«Gut, Thomas«, lächelte Bolitho.»Trinken Sie eine Tasse Kaffee mit mir.»
Es fiel Bolitho auf, daß sich Herrick jedesmal entspannte, wenn es galt, einen festen Plan auszuführen. Falls er wirklich ahnte, wie ungewiß dieser Plan noch im Kopf seines Kapitäns war, dann ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
«Ich höre von Mr. Mudge, daß wir ungefähr zehn Knoten laufen, Sir. «Herrick nahm von Noddall einen Becher Kaffee entgegen.»Und er strahlt, als ob er ein Vermögen am Spieltisch gewonnen hätte«, fuhr er lächelnd fort.
Bolitho runzelte die Stirn.»Also sollten wir jederzeit Land sichten. Wenn der Wind gestern nicht so flau gewesen wäre, hätten wir jetzt schon da sein können. «Er reckte die Arme; welch angenehmes Gefühl an Brust und Rücken, wenn man ein frisches Hemd anhatte.»Aber es gab ja auch eine Menge zu tun.»
«Inzwischen hat Mr. Davy wohl schon den halben Weg zur Pendang Bay hinter sich.»
«Aye. Er wird sich wie ein Fregattenkapitän vorkommen, wenn ich mich nicht irre.»
Davy hatte von innen her gestrahlt, als Bolitho ihm das Kommando über den Schoner erteilt und ihn zu Conway geschickt hatte. Bolitho erinnerte sich an den Tag, als man ihm zum erstenmal das Kommando über eine Prise anvertraut hatte. Er war damals Leutnant gewesen und viel jünger als Davy. Wahrscheinlich hatte er ein ähnliches Gesicht gemacht. Es hieß immer, das erste selbständige Kommando wäre die wichtigste Phase der ganzen Karriere. Vielleicht würde es sich bei Davy ebenso wie bei ihm auswirken.
Er sah zum Skylight hoch, denn der Ausguck sang aus:»Deck ahoi! Land in Lee voraus!»
Bolitho lächelte, obwohl es ihm kalt den Rücken hinunterlief.»Wenn die Argus nicht hier ist, muß ich mir was Neues ausdenken.»
Die Tür öffnete sich, und Midshipman Armitage verkündete:»Mr. Soames läßt mit allem Respekt melden, Sir, daß der Ausguck Land in Lee voraus gesichtet hat.»
«Danke sehr, Mr. Armitage«, antwortete Bolitho.
Die umschatteten Augen des Jungen lagen tief in den Höhlen; seine Finger zuckten nervös an der geflickten Kniehose. Zum Unterschied von den anderen, die mit dabei gewesen waren, konnte er seine Gefühle nicht verbergen. Er hatte Angst und wußte, daß er sie nicht bezwingen konnte.
«Mein Kompliment an Mr. Soames«, sagte Bolitho,»und bestellen Sie ihm: in einer halben Stunde Geschützexerzieren für beide Wachen. «Nach kurzem Zögern fuhr er fort.»Wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, sollten Sie es vielleicht jetzt dem Ersten Leutnant anvertrauen — oder auch mir, wenn Sie meinen, wir könnten Ihnen helfen.»
Armitage schüttelte den Kopf.»Nein, Sir, es geht schon wieder. «Er verschwand eilends.
«Was machen wir bloß mit ihm?«fragte Bolitho leise und sah seinen Freund an.
Der Leutnant hob die Schultern.»Man kann nicht jeden bei der Hand nehmen, Sir. Er wird schon darüber hinwegkommen. Schließlich haben wir uns alle einmal durchbeißen müssen.»
«Aber Thomas, das sieht Ihnen gar nicht ähnlich«, erwiderte Bolitho lächelnd.»Geben Sie doch zu, daß Sie sich um den Bengel Sorgen machen.»
«Na ja«, räumte Herrick etwas verlegen ein,»ich habe schon überlegt, ob ich mal mit ihm reden soll.»
«Wußte ich doch, Thomas. Sie haben nicht das richtige Gesicht zum Schwindeln.»
Wieder klopfte es, diesmal war es der Schiffsarzt.
«Nun, Mr. Whitmarsh?«fragte Bolitho,»geht es unserem Gefangenen schlechter?»
Whitmarsh schob sich durch die Tür wie in eine Zelle. Er duckte sich unter jeden Decksbalken, als suche er einen
Fluchtweg.»Es geht ihm soweit ganz gut, Sir. Aber ich bin immer noch der Meinung, daß es besser gewesen wäre, ihn mit dem Schoner zum Stützpunkt zurückzuschicken.»
Bolitho sah Herricks Wangenmuskeln arbeiten und wußte, gleich würde er sich die Unverschämtheit des Arztes verbitten. Wie den anderen Offizieren fiel es auch Herrick nicht leicht, seine Abneigung gegen Whitmarsh zu verbergen. Und der tat selbst wenig, um sich beliebter zu machen.
