvögeln, die ihm wohl jede Menge Blödsinn mit der Botschaft geschickt haben und sich jetzt köstlich über ihren gelungenen Scherz amüsieren. Zum Glück dröhnt Mendelssohn jetzt mit voller Wucht. Maurizio kann sich immer noch nicht beruhigen. Giulia steht jetzt vor den Stufen zum Altar, sie sieht ihn empört an. Was denn? Sehe ich da etwa Verachtung für den Mann, den sie gleich heiraten wird?
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