«Verdammt nachlässiger Ausguck, Sir«, sagte Davy heiser.
Die Männer sammelten sich jetzt bei den Booten. Das eine lag schon den ganzen Tag hier und am höchsten auf dem Strand. Um es zu Wasser zu bringen, würden mehr Männer nötig sein als bei dem zuletzt angekommenen.»Hätten Sie an ihrer Stelle mit einem Angriff gerechnet?«fragte Bolitho.
Davy zuckte die Schultern.»Wahrscheinlich nicht.»
Carwithen kam den Abhang herunter; er lief so schnell, daß seine Männer Mühe hatten, ihm zu folgen. Wütend sagte er:»Dieser elende Narr Lincoln war zu langsam mit seinem Dolch!«Böse funkelte er die Umstehenden an.»Mit dem rede ich noch!»
«Boote zu Wasser«, befahl Bolitho. Zu den sechs Marineinfanteristen sagte er:»Ihr nehmt das zweite. Was zu tun ist, wißt ihr.»
Einer von ihnen, der, welcher den Schoner zuerst gesehen hatte, brummte:»Alles klar, Sir. Wir gehen mit dem Boot so auf Position, daß wir die Poop sehen können, und putzen jeden weg, der da an den Laternen vorbeikommt.»
Bolitho lächelte zufrieden.»Hauptmann Bellairs hat Sie mit Recht ausgesucht.»
«Hier lang, Captain«, flüsterte Allday.
Die Brandung umspülte ihm Beine und Unterkörper; er fühlte das rauhe Dollbord des Bootes und Alldays Hand, die ihn hineinzog.
«Stoß ab!»
Bolitho zwang sich gewaltsam, nicht auf die wild arbeitenden Riemen zu blicken, auch nicht auf Allday, der sich mit allen
Kräften bemühte, das Boot durch die Brandung zu steuern. Jetzt brauchte es nur eine Ladung gehacktes Blei vom Schoner, und sein ohnehin fadenscheiniger Plan mißlang schon im Ansatz. Das Boot stampfte schwer; die Riemen zogen besser, als es sich erst einmal aus der starken Grundströmung gelöst hatte. Die schlanken Masten des Schoners drohten herüber; das Gewirr der restlichen Takelage verschwamm gegen den dunklen Himmel.
Allday stand breitbeinig und wachsam über der Ruderpinne, die er leicht mit den Fingerspitzen hielt.
«Ruder an!«Er neigte sich vor, damit sie ihn besser hörten.»Achtung, im Bug!»
Achteraus hörte Bolitho das regelmäßige Eintauchen der Riemen des zweiten Bootes, das eilig zum Bug des Schoners pullte.
«Jetzt oder nie, Captain!«stieß Allday aus und entblößte die Zähne, so daß die Männer im Boot sich fragten, was er denn zu grinsen hätte.
Bolitho erhob sich neben ihm und streckte den Arm aus, um das Boot von dem überhängenden Achterdeck frei zu halten, das wie eine gleitende Wand direkt über ihnen emporragte.
«Jetzt!»
Ein gellender Schrei und ein Rasseln — der Buggast schleuderte seinen Draggen über das Schanzkleid. Mit einem Knirschen stieß das Boot an die Bordwand; ein paar Männer fielen in dem Durcheinander hin, während die anderen voller Eifer über ihre Körper und die verschränkten Riemen, wie über eine lebende Brücke, an Deck des Schoners kletterten.
Schon hasteten ein paar Gestalten aus dem Vorderkastell, aber da knallte es dumpf; getroffen von der wohlgezielten Musketenkugel, wirbelte ein Mann herum — im hellen Licht der Pooplaterne sah es wie ein irrer Schattentanz aus.
Bolitho spürte mehr als er es sah, wie eine Gestalt aus den Speigatten auf ihn zusprang. Er duckte sich weg, und im selben Moment zischte etwas über seinen Kopf. Er führte einen Degenstoß nach dem Angreifer. Der Mann wich zurück, griff aber, eine mächtige Axt schwingend, gleich wieder an.
«Daß ihn die Pest…!«schrie Carwithen und feuerte seine Pistole direkt in das Gesicht des Mannes ab.
«Das reicht dem Bastard!«knurrte er befriedigt.
Einer von der Mannschaft des Schoners war in den Vormast geklettert. Ein Matrose enterte unter wütendem Gebrüll auf. Wieder knallte eine Muskete von dem zweiten, in der
Dunkelheit lauernden Boot her, aufstöhnend stürzte der Pirat aufs Deck, wo schon ein Entermesser auf ihn wartete.
Allday rief:»Die meisten verstecken sich unter Deck, Captain!«Er rannte zum Niedergang und feuerte hinunter.»Die haben die Schnauze voll, glaube ich.»