Ruhig erwiderte Bolitho:»Ich könnte schließlich nicht die Verantwortung für einen Gefangenen übernehmen, der nicht in meinem Gewahrsam ist, oder?»
Schweißtropfen bildeten sich auf der Stirn des Arztes. Hatte er so früh am Morgen schon getrunken? Ein Wunder, daß er sich noch nicht umgebracht hatte.
Oben hörte man taktmäßige Schritte und metallisches Klirren: die Marineinfanteristen traten zur Musterung an. Etwas gezwungen fügte Bolitho hinzu:»Sie müssen sich schon auf mein Urteil verlassen, Mr. Whitmarsh; ich rede Ihnen ja auch nicht drein.»
Der Arzt starrte ihn an.»Sie geben also zu: wenn Sie ihn nach Pendang Bay hätten schaffen lassen, wäre er gehängt worden?»
Ärgerlich warf Herrick ein:»Herrgott noch mal, Mann, schließlich ist der Kerl ein verdammter Pirat!»
Whitmarsh fixierte ihn böse. »Ihrer Meinung nach!»
Rasch erhob sich Bolitho und trat zum Fenster.»Nun bleiben Sie aber sachlich, Mr. Whitmarsh! Als gewöhnlicher Pirat würde er verurteilt und gehängt, wie Sie recht gut wissen. Aber falls er tatsächlich Muljadis Sohn ist, dann können wir ihn als Druckmittel benutzen. Hier steht mehr auf dem Spiel, sind mehr Menschenleben in Gefahr, als ich geglaubt habe. Da kann ich auf Ihre Privatgefühle keine Rücksicht nehmen.»
Whitmarsh hielt sich an der Tischkante fest und beugte sich vor.»Wenn Sie durchgemacht hätten, was ich… »
Bolitho wandte sich scharf zu ihm um.»Ich weiß Bescheid über die Sache mit Ihrem Bruder, und er tut mir aufrichtig leid. Aber wie viele Hochverräter und Mörder haben Sie schon hängen oder in Ketten verfaulen sehen, ohne auch nur einen Gedanken an sie zu wenden?«Er merkte, daß jemand oben an dem offenen Skylight stehen blieb, und senkte die Stimme.»Menschlichkeit bewundere ich. Aber Sentimentalität lehne ich ab. «Er beobachtete, wie die Wut in den Zügen des Arztes tiefem Schmerz wich.»Also geben Sie sich Mühe mit dem
Gefangenen«, fuhr er fort.»Wenn es ihm bestimmt ist, gehängt zu werden, kann ich es nicht verhindern. Aber wenn ich sein Leben zu unserem Vorteil nutzen kann und es ihm damit rette, dann um so besser.»
Unsicher wankte Whitmarsh zur Tür und sagte dumpf:»Und diesen Potter vom Schoner lassen Sie schon wieder Dienst machen!»
Jetzt lächelte Bolitho.»Sie sind aber wirklich hartnäckig, Mr. Whitmarsh! Potter hilft dem Segelmacher. Er wird sich schon nicht totarbeiten, und ich glaube, wenn er was zu tun hat, wird er sich schneller erholen als beim Brüten über seine Leiden.»
Etwas Unverständliches murmelnd, stelzte Whitmarsh steif aus der Tür.
«So eine Frechheit!«rief Herrick.»Den hätte ich an Ihrer Stelle mit einem Belegnagel Mores gelehrt!»
«Das bezweifele ich. «Bolitho schwenkte seinen Kaffeebecher, aber der war leer.»Doch er wird mich nie verstehen und noch weniger mir vertrauen.»
Dann ließ er sich von Noddall seine Galauniform und seinen besten Dreispitz bringen und kam sich ziemlich lächerlich vor, als der Steward ihn abbürstete und ihm Manschetten und Aufschläge zurechtzupfte.
«Ein böses Risiko gehen Sie da ein, Sir«, sagte Herrick unvermittelt.
«Aber eines, das sich nicht vermeiden läßt, Thomas. «Eben zog Noddall ein langes Haar von einem seiner Rockknöpfe. Ihr Haar. Ob Herrick das gesehen hatte?» Wir müssen dem französischen Kapitän trauen. Alles weitere ist bloße Spekulation.»
Noddall hatte den alten Degen vom Gestell genommen, aber er hängte ihn sich nur über den Arm — wußte er doch, daß er sein Leben riskierte, wenn er sich Alldays geheiligtes Ritual anmaßte.
Bolitho seinerseits dachte an Whitmarshs Zorn, der zum Teil nicht unbegründet war. Hätte er den Gefangenen ins Fort zurückgeschickt, wäre er von Puigserver bestimmt in Eisen gelegt worden, bis er ihn der nächsten spanischen Behörde übergeben konnte. Dort wäre er dann — falls er Glück hatte — ohne weitere Umstände gehängt worden. Wenn er kein Glück hatte… Nun, darüber dachte man am besten nicht nach. Der Sohn hätte für den Vater büßen müssen.
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