Der Schoner mochte nicht schnell genug sein, um der Tempest davonzusegeln, aber in dem Gewirr der Inselchen und Riffe konnte er sie mühelos abschütteln. Er blickte zum Wimpel auf. Stetig wie bisher wehte der Wind aus Nordwest. Er nahm ein Teleskop und ging zum ausgespannten Netz. In Gedanken setzte er sich mit der Gefahr auseinander, mit dem, was er von seinen Leuten verlangte.
Über die Schulter sagte er:»Benachrichtigen Sie das Land. Wenn wir Signal geben, müssen sie das Feuer in Gang bringen. «Er hörte Herrick seufzen.»Ich weiß, es war als letzter Ausweg gedacht. Wir müssen aber alles umdrehen. «Bolitho stützte sein Glas an dem Netz und richtete es auf den verankerten Schoner, rechtzeitig, um auf dessen Back eine Rauchwolke erscheinen zu sehen, als sie dort einen weiteren Schuß lösten.
Der Schoner lag auf einer Linie mit der Halbinsel. Und dem
Wind.
Er hörte ein Boot zum Ufer ablegen und dann ein heftig splitterndes Geräusch. Ein weiteres Geschoß hatte die kleine Pier getroffen und ihr äußeres Ende zu einem wirren Haufen zerschmetterter Balken und Verstrebungen zertrümmert. Das war Glück, denn kein Geschützführer konnte durch Schatten hindurchsehen. Doch es zeigte sehr deutlich, was bald geschehen würde, wenn sie nichts taten, um die Beschießung zu beenden.
Bolitho sagte:»Ein Enterkommando, Mr. Herrick, für Barkasse und Kutter. Wenn der Wind anhält, zünden wir wie geplant die Feuer an Land an. Der Qualm wird auf den Schoner zutreiben, und wenn er ihn erreicht, muß der Angriff erfolgen.»
Bolitho dachte an die weite Strecke und stellte sich den verwundeten Marinesoldaten auf dem Abhang bei den gesammelten Haufen von trockenem Gras und dürrem Unterholz vor, die mit Kokosnußschalen und Fett angereichert waren. Wenn sie Glück hatten, würden die Kanoniere des Feindes denken, einer ihrer Schüsse hätte das Feuer an Land entfacht. Wenn es fehlschlug, würden die Besatzungen beider Boote abgeschlachtet, noch ehe sie eine Hand an den Rumpf des Schoners legen konnten. Einen Augenblick später meldete Fitzmaurice:»Das Boot hat das Land erreicht, Sir.»
Bolitho nickte.»Bemannen Sie Ihre Boote, Mr. Herrick. Bleiben Sie mit ihnen auf der abgewandten Bordseite, bis das Feuer brennt.»
Er zwang sich, ein paar Schritte auf- und abzugehen. Seine Füße stiegen ohne bewußte Anstrengung über Beschläge und Poller hinweg. Es würde zehn Minuten dauern, bis die Nachricht die behelfsmäßige Signalstation erreichte. Er hörte die Männer lärmend in die Boote steigen, das
Klirren ihrer Waffen.
«Bereiten Sie das Signal vor, Mr. Fitzmaurice.»
Bolitho wischte sich über das Gesicht. Er schwitzte stark,
aber ohne daß ihm warm war.
«Das Boot hat wieder abgelegt, Sir.»
Die Nachricht war weitergegeben.
Bolitho befahl:»Hissen Sie das Signal.»
Die Flagge entfaltete sich unter der Großrah, zufällig im gleichen Augenblick, als das schwere Geschütz des
Schoners den nächsten Schuß abfeuerte.
Bolitho richtete sein Glas auf die Halbinsel und die dahinter aufragenden Hügel. Zunächst dünn begann an einer Stelle,
die noch im Schatten lag, Qualm zum Himmel aufzusteigen,
dann fing eine Rauchwolke an, vor dem Wind bergab zu rollen. Das schmutzige Gemisch aus Fett, altem Werg und
Abfällen, das sie auf das zundertrockene Gras und Reisig gehäuft hatten, drückte den entstehenden Rauch, der sich wie ein undurchdringliches, erstickendes Leichentuch ausbreitete, nach unten aufs Wasser.
Der Marinesoldat Billyboy übertraf selbst die verwegensten
Hoffnungen; eine scharfe Explosion, die vom Abhang herüberhallte, trug zu der Täuschung noch bei. Sie würde auch auf dem Schoner gehört werden, und dort mochte man glauben, es sei ein explodierendes Magazin.
Herrick fragte ruhig:»Kann ich ablegen, Sir?»
Bolitho sah auf die beiden längsseit liegenden Boote hinunter, deren Besatzungen wie Fremde zu ihm heraufspähten. Jeder einzelne war ausgesucht, und mancher zählte zu den besten Leuten der Besatzung. Wenn das
Schlimmste eintrat, wurde die Tempest so vieler guter Kräfte beraubt, daß ihr Gefechtswert halbiert war.
