Herrick saß rittlings auf dem Schanzkleid und sah alles durch den treibenden Rauch: das schwere Geschütz, die zusätzlichen Taljen, die gebraucht wurden, um es auf dem schmalen Deck festzuhalten. Ein Mann stürzte sich mit einem Entermesser auf ihn, aber Herrick parierte mit seinem Degen und schleuderte es scheppernd ins Speigatt. Jetzt war er mit beiden Beinen an Bord und schlug dem Mann quer über Gesicht und Hals, ehe er seinem Angriff ausweichen konnte.
Sie waren in der Minderzahl. Aber mit unerbittlicher Entschlossenheit bildeten die Männer der Tempest einen Keil, das Schanzkleid im Rücken. Ihre Füße glitten bereits auf Blut aus, als sie mit dem Feind zusammenstießen. Das Klirren von Stahl auf Stahl, die wilden Kampfschreie der Männer wurden vom Stöhnen der Verletzten und Sterbenden begleitet.
Von hinten war jetzt das dumpfe Aufschlagen eines zweiten Wurfankers zu hören, und Millers Leute schwärmten brüllend und fluchend über die Heckreling. Stahl gegen Stahl, aufgestaute Angst und Haß brachen in einer Woge ungehemmter Mordlust aus. Männer wälzten sich übereinander, kämpften mit Dolchen, Entermessern, Äxten und allem anderen, womit man einen Gegner niedermachen konnte.
Herrick parierte einen Degenhieb und erkannte, daß er dem bärtigen Mann gegenüberstand, dem Bolitho unter der
Parlamentärsflagge begegnet war. In der Nähe erschien er noch größer, aber Herrick hatte genug hingenommen.
Er hatte niemals Zeit gehabt für die eleganten Fechtkünste von Leuten wie Prideaux oder, wie er gehört hatte, Bolithos
Bruder Hugh. Er war ein Kämpfer und verließ sich darauf,
sich durch Kraft und Ausdauer durchzusetzen.
Er fing den schweren Degen seines Gegners sechs Zoll über dem Griff auf und zwang ihn herum, beide Klingen noch gekreuzt.
Der bärtige Riese schrie:»Verdammter Bastard, diesmal stirbst du!»
Herrick nahm flüchtig eine Blutlache an Deck wahr und stieß sich mit seinem Degengriff mit aller Kraft ab. Er sah das grausame Triumphlächeln seines Gegners, der einen Schritt zurückmachen konnte, um die volle Länge seiner Waffe einzusetzen. Doch das Lächeln verschwand plötzlich, als er mit dem Absatz in dem frischen Blut ausrutschte und eine einzige Sekunde das Gleichgewicht verlor. Herrick dachte unwillkürlich an die kleine Szene, die er durch das Teleskop beobachtet hatte. Der von Entsetzen gepackte französische Offizier, dem blitzschnell die Kehle durchschnitten worden war. Geschlachtet wie ein Schwein.»Nein! Du stirbst!»
Sein kurzer Kampfdegen fuhr quer über den Leib seines Gegners, dicht über dem Gürtel, und als dieser seine Waffe fallen ließ und beide Hände auf die klaffende Wunde preßte, versetzte Herrick ihm einen kurzen, hackenden Schlag in den Hals.
Wilder Jubel brandete auf, und Miller, das Beil rot in seiner schmutzigen Faust, rief gellend:»Sie gehört uns, Jungs!«Es war geschafft.
Aus dem Jubel wurden Alarmrufe, als das Deck unter ihnen plötzlich heftig bebte und mehrere Leute wild um sich schlagend zwischen die Toten und Verwundeten stürzten. Herrick rief:»Das Riff! Sie haben die Trosse gekappt. «Wieder gab es einen schweren Stoß, und ein Teil des Großmastes stürzte krachend an Deck und erschlug Gwynne, dessen Mund vom Jubeln noch offen stand. Herrick winkte mit dem Degen.»Zurück! In die Boote. «Er hörte Wasser in die Luken gurgeln und das Krachen von losen Frachtstücken und Vorräten, die gegen die Schotten schlugen. Das Riff würde mit dem Schoner kurzen Prozeß machen, und mit jedem, der dumm genug war, an Bord zu bleiben.
Die Matrosen halfen ihren Verwundeten, warfen die Waffen der Piraten über Bord und stiegen wieder in ihre Boote. Halb wahnsinnig über ihre unerwartete Niederlage, fielen einige der übriggebliebenen Piraten über andere her, die Herrick für Franzosen von der Narval hielt, während der Schoner mit jedem heftigen Überholen noch höher auf das Riff geworfen wurde.
Um das Maß voll zu machen, feuerte Millers Kutter die
Drehbasse auf das Wrack ab.
