„Das darf uns nicht im Geringsten Wunder nehmen,“ konnte er sagen. „Ein Halbwilder ist nie von seiner ungeordneten Lebensweise abzubringen, und im Ganzen ist er für einen Menschen von seiner Abkunft viel civilisirter, als man füglicher Weise erwarten dürfte.“
Fort, zögern wir nicht länger beim Gesang,
Denn mancher steile Pfad steht uns bevor.
Byron.
Mit dem allmähligen Eintritt des Frühlings begannen auch die ungeheuren Schneemassen, welche durch den Wechsel von Frost und Thauwetter und durch wiederholte Stürme eine ungemeine Festigkeit erhalten hatten, dem Einflusse milderer Winde und einer wärmeren Sonne zu weichen. Hin und wieder schienen sich sogar die Pforten des Himmels zu öffnen und ihre milde Luft über die Erde zu ergießen, um die beseelte und die leblose Natur aus ihrem Winterschlafe zu wecken, so daß, wenn auch nur für wenige Stunden, dem Auge die Heiterkeit des Lenzes von jedem Felde entgegen lächelte. Dann übten aber wieder die schneidenden Nordwinde ihren ertödtenden Einfluß auf die Gegend, und schwarze düstere Wolken, welche die Strahlen der Sonne auffingen, ließen den Wechsel um so schmerzlicher empfinden. Diese Kämpfe der Natur wurden täglich häufiger, während die Erde, gleichsam das Opfer des Streites, langsam den heitern Schmuck des Winters verlor, ohne den des Frühlings zu gewinnen.
Mehrere Wochen wurden in dieser unlustigen Weise zugebracht, während welcher die Einwohner des Striches allmählig die Geschäfte des Winters mit den mühsameren der folgenden Jahreszeit vertauschten. Im Dorfe drängten sich nicht mehr fremde Gäste; der Handel, der in den letzten Monaten die Läden belebt hatte, begann flau zu werden; die Landstraßen verwandelten ihre glänzenden festgetretenen Schneerinden in einen fast unwegsamen Koth und ließen nichts mehr von den heiteren und lärmenden Reisenden blicken, die sich den Winter über mit ihren Schlitten darauf getummelt hatten, — mit einem Worte. Alles schien auf eine ge waltige Umwandlung hin zu deuten, welche nicht nur die Erde, sondern auch diejenigen betraf, die aus dem Schooße derselben die Quellen ihres Wohlstandes ableiteten.
Die jüngeren Glieder der Familie in dem Herrenhause, denen man auch Luise Grant beizählen konnte, waren keineswegs gleichgültige Zuschauer bei diesen langsamen und schwankenden Wechseln. So lange der Schnee die Straßen im brauchbaren Stande erhielt hatten sie die Freuden des Winters in reichlichem Maaße genossen, indem sie nicht nur Tag für Tag Ausflüge über die Berge und durch die Thäler, auf zwanzig Meilen hin, machten, sondern auch auf dem Spiegel des gefrorenen Sees viele Gelegenheit zur Belustigung fanden. Richard jagte seine vier Pferde mit Windeseile über die eisige Glasrinde hin, die unveränderlich jedem Thauwetter folgte. Dann fanden auch die aufregenden und gefährlichen „Kreiseltänze“ auf dem Eise statt. Von einem einzigen Pferde gezogene Reiber oder Handschlitten, bei denen die Herren auf ihren Schlittschuhen Vorspann leisteten, kamen gleichfalls an die Reihe, — kurz es wurde Allem aufgeboten, was die Langeweile eines Winters in den Bergen vertreiben konnte. Elisabeth mußte ihrem Vater gestehen, daß ihr, unter Beihülfe seiner Bibliothek, die Jahreszeit weit angenehmer dahin schwinde, als sie erwartet hatte.
