»Ihre Bemerkung ist außerordentlich treffend, lieber Johnson, ja, ein intelligenter Indianer, innig mit seines Volkes Geistesleben verwachsen und mit unsrer gelehrten Bildung ausgerüstet, könnte als Forscher der Wissenschaft wohl Dienste leisten.«
Mit einem Lächeln sagte Athoree: »Willst du klugen weißen Mann aus Indianer machen, Gutherz? Wird nicht gehen. Sollte
Athoree, als er noch ein Kind war, in Schule gehen zu Bruder Missionar. Sitzen auf Bank in festem Wigwam, singen Lieder, sollen schreiben, lesen in großem Buch, das nicht möglich; alle davongelaufen, alle in die Wälder, lieber mit den Wölfen im Schnee heulen, als sitzen in festen Wigwam vor Buch. Bruder Missionar sehr betrübt, daß laufen fort, aber nicht möglich für Indianer, er in Wald, weißer Mann in Blockhaus oder Stadt.«
»Da hören Sie, Herr Graf, wie schwer es fällt, den roten Leuten unsre Zivilisation mitzuteilen.«
»Ich höre es und bedaure es. Mußten sich die roten Männer nicht sagen, Athoree, daß der Weiße nur dadurch so mächtig ist, Blitz und Donner in seinen Händen führt, Städte baut, ein Dampfroß anspannt, um eine lange Wagenreihe mit Windeseile zu bewegen, du hast ja diese Wunder gesehen und angestaunt, nur weil er seßhaft geworden ist und den Acker baut, und müßte das nicht ein Grund für euch sein, ihm nachzuahmen.«
»Die Bleichgesichter sind klug, reich und mächtig, viel mehr als armer Indianer. Weiße haben alles, der rote Mann nichts. Das alles wissen. Sehen weißen Mann den Acker bauen, das sehr gut, ihm sehr bewundern. Kennen nicht Hunger, nicht Frost, weiße Leute in Ansiedlungen - viel reiche Leute. Indianer andre Farbe, andrer Mensch. Fange du Panther und lege ihm Sattel auf, er wird sterben, aber nicht Reiter tragen - er Panther, nicht Pferd. So roter Mann, er sterben, verhungern, aber nicht Acker bauen, er Krieger, er Jäger - nicht Sattel, nicht Reiter tragen - er sterben.«
»Traurig, Athoree, daß es so ist. Jägervölker haben ihre Zeit und verschwinden, wenn sie sich nicht höherer Kultur zu fügen vermögen. Ein Volk, welches dauern soll, muß den Pflug in die Hand nehmen.«
»Du auch Pflug in die Hand nehmen?«
»Nun, ich gerade nicht selbst, ich bin Soldat,« entgegnete Graf Edgar ihm lächelnd.
»Du Krieger, he? Nicht Pflug in die Hand nehmen? Athoree Wyandotkrieger, auch nicht Pflug in die Hand nehmen.«
»Nun, ich sehe, man kann forthin nicht nur sagen: Stolz wie ein Spanier, sondern auch: Stolz wie ein Wyandot.«
Ermüdung machte sich bei den Reisenden geltend, Heinrich, welcher der Unterhaltung nicht zu folgen vermochte, war schon eingeschlafen, und Michael gähnte bereits, als ob er sich die Kinnbacken ausrenken wollte. Athoree bereitete seiner Mutter abseits ein Lager,
[349] die Männer suchten die ihrigen und bald lagen alle in tiefem Schlafe an dem verglimmenden Feuer.
Nach ungestörter Nachtruhe sah sie der frühe Morgen schon wieder munter. Rasch wurde das Frühstück eingenommen, das Pferd beladen und dann die Reise fortgesetzt.
Edgar hatte im Tageslichte mit hohem Interesse den Ringwall noch einmal untersucht und von neuem die Ueberzeugung gewonnen, daß er hier ein Bauwerk vor sich sehe, welches sicher viele Jahrhunderte alt, sein Dasein einem Volke verdankte, welches eine bei weitem höhere Zivilisation besessen haben mußte, als die Völkerschaften, welche man in diesen nördlichen Gegenden zur Zeit ihrer Entdeckung antraf, deren Bildungsstufe sich im Laufe zweier Jahrhunderte nicht wesentlich verändert hatte.
Schweigend durchzogen sie den Wald. Noch im Laufe des Vormittags hofften sie die Niederlassungen der Ottawas zu erreichen.
Vielerlei Gedanken kreuzten sich in Edgars Kopf. Daß sie möglichen Falles neuen Gefahren entgegen gingen, machte ihm keine Sorge, desto mehr erregte ihn jedoch die Erwartung, endlich Spuren von der so eifrig gesuchten Schwester zu finden. Den Gedanken, daß sie noch unter den Lebenden weilen könne, wagte er nicht zu hegen.