Herrick schrie ihm zu:»Zum Schiff! Rudert an!»
Ihm stockte der Atem, als sich fast unter dem Bug der
Barkasse eine breite, von Muscheln dicht bewachsene
Schulter des Riffs aus dem Wasser hob. Er wartete auf den Zusammenprall, das einströmende Wasser, doch als das Boot dann klarkam, wandte er sich seinen Leuten zu. Der arme Gwynne. Ein Freiwilliger, aber nur für so kurze Zeit. Er sah zu Nielsen, dem jungen Dänen, hinüber, der hin und her schwankte, das Gesicht aschfarben vor quälenden Schmerzen. Er hatte sein Entermesser fallenlassen, und einer der Piraten hatte ihn mit dem Degen bedroht. Nielsen hatte die Klinge mit beiden Händen gepackt und auch noch dann festgehalten, als der Angreifer die rasiermesserscharfe Waffe durch seine Handflächen und Finger zurückriß. Grant, der alte Geschützmaat, zeigte in einem müden Grinsen seine tabakfleckigen Zähne.»Wir haben es geschafft, Sir. Einer weniger. «Er drehte sich zu dem Schoner um, der in einem Schauer Sprühwasser kenterte.»Jetzt kommt der nächste.»
«Aye. «Herrick blickte über das Boot hinweg, teilte den Schmerz und den Stolz seiner Leute.»Gut gemacht. «Er dachte an Bolitho und das, was er sagen würde. Es war erst der Anfang, aber sie hatten gezeigt, was sie leisten konnten.
Bolitho bemühte sich, völlig ruhig dazustehen, als Herrick nach achtern auf ihn zugeeilt kam. Die Übelkeit kam und ging, und mehrmals hatte er geglaubt, er würde zusammenbrechen. Dennoch war ihm klar bewußt, was um ihn herum geschah, als könne er sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Als wäre er bereits tot.
Selbst seine Stimme schien ihm aus weiter Ferne zu kommen.»Gott sei Dank, Sie sind in Sicherheit, Thomas. «Er sah zur Gangway hinüber, wo das Kommando des Bootsmanns den verwundeten und erschöpften Seeleuten aus den Booten half.
Herrick berichtete:»Sie haben sich sehr gut gehalten. Sobald der Rauch sich verzogen hat, werden Sie nichts als ein paar Sparren auf dem Riff sehen. Aber ich habe drei gute Leute verloren…«Er brach ab, weil er bemerkte, daß Lakey versuchte, ihm ein Zeichen zu geben. Doch erst, als er die Erschöpfung und Wut des Kampfes überwunden hatte, konnte er Bolitho genauer ansehen. Er sagte:»Ich — ich bedaure sehr, Sir. Ich dachte nur an mich selbst. «Er wußte nicht, wie er fortfahren sollte.»Sie müssen nach unten, auf der Stelle. «Er bemerkte Bolithos entschlossenes Kinn. Wie bei einem Mann, der sich darauf vorbereitet, daß der Chirurg sein Messer ansetzt. Von der Back kamen laute Rufe. Überrascht und verwirrt drehte Herrick sich danach um und sah ihre anderen Boote vom Ufer langsam näherkommen. Sie waren bis an die Grenze ihrer Tragfähigkeit mit Menschen beladen, hatten nur noch wenige Zoll Freibord, und über den Riemen und den Dollborden hingen die Leute wie Getreidesäcke.»Was hat das zu bedeuten?»
Borlase erwiderte mit heiserer Stimme:»Sträflinge. Er läßt sie rekrutieren.»
«Ja. «Bolitho ging langsam zur Reling, um zu beobachten, wie das erste Boot anlegte.
Die Tropfen, die der Arzt ihm gegeben hatte, hatten ihm eine gewisse Erleichterung gebracht, und Alldays Brandy brannte ihm wie Feuer in der Kehle. Er mußte ein paarmal blinzeln, um klar zu sehen, wie die Sträflinge unbeholfen durch die Netze kletterten. Sie unterschieden sich nur wenig von seinen eigenen Leuten, fand er. Plötzlich packte ihn unwiderstehlich der Drang zu handeln. Er mußte mit den Leuten sprechen, es ihnen sagen. Er sah Keen auf sich zukommen und wartete, um ihn zuerst sprechen zu lassen. Er mußte mit jedem Atemzug sparsam umgehen. Bei jeder kleinen Anstrengung brach ihm am ganzen Körper der Schweiß in Strömen aus.
Keen meldete:»Die Posten der Marinesoldaten glauben, daß der Schoner in der Nacht Spione an Land gesetzt hat, Sir. «Er blickte hilflos zu Herrick hinüber.»Sie sind nicht sicher, aber es ist möglich.»
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