Bolitho sagte:»Bald werden wir wissen, was wir zu erwarten haben.»
«Aye, Sir. «Herrick stand auf der anderen Seite des Achterdecks und hob seine Stimme, um besser verstanden zu werden.»Lohnt sich für uns kaum. Was meinen Sie,
Sir?»
Das löste ein paar Lacher aus, wie sie beide im voraus gewußt hatten.
Bolitho drehte sich um und bemerkte Ross, der ihn scharf beobachtete.»Entern Sie mit einem Glas auf, Mr. Ross. Lassen Sie sich ruhig Zeit. Nehmen Sie den Schoner unter die Lupe, wie Sie es noch nie getan haben. «Er sah Ross nach, als er sich durch das Schutznetz zwängte und gewandt in den Großmast aufenterte. Das Teleskop baumelte von seiner Schulter wie der Stutzen eines Wilddiebs'.
Dann sah er zum Wimpel an der Mastspitze auf. Der Wind hatte während der Nacht gedreht und wehte jetzt gleichmäßig aus Nordwest. In der Bucht waren sie gut geschützt, der Schoner würde sich aber nicht zwischen die Riffe wagen und riskieren, aufzulaufen, denn er mußte vor dem Wind ankern.
Alles mußte hier geschehen. Hardacre hatte seine Kenntnisse mit Lakey geteilt, und es war völlig unmöglich, von der anderen Seite der Insel her einen Angriff über Land zu führen. Es gab keinen sicheren Platz, um an Land zu gehen, und die Bedrohung durch feindselige Eingeborene, gleichgültig, was Tinah versprochen hatte, verlangte eine dreimal so große Kampfkraft wie die, über die Tuke und seine Leute verfügten.
Sonnenlicht strich sanft über die oberen Rahen und Segel, und die Hügel oberhalb der Siedlung hoben sich aus dem Schatten, als ob sie von allem anderen losgelöst seien. Ross, der frühere Steuermannsmaat und jetzige diensttuende
Leutnant, rief mit scharfer Stimme von seinem hohen Sitz:»Sie bringen ein Boot zu Wasser, Sir. «Mehrere Minuten schleppten sich dahin, dann:»Das Boot nimmt Richtung auf die Riffe. «Seine schottische Stimme klang empört, als er ergänzte:»Eine Parlamentärsflagge,
Sir.»
Bolitho sah Herrick an. Der erste Zug stand bevor. Das Boot setzte einen kleinen Fetzen Segel, sobald es von dem Schoner abgelegt hatte, und als es Fahrt gewann, erkannte Bolitho seine Absicht, zwischen den Riffen durchzufahren und in die Bucht einzulaufen.»Gig, Allday!«Bolitho sah Herrick an, während die Besatzung der Gig von ihren verschiedenen Gefechtsstationen zusammenströmte.»Ich will nicht, daß sie sehen, wie schwach wir besetzt sind. Signalisieren Sie dem Landkommando. Sie müssen schneller sein, als ich geplant hatte.»
Er wußte, daß Herrick protestieren wollte, aber er schob ihn beiseite und fiel beinahe in die Gig in seiner Hast, mit dem Boot wegzukommen.
«So schnell ihr könnt!«Er packte das Dollbord, als die Riemen sich ins Wasser gruben und das Boot wie einen Delphin durch die Wellen hetzten.
«Mein Gott, seht euch die an«, sagte Allday und lachte verhalten.»Sie haben gerade die Tempest gesichtet. «Das Boot hatte zweifellos sein Tempo verringert, doch nach einer kurzen Pause bewegte es sich weiter auf die schäumenden Brecher bei den Riffen zu. Als es näherkam, erkannte Bolitho, daß die Besatzung ein wild zusammengewürfelter Haufe war, meist bärtige Männer, aber alle ebenso schmutzig wie ihr Boot. Doch sie waren gut bewaffnet, und die zerfetzte weiße Flagge am Mast ließ den Gegensatz nur noch schärfer hervortreten. Bolitho befahl kurz:»Sagen Sie ihnen, sie sollen beidrehen. Sie sind nahe genug.»
Alldays Anruf und die Tatsache, daß die Mannschaft der Gig ihre Riemen ruhen ließ, verursachte, daß das Boot in dem starken Seegang heftig schlingerte und quer auf die nächste Klippe zutrieb.
Eine kraftvolle, bärtige Gestalt mit zwei gekreuzten
Pistolengurten über der Brust richtete sich auf und legte die
Hände trichterförmig um den Mund. Sein Akzent war englisch, aber es war ganz bestimmt nicht Tuke.
Bolitho wünschte, er hätte ein Teleskop mitgebracht, aber es war zweifelhaft, ob er es hätte benutzen können. Das heftige
Stampfen der Gig hätte es ebenso wie die aus seinem Magen aufsteigende Übelkeit unmöglich gemacht.
Die Stimme rief rauh:»Sie sind also hier, Cap'n.»
Beinahe dasselbe, was Raymond gesagt hatte. Bolitho hob die Hand. Seine Augen tränten im Sonnenlicht.
Der Mann fuhr fort:»Die Nachricht gilt nach wie vor.
Schaffen Sie Ihre Leute fort, und fahren Sie zur Hölle. Wir nehmen die Insel und Sie auch, wenn Sie Widerstand leisten.»
Seine Worte lösten bei der Besatzung der Gig wütendes Knurren aus.
Bolitho stand langsam auf, mit einer Hand auf Alldays Schulter gestützt.