Bolitho spähte nach achtern zu den Laternen.»Ruft das andere Boot zur Verstärkung heran!»
An Deck des Schoners war es auf einmal still, und als Bolitho langsam auf die kleine Kajütslaterne direkt vor dem Steuerrad zuging, konnte er seine Schritte hören. Aber der Kampf war noch lange nicht vorbei.
Vorsichtig ging er um den Leichnam herum, der dort auf dem Rücken lag. Es war der erste, der von der Kugel des Marineinfanteristen gefallen war. Das tote Gesicht glänzte im Licht der Laterne; der Unterkiefer war weggerissen.
«Weg da, Captain!«schrie Allday, denn eben kletterte ein Pirat durch die Luke. Doch das Gesicht des Mannes verzerrte sich im Todeskampf, denn direkt unter ihm hatte jemand eine Pistole abgefeuert. Ein Schatten glitt durch den Pulverqualm; es war Lincoln, der Matrose mit der Narbe im Gesicht. Seine Augen waren hart wie Stein, als er sich durch die Luke zwängte und an Deck fallen ließ, direkt auf den Toten. Dumpf schlugen seine Füße auf dem Leichnam auf, er machte eine rasche Wendung, bei der er zweimal mit seinem Dolch zustieß — beim zweiten Stoß ertönte ein Schrei aus der Dunkelheit.
Hinter ihm schwärmten noch mehr Matrosen an Bord, und Bolitho rief:»Licht her! Macht Platz!»
Dann hörte man das Platschen nackter Füße, und aus dem längsseits liegenden Boot ertönte Armitages angsterfüllte Stimme.
Carwithen war schon unten im Kabinendeck und schob einen Matrosen beiseite, um einem verwundeten Piraten mit seinem Dolch den Rest zu geben. Bolitho blieb kurz am Niedergang stehen und sah sich nach Davy um, doch dabei war sein Verstand noch damit beschäftigt, daß Allday ihm soeben das Leben gerettet hatte. Ohne seine Warnung wäre er jetzt eine Leiche gewesen, und nicht jener arme Matrose.
«Mr. Davy! Beide Boote an Bord, sobald die Gefangenen entwaffnet und gefesselt sind!»
«Aye, aye, Sir!«antwortete der Leutnant siegesfroh.
«Und teilen Sie eine Wache für die Gefangenen ein! Ich will nicht, daß irgendein Fanatiker unter ihnen die Bilge aufschlägt, ehe wir auch nur Segel setzen können!»
Er stieg hinter Allday den Niedergang hinunter. Der Lärm an Deck klang nur noch gedämpft hinab und verstummte dann ganz.
Ein Matrose stieß eine Kabinentür mit dem Fuß auf und sprang mit gezogener Pistole in den Raum.
«Keiner hier, Sir!«Aber dann sah er, daß sich hinter einem umgestürzten Stuhl etwas bewegte.»Nein, Sir, da ist noch so ein Schurke. Ich hole ihn!»
Doch da schrak er zurück:»Jesus! Das ist ja einer von uns!»
Bolitho bückte sich unter die niedrigen Decksbalken und trat in die Kajüte. Er verstand den Schreck und die Überraschung des Matrosen. Da hockte ein Wrack von einem Mann; klein, verkrümmt lag er auf den Knien, die verschränkten Hände wie betend vorgestreckt, schwankend im Rhythmus der Schiffsbewegung.
Bolitho steckte den Degen in die Scheide und trat zwischen den zitternden Mann und den Matrosen, dessen Augen noch vor Kampfgier glühten.»Wer bist du?»
Er wollte nähertreten, aber der Mann warf sich ihm buchstäblich vor die Füße.»Gnade, Captain! Ich habe doch nichts getan! Bin bloß 'n ehrlicher Seemann!»
Er tastete nach Bolithos Schuhen, und als dieser sich bückte, um ihn aufzuheben, sah er mit Schrecken, daß man dem Mann sämtliche Fingernägel ausgerissen hatte.
«Steh auf!«sagte Allday grob.»Du sprichst mit einem Offizier des Königs!»
«Still!«Bolitho hob die Hand.»Sehen Sie ihn doch an! Der hat genug gelitten.»
Der Matrose ließ seinen Entersäbel fallen und half dem Mann in einen Stuhl.»Ich hole ihm was zu trinken, Käpt'n!«Er riß ein Schapp auf und fuhr erschrocken herum, als der Kleine angstvoll schrie:
«Rühr das nicht an! Er zieht dir bei lebendigem Leibe die Haut ab, wenn du auch nur hineinzuschauen wagst!»
«Wer?«fragte Bolitho.
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