Schon wieder eine Kostümierung, denke ich verzweifelt in Anbetracht meines verschollenen petrolfarbenen Cocktailkleides. Wo soll ich mich denn hier umziehen? Ich kann mich ja schlecht mitten auf dem Kirchplatz entkleiden! Es ist kurz vor zwölf, die Braut, so sie nicht schon in der Kirche ist, muss jeden Moment erscheinen. Die Ape fällt mir ein – ja, das ist die einzige Möglichkeit, offen wird sie ja hoffentlich sein. So ist es, und ich quetsche mich ins Führerhäuschen, um umständlich meinen Rock auszuziehen. Aber man hat mir leider keine Gebrauchsanweisung mitgegeben, wie ich dieses Gewand anziehen soll, denn zig Knöpfchen reihen sich quer über den Brustbereich, und ich muss erst mal herausfinden, wo vorne und wo hinten ist. In den Rock habe ich mich hineingezwängt und ihn auch schließen können, wenngleich ich die Luft anhalten musste. So, und jetzt das Oberteil über mein T-Shirt! Nein, das geht nicht, das verdreht sich, und ich komme nicht rein. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich obenherum ebenso auszuziehen. Ich komme ins Schwitzen. Jetzt sitze ich da und drehe das korsettähnliche Teil hin und her, stülpe es mir über den Kopf, bleibe darin hängen. Unter größter Anstrengung versuche ich, einen Arm durch den Ärmel zu schieben, geschafft! Während ich den zweiten Arm verrenke, um in den anderen Ärmel zu schlüpfen, fällt mir ein kleiner nasebohrender Junge auf der anderen Straßenseite auf, der mit wachsender Begeisterung meinen Verrenkungen zusieht. Na, das war ja klar, dass das nicht unentdeckt bleiben würde!
Außerhalb unseres Knattergefährts zupfe ich alles zurecht, knülle meine Klamotten zusammen und klemme sie mir unter den Arm. Dann gehe ich los.
Der Kirchhof liegt verlassen da, anscheinend sind alle bereits in der Kirche. Nicht einmal Bruno hat auf mich gewartet! Ich bin enttäuscht. Warum hat er nicht gewartet, um mit mir gemeinsam an der Zeremonie teilzunehmen? Sonst braucht er doch immer für alles viel länger als ich. Einmal muss er auf mich warten, und dann tut er es einfach nicht! Eine Hochzeit ist doch etwas Außergewöhnliches, gerade weil es nicht die eigene ist. Das ist mir auch viel lieber, denn ich ziehe ein solides Bratkartoffelverhältnis vor. Aber eine Romantikerin bin ich doch, und so ist eine Einladung zu einer Hochzeit für mich etwas Besonderes, und da will ich von Anfang an dabei sein. Vor allem nicht alleine. Bestimmt werde ich ein Taschentuch brauchen, wenn sie »Sì!« gesagt haben, und dann möchte ich, dass mich Bruno verliebt anschaut und mir sagt, dass er es schön findet, dass ich so gerührt bin, und wir beide könnten doch wenigstens, wenn wir schon nicht heiraten, eine private Zeremonie mit Freunden veranstalten! Dann werde ich ein zartes »Ja« hauchen und eine weitere Träne vergießen vor Rührung! Pfui Deibel, bin ich eine Kitschjule!
Leise öffne ich das schwere Portal. Ganz still ist es in der Kirche, die voller Menschen ist. Hin und wieder räuspert sich jemand, und man hört das Knarzen der alten Kirchenbänke. Ich recke meinen Hals, um zwischen all den Köpfen irgendwo Bruno zu entdecken. Aber ich sehe ihn nicht. Von der Empore setzt plötzlich Orgelmusik ein, und eine Seitentür öffnet sich, aus der der Pfarrer mit den Ministranten tritt, die eilig verschiedene Kelche und ein Gefäß, in dem sich mit Sicherheit die Hostien befinden, auf dem Altar abstellen.
Nun kann ich auch die Braut erkennen. Sie trägt eine prächtige weiße Tracht mit vielen Blumen und einem langen bestickten Schleier, der nach Handarbeit aus einem anderen Jahrhundert aussieht. An ihrer Seite steht ein Mann, ich nehme mal an, ihr zukünftiger Gatte.
Auch er trägt Tracht. Da er sich nur unwesentlich in seiner Kleidung von den anderen unterscheidet, lediglich sein Hut erscheint mir ein wenig höher, ist es schwer auszumachen, ob er auch wirklich der Glückliche ist.