Da Bewegung in der freien Luft für die Familie gewissermaßen nöthig war, so bediente man sich statt anderer Lokomotiven der Sattelpferde, wenn der beständige Wechsel zwischen Frost und Thauwetter die schon zur günstigsten Jahreszeit ziemlich gefährlichen Wege für ein Räderwerk unzugänglich machte. Die Damen machten dann auf kleinen und sicheren Thieren Ausflüge in die Berge und die entlegensten Thäler, wo nur irgend der Unternehmungsgeist eines Ansiedlers eine Wohnung geschaffen hatte. Bei diesen Gelegenheiten wurden sie, je nachdem es die Geschäfte gestatteten, von einem oder von einigen Herren der Familie begleitet. Der junge Edwards fand sich stündlich mehr in seine Lage und nahm nicht selten mit einer Sorglosigkeit und Heiterkeit, die für eine Weile alle trübe Erinnerungen aus seiner Seele bannen mochte, an der Gesellschaft Theil. Gewohnheit und der leichte Sinn der Jugend schienen die Oberhand über die geheimen Quellen seiner Unruhe zu gewinnen, obgleich es nicht an Augenblicken fehlte, wo derselbe auffallende Ausdruck von Widerwillen seinen Verkehr mit Marmaduke begleitete, der sich ihren Gesprächen in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft beigemischt hatte. Es war am Schlusse des Monats März, als es dem Sheriff gelang, sein Bäschen und ihre Freundin zu überreden, ihn nach einem Hügel zu begleiten, welcher der Sage nach auf eine eigenthümliche Weise gegen den See überhieng.
„Dann können wir auch anhalten, Bäschen Elisabeth,“ fuhr der unermüdliche Richard fort, „und Billy Kirby's Zuckerpflanzung in Augenschein nehmen. Er wohnt an dem östlichen Ende von Ransom's Gut, und macht Zucker für Jared Ransom. Niemand in der ganzen Gegend versteht sich so gut auf's Kochen als dieser Kirby. Du erinnerst Dich, 'Duke, daß ich ihn anfangs in unserm eigenen Felde verwendete; und da ist es natürlich kein Wunder, daß er seine Sache versteht.“
„Billy ist ein guter Holzfäller,“ bemerkte Benjamin, der den Zügel des Pferdes hielt, während der Sheriff aufstieg, „und handhabt seine Axt eben so gut, als ein Backmann seinen Merlpfriem oder ein Schneider sein Bügeleisen. Man sagt ihm nach, er könne allein einen Potaschenkessel aus dem Gemäuer nehmen, obgleich ich nicht behaupten will, daß ich es mit eigenen Augen gesehen habe; aber die Leute sagen so. Ich habe Zucker aus seiner Fabrik gesehen, der vielleicht nicht so weiß war, als ein altes Bramsegel, von dem aber meine Freundin, die Jungfer Prettybones sagt, er schmecke wie der beste Syrup; und Sie wissen recht wohl, Squire Dickens, daß Jungfer Remarkable einen remarkablen Zahn für Süßigkeiten in ihrem Nußknackergesicht stecken hat.“
Das laute Gelächter, welches dieser Witz Benjamins veranlaßte und in welches er selbst in nicht gar harmonischen Tönen mit einstimmte, war bezeichnend für die Sinneseinheit, welche zwischen diesem edlen Paare herrschte. Das Treffende davon ging jedoch für die übrige Gesellschaft verloren, die eben die Pferde bestiegen oder den Damen Beistand leistete. Als alles wohlbehalten im Sattel saß, ging der Zug in schönster Ordnung durch das Dorf. Man machte einen Augenblick vor Monsieur Le Quoi's Thüre Halt, der sofort sein Pferd bestieg, und nachdem man die kleine Häusergruppe hinter sich hatte, schlug die Gesellschaft eine der Hauptstraßen ein, die sich in der Mitte des Dorfes kreuzten.
Das Eis, welches jede Nacht mit sich führte, thauete im Laufe des Tages auf, und so sahen sich die Reiter genöthigt, einzeln hinter einander an dem Saume des Weges hinzuziehen, wo der Rasen und die Festigkeit des Bodens den Pferden sicher aufzutreten gestattete. Es ließen sich noch wenige Anzeichen von Vegetation schauen, und die Erde gewährte noch immer einen kalten, feuchten und unerfreulichen Anblick, ob dem Einem das Blut in den Adern starrte. Der Schnee lag noch stellenweise in den meisten Lichtungen, die aus dem Gebirge sichtbar waren, obgleich sich auch hin und wieder ein Stück freies Feld blicken ließ, wo die weiße Decke dem Einflusse einer wärmeren Sonne gewichen war und das helle, liebliche Grün des jungen Weizens dazu diente, die Hoffnungen des Landwirths zu beleben. Nichts war bezeichnender als der Gegensatz zwischen der Erde und dem Himmel; denn während die Erstere das beschriebene traurige Schauspiel zeigte, verbreitete eine warme und belebende Sonne ihre Strahlen an einem Firmament, das nur ein einziges Wölkchen blicken ließ, und durch eine Atmosphäre, die bis an den Horizont nur wie ein blaues Meer erschien.
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