Er hielt Herricks Blick fest. Dieser war der Beste von allen,
dachte Bolitho. Aber er konnte keinem anderen das
Kommando über den Angriff anvertrauen. Jetzt brauchten sie jede Unze an Selbstvertrauen, jedes Körnchen an
Erfahrung, und für die Besatzung des Schiffes besaß Herrick das in hohem Maß.
Kam heute der Tag, vor dem er sich schon so lange fürchtete? Einmal mußte er kommen. Aber doch nicht hier, in diesem gottverlassenen Winkel der Welt, wo schon so viel Leid ertragen worden war.
Doch als er das dachte, wußte er auch, daß es überall eintreten konnte.
«Seien Sie vorsichtig, Thomas«, sagte er.»Halten Sie die Drehbassen schußbereit. Ziehen Sie sich zurück, wenn Sie entdeckt werden, ehe Sie entern konnten. «Herrick zog seinen Uniformrock aus, nahm seinen Hut ab und reichte beides einem Marinesoldaten. Auch in den Booten waren keine Rangabzeichen zu finden. So hatten sie es geplant.
Herrick drehte sich um, um die sich ausbreitende Rauchwolke zu beobachten. Sie hatte bereits das Riff erreicht, und die Umrisse des Schoners verschwanden plötzlich in der künstlich geschaffenen Deckung. Dieser Schutzschirm hätte erst später eingesetzt werden sollen. Falls die Narval sich die Einfahrt in die Bucht erzwang, sollte der Rauchschleier ihre Kanoniere so behindern, daß die Tempest zum Nahkampf an die französische Fregatte herankommen konnte, so lange sie sich in der Nähe der Riffe befand. Doch das war der Plan gewesen, ehe der Schoner erschien. Allerdings hätte der Wind die Richtung ändern und damit diesen Vorteil ins Gegenteil verkehren können. Herrick sagte:»Fortuna ist mit uns, Sir. «Nach einem Gruß zum Achterdeck kletterte er in die große Barkasse hinab. Die beiden Boote legten sofort ab, und der Schlag der Riemen zeigte an, daß die Zeit drängte und es ums Überleben ging.
Im Kutter kauerte Bootsmannsmaat Jack Miller an der
Pinne. In seinem Gürtel steckte ein Enterbeil.
«Gott helfe den Kerlen, die an den geraten«, sagte Allday.
Die beiden Boote würden eine halbe Stunde brauchen, um in die Nähe des Schoners zu gelangen. Bis dahin mußte der
Qualm unverändert dicht bleiben. Auch durfte die Besatzung des verankerten Schiffes nicht argwöhnen, daß irgend etwas
Unvorhergesehenes eintreten könnte.
Bolitho sagte:»Mr. Borlase, wir beginnen mit der
Steuerbordbatterie zu feuern. Lassen Sie laden und ausrennen, bitte.»
Borlase musterte ihn besorgt. An seinem Hals zuckte ein Nerv.»Auf welches Ziel, Sir?»
«Auf den Schoner. Sie sollen sehen, daß unsere Schüsse zu kurz liegen. Das wird sie in Sicherheit wiegen und überzeugen, daß wir nicht Anker lichten und den Rauch selbst ausnutzen werden.»
Minuten später krachten die Steuerbord-Zwölfpfünder einer nach dem anderen in einer rollenden Salve. Der Pulverqualm wälzte sich mit dem Wind zu dem anderen Rauch. Der Schoner war jetzt völlig dahinter verschwunden, und als Bolitho nach den beiden Booten ausschaute, entdeckte er nur noch das Kielwasser des letzten. Ihre Rümpfe waren wie die Halbinsel völlig verborgen. Er zog seine Uhr. Die Sonne stand jetzt hoch, und sie konnten sich nicht länger darauf verlassen, daß Schatten die Siedlung schützen würden. Er fragte sich flüchtig, was Raymond wohl machte. Ob er an Viola dachte?» Signal vom Ausguck auf dem Berg. «Fitzmaurice hatte sein Teleskop vor dem Auge.
Bolitho trat unter die Wanten des Besanmasts und beschattete sein Gesicht gegen den zunehmenden Sonnenglast. Der Gestank von den Feuern auf dem Abhang war hier schon schlimm; wie er in den Booten sein mochte, konnte man sich nur schwer vorstellen. Er fühlte sich übel und plötzlich schwindlig und wünschte, er hätte das von Allday angebotene Frühstück doch angenommen. Er war wütend auf sich selbst. Nun, jetzt war es zu spät. Nahe am Berggipfel sah er ein Licht aufblitzen, den von einem Spiegel zurückgeworfenen Reflex der Sonne, wie er es bei den Infanteriesoldaten in Amerika beobachtet hatte. Das Verfahren hatte seine Grenzen, war aber schnell, vorausgesetzt, daß man vorher genügend einfache Signale vereinbart hatte.
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