Fast möchte ich sagen, dass diese männliche Tracht der griechischen oder auch der türkischen ähnlich ist. Der Hut sieht aus wie ein Fes. Ein Zylinder ohne Krempe, der den gesamten oberen Kopfbereich bis zu den Ohren bedeckt. Das Gewand besteht aus einer roten Weste, die mit schwarzem Samt eingefasst ist, und einem schwarzen weiten Rock, der bis zu den Knien reicht und in der Mitte von einem bestickten Gürtel mit reichverzierten Beschlägen gehalten wird. Darunter tragen die Männer eine weite weiße Hemdbluse und eine weiße Pluderhose, die in schwarzen Stiefeln steckt.
Alle erheben sich jetzt, und ich sehe gar nichts mehr außer den Rücken der Hochzeitsgäste.
Die Musik schwillt an, und alle fangen an zu singen. Fremd klingt es in meinen Ohren, auch kann ich nicht ein einziges italienisches Wort heraushören. Ist es Lateinisch oder Sardisch? Die Frauen wechseln sich wie in einem Choral mit den Männern ab. Wunderschöne Stimmen sind darunter. Männerstimmen, fast so hoch im Sopran wie Frauenstimmen. Dann setzen verschiedene Musikinstrumente ein, lange Flöten und Tamburine. Die ganze Kirche bebt unter dieser kraftvollen und fröhlichen Musik. Ich bekomme sofort gute Laune und summe und klatsche mit. Neben mir steht eine ältere dunkel gekleidete Frau und reicht mir eine Stoffrosette mit weißen Bändern, die ich an mein Kleid heften soll. Somit gehöre ich jetzt dazu, ich bin ein Hochzeitsgast! Aber wo ist mein Mann?
Was nun passiert, unterscheidet sich nicht sehr von unserer Tradition. Der Pfarrer feiert eine katholische Messe. Er predigt auf Italienisch, was ich in Teilen verstehen kann, und hält die Messe auf Lateinisch. Andächtig und sehr ernst hören alle zu, beten mit und sagen ihre Sprüchlein auf. Viele Kinder sind auch unter den Gästen, belustigt sehe ich, dass einige Mädel ihre Kommunionkleider tragen.
Jetzt scheint es ernst zu werden für das Hochzeitspaar. Beide knien nieder, und vier Personen stellen sich rechts und links neben sie. Ich traue meinen Augen nicht: Bruno ist wie ein echter Sarde gekleidet, mit Fes und allem Drum und Dran, und steht mit einem Teller in der Hand neben dem Bräutigam. Ich muss ein Foto mit meinem Handy machen und es per SMS nach München schicken, schießt es mir durch den Kopf. Sobald ich den Akku von meinem Handy aufgeladen habe, werde ich Bruno nötigen, sich noch mal in diese Tracht zu quetschen, das ist ja zum Totlachen komisch. In mir gluckst es. Er kann sich ja auch ein neues Autogrammfoto machen lassen, so wie er aussieht, da würden sich seine Fans bestimmt sehr freuen! In Gedanken spiele ich alles durch, bis ich an mir selbst hinuntersehe und mein Aussehen nicht weniger skurril finde. Wir sind wirklich ein großartiges Paar und gehören unbedingt auf die Titelseite der bunten Blätter. Als sardische Witzfiguren erobern wir uns eine neue Karriere!
Einige Ungereimtheiten verhindern einen zügigen Ablauf der Zeremonie. Ich kann leider nicht erkennen, woran die Verzögerung liegt, aber endlich scheinen die Ringe getauscht zu sein, denn Braut und Bräutigam küssen sich, und alle um mich herum zücken ihre Taschentücher. Mist, jetzt hab ich genau das verpasst, was ich doch so gern gesehen hätte. Die Menge vor mir teilt sich, und unter Musik, die von einem vielstimmigen Chor begleitet wird, schreitet Maurizio mit seiner Giulia an mir vorbei. Im Schlepptau ihre Trauzeugen, und als Bruno bei mir vorbeikommt, hakt er mich unter und zieht mich mit nach draußen.
Ein wunderschön geschmückter Karren, den zwei prächtige Ochsen mit verziertem Joch um den Hals ziehen, steht mitten auf dem Platz. Darauf befinden sich ein Sofa und eine Truhe, Körbe mit Silberschalen und diversem anderen.
»Was ist das, tesoro ?«, frage ich meinen Schatz.
» Il dote «, antwortet er mir.
»Und was bedeutet il dote ?«
Aber er kann es mir nicht erklären, und ich reime mir zusammen, dass es sich um die Mitgift handelt.
Das Paar setzt sich auf den Kutschbock, und während die Frauen einen lauten Singsang anstimmen und ich aus lauter Begeisterung mitsinge, setzt sich die Prozession, angeführt von dem Ochsenkarren, langsam in Gang. Die Männer spielen auf ihren Flöten, und Bruno, der sich noch nie durch besondere Musikalität ausgezeichnet hat, schwingt das Tamburin.
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