Der Verkehr der auf ihren Reservationen angesiedelten Indianer mit den Amerikanern war ein geregelter und in den Agenturen ziemlich häufiger. Die Indianer empfingen dort die ihnen von der Regierung zugebilligten Unterstützungen und setzten die Erträgnisse ihrer Jagden oder ihres geringen Kunstfleißes dort ab. Alljährlich erschien auch ein höherer Regierungsbeamter, um die Niederlassungen der Indianer zu inspizieren, ihre Wünsche entgegenzunehmen, Klagen anzuhören und Mahregeln zu deren Beseitigung zu treffen, wenn sie als begründet anerkannt wurden. Häufig besuchten auch wandernde Krämer die Dörfer der Ottawas, um Tauschhandel zu treiben. Von Zeit zu Zeit waren Missionare zwischen ihnen tätig, um ihnen das Wort Gottes zu predigen. Ein Teil dieser Völkerschaften bekannte sich auch zum Christentum, doch ging es wohl schwerlich über Aeußerlichkeiten hinaus, und die blutigen Scenen der letzten Tage zeigten deutlich genug, daß der von den frommen Männern ausgestreute Samen noch keine Wurzel gefaßt hatte.
All dies, welches er bei seinen Forschungen über Land und Leute erkundet hatte, ließ den Schluß zu, es sei unmöglich, jahrelang Gefangene solcher Art so verborgen zu halten, daß auch nicht die geringste Kunde davon zu den Ansiedlungen gelangt sei. [350]
Und doch, das Menschenherz ist ein gar eigenes Ding, es entsagt erst im letzten Augenblicke jeder Hoffnung.
Die Unruhe des Grafen steigerte sich, je näher sie dem Ziele kamen.
Während sie durch einige lichtere Waldstellen zogen, erblickte das Auge des vorangehenden Athoree zwei Indianer, welche einige Hundert Schritt entfernt an einem Baume standen und dem Zug entgegensahen.
Der Sohn Sumachs ries den Folgenden zu: »Ottawas,« setzte aber seinen Weg ohne zu zögern fort.
»Wo?« fuhr Michael auf und faßte seinen Kampfstock fester, während seine Augen wild umhersuchten.
Edgar begab sich zu Athoree, und er wie alle sahen nun die beiden Männer, welche auf ihre Büchsen gelehnt dort am Walde standen.
»Was tun wir?« fragte der Graf.
»Schütteln Hände, er guter Freund,« sagte mit einem zweideutigen Lächeln der Sohn Sumachs.
Während sie vorwärts schritten, flüsterte er Edgar noch zu: »Nicht Ottawa dort nach Schwester fragen, nicht nach Miskutake. Sumach überlassen, alte Frau sehr klug.«
»Gut.«
Sie gelangten, ruhig ihren Weg fortsetzend, in die Nähe der beiden augenscheinlich ihrer harrenden Indianer, welche Michael mit Mißtrauen und tiefem Widerwillen anstarrte.
Als sie noch ungefähr zwanzig Schritt entfernt waren, kamen die Männer, welche in eherner Ruhe verharrt hatten, auf sie zu, blieben vor dem Grafen stehen und grüßten ihn mit höflicher Handbewegung.
Graf Edgar erwiderte den Gruß. Der eine der Ottawas, beide waren schon Männer in reiferen Jahren, öffnete die Lippen und fragte in verständlichem Englisch: »Du bist der Dutchmanhäuptling aus Fort Jackson?«
»Der bin ich, Indianer.«
»Amaqua, der Biber, hat uns dir entgegengesandt, dich zu unsern Dörfern zu führen, du bist willkommen in seinem Wigwam.«
Amaqua war, wie Edgar wußte, der Name eines der beiden Häuptlinge, welche mit Kitate nach dem Fort gekommen und von Blackwater entlassen worden waren; da diese von seiner Absicht wußten, die Ottawaniederlassungen aufzusuchen, war es nicht verwunderlich, daß ihm der Häuptling Führer entgegenschickte.
»Es ist sehr freundlich von Amaqua, mich schon auf dem Wege begrüßen zu lassen, und ich danke ihm.« [351]
Der Ottawa richtete seine Augen auf Athoree und fragte: »Du ein Wyanoot?«
»Athoree, der Enkel Meschepesches.«
»Gut, der Wyandot ist willkommen, Ottawa und Wyandots, Freunde.«
Beide schüttelten sich die Hände.
Die Augen der Indianer, welche natürlich den Zug bis in seine kleinsten Einzelheiten gemustert hatten, weilten auf Johnsons auffallender Persönlichkeit und richteten sich dann auf den Iren.
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