Dann rief er:»Unter welcher Flagge? Zieht ihr euren eigenen feigen Fetzen auf, oder versteckt ihr euch hinter den französischen Farben?»
Trotz der dröhnenden Brecher hörte er das Durcheinander der Stimmen in dem anderen Boot.
Dann rief der Mann zurück:»Wir haben die Narval, und Ihre verdammte Arroganz werden Sie noch bereuen, Cap'n. «Er schüttelte die Faust, und eine andere Gestalt wurde vom Boden des Bootes hochgezerrt.
Einen Augenblick glaubte Bolitho, es sei de Barras. Doch dann erkannte er, daß es ein junger Leutnant war. Sein Gesicht war fast schwarz von Prellungen, die Arme waren ihm auf dem Rücken gefesselt.
Ein weiterer sichtbarer Beweis für ihren Sieg. Bolitho warf einen kurzen Blick auf seine Besatzung. Ihre Gesichter zeigten eine Mischung von Unglauben und Entsetzen. Bolitho schrie:»Gebt ihn frei! Er ist nicht verantwortlich, das wißt ihr genau.»
Der Mann lachte nur, der Laut kam vom Wind verzerrt herüber.»Wissen Sie nichts von der Revolution, Cap'n?«Er deutete auf die Leute in seinem Boot.»Die Jungs hier haben allen Grund, darüber froh zu sein.»
Tuke hatte also auf jedes seiner Schiffe einen Teil der Franzosen verteilt. Das war sicherer. Wenn die französischen Offiziere tot waren oder in Eisen lagen, mußte Tuke das Kommando über die Narval selbst übernommen haben. Dazu hatte es bestimmt keiner besonderen Ermunterung bedurft, und seine Erfahrungen als Kaperkapitän hatten ihn zweifellos ebensoviel gelehrt wie jeden Seeoffizier im Dienst des Königs. Allday sagte heiser:»Die bringen ihn um, Captain. «Noch während er sprach, packte einer der Männer im anderen Boot den Leutnant bei den Haaren und riß ihm den Kopf zurück, so daß das Weiße seiner Augen und sein vor Schmerz und Angst verzerrtes Gesicht sichtbar wurden. Ein Messer wurde erhoben und fuhr mit solcher Schnelligkeit durch die Kehle des Franzosen, daß er weder einen Schrei ausstoßen noch sich wehren konnte. Dann wurde die Leiche über Bord gestürzt. An der Bordwand blieb nur eine grellrote Spur zurück.
Bolitho schrie:»Eine Pistole! Das ist keine Parlamentärsflagge!»
Aber der Schuß ging weit daneben, und bis sie nachgeladen war, fuhr das Boot des Schoners schon schnell auf die Passage zwischen den Riffen zu.
Von See her ertönte plötzlich ein lauter Knall, und Sekunden später stieg zwischen den Riffen und der Halbinsel von einem schweren Geschoß eine hohe Fontäne auf, die in weitgezogenem Kreis als Sprühregen ins Wasser zurückfiel.»Zum Schiff!»
Bolitho packte das Dollbord und versuchte, seinen aufwallenden Haß zu beherrschen. Das mußte ihre Absicht gewesen sein: Ihn aus der Bucht zu locken, ehe er die genaue Stärke des Feindes kannte.
Während die Gig schnell zur Tempest zurückruderte, sah Bolitho zur Siedlung hinüber und hielt sich ihre Verteidigungsanlagen vor Augen, die ihm jetzt dürftig erschienen, wenn er daran dachte, was er gerade erlebt hatte. In der Siedlung waren Feuer angezündet worden, um den
Eindruck zu erwecken, daß sich dort sehr viel mehr Männer befanden als die schwache Streitmacht, die tatsächlich vorhanden war. Über der Palisade waren rote Waffenröcke verteilt, um aus der Ferne den Eindruck zu erwecken, daß dort aufmerksame Posten auf Wache standen. Eine Täuschung, mehr war es wirklich nicht. Er duckte sich, als ein weiteres Geschoß über sie hinwegflog und auf dem Felsbrocken unterhalb der Halbinsel einschlug. Als er das Achterdeck der Tempest erreichte, traf er Herrick mit einem Teleskop bewaffnet an, der das andere Schiff beobachtete. Es war außer Reichweite der Zwölfpfünder der Tempest, traf aber mit seinen Geschützen mühelos das Land. Wenn die Schatten endgültig vom Strand und der Siedlung gewichen waren, würde die Beschießung ernstlich beginnen. Herrick bemerkte:»Vierundzwanzigpfünder, Sir, mindestens. Die müssen sie von der Eurotas haben. «Er sah Bolitho besorgt an.»Ich war in Unruhe wegen der Teufel in diesem Boot. Sie hätten das Feuer auf Sie eröffnen können. «Wrrumm! Bolitho hörte das Geschoß durch die Bäume auf der anderen Seite der Bucht pflügen und sah aufgescheuchte Vögel wie Splitter über ihren Wipfeln aufschwirren. Herrick fuhr eindringlich fort:»Wir werden Anker lichten müssen. Wenn sie uns aufs Korn nehmen, können sie das Schiff entmasten und uns bewegungsunfähig machen. Dann sind wir nicht mehr als eine schwimmende Batterie. «Bolitho nahm den Hut ab und wischte sich über die Stirn. Das war die Absicht des Feindes. Ihn herauszulocken, die Bucht schutzlos zurückzulassen.
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