Mit schmerzhaft keuchender Brust stand Bolitho neben ihm. Mißtrauisch musterte er den Seesoldaten, ob sich wohl heimlicher Spott hinter seinem Lob verbarg; es war der Scharfschütze, der vor zwei Tagen den vor Anker liegenden Schoner entdeckt hatte.
So nickte er dem Mann zu und erlaubte sich nun doch einen Blick auf das Deck unter ihm. Zwergenhaft verkleinert bewegten sich Gestalten auf dem Achterdeck, und vorn sah er den Lotgasten im Wasserstag hängen und das schwere Blei geschickt weit über den Bug hinausschleudern.
Seine Spannung wich; er wartete, bis auch Potter oben war und neben ihm stand. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, sich noch weiter hinaufzuwagen, über die nächsten vibrierenden Wanten bis zum Eselshaupt. Aber er ließ es sein. Abgesehen davon, daß er sich selbst und denen, die ihm zusahen, seine Kletterkunst bewies, hätte es wenig Sinn gehabt. Wenn Herrick ihn plötzlich an Deck brauchte, würde er ziemlich dumm aussehen, wenn er übereilt abenterte. Außerdem war Potter jetzt schon ganz erschöpft.
Er nahm das Fernrohr zur Hand, das an seiner Schulter hing, und richtete es auf die Passage zwischen den Inseln. In der Zeit, die er gebraucht hatte, um aufzuentern und oben wieder zu Atem zu kommen, war die Undine mehr als eine Kabellänge näher herangekreuzt, und er konnte jetzt hinter dem steil abfallenden Felsbuckel in der Mitte, der die grimmige Festung trug, die nächste Insel sehen, die vorher verdeckt gewesen war.
«Auf der Ostseite bin ich nie gewesen, Sir«, sagte Potter.»Aber ich habe gehört, daß es dort eine gute Durchfahrt gibt. «Er schauerte.»In den Sandbänken dort haben sie bei Ebbe die Leichen vergraben. Was noch von ihnen übrig war.»
Bolitho wurde auf einmal starr vor Konzentration und vergaß für den Augenblick das tief unter ihm liegende Deck. Denn er sah den dunkleren Schattenriß der Masten und Rahen eines Großseglers, fast verborgen in der Biegung des inneren Fahrwassers: eine Fregatte!
Potter bemerkte, was Bolitho entdeckt hatte, und fuhr trübe fort:»Der beste Ankerplatz, Sir. Die Geschütze der Festung können zwei Passagen gleichzeitig bestreichen und jedes Fahrzeug schützen, das dort liegt.»
Etwas Helles flatterte vor dem vordersten Eiland und breitete sich dann aus: auf einem kleinen Boot wurden Segel gesetzt. Bolitho warf einen raschen Blick auf den Vormast, wo Herrick eine große weiße Flagge gehißt hatte. So oder so — bald würden sie Bescheid wissen.
Da krachte es hohl, und dann, nach einer halben Ewigkeit, schoß eine hohe Wasserfontäne etwa eine Kabellänge an Steuerbord voraus gen Himmel. Eilends schwenkte Bolitho das Glas zur Festung hinüber, aber der Pulverrauch war bereits verflogen, so daß er unmöglich den Schußwinkel schätzen konnte.
Er schwenkte das Glas wieder zurück: das Boot bog jetzt schon schneller um eine Anhäufung von Felsbrocken, das Segel dichtgeholt und an die Rückenflosse eines riesigen Haifisches erinnernd. Er atmete erleichtert auf, denn im Masttopp wehte auch dort eine weiße Flagge. Der einzelne Schuß der Festungsbatterie war ein Warnschuß gewesen.
Bolitho warf sich das Teleskop wieder über die Schulter.»Du bleibst noch hier, Potter. Halte die Augen offen und versuche, dich an jede Einzelheit zu erinnern. Vielleicht rettet das dem einen oder anderen das Leben. «Er nickte den beiden Marineinfanteristen zu:»Hoffentlich werdet ihr nicht gebraucht. «Dann schwang er ein Bein über das niedrige Süll und bemühte sich, dabei nicht nach unten zu sehen.»Die Argus will das Fürchten uns allein überlassen.»
Die beiden Männer stießen sich grinsend an, als hätte er ihnen soeben eine ungeheuer wichtige Information anvertraut. Bolitho schluckte krampfhaft und trat den Abstieg an. Als er den Punkt erreicht hatte, an dem er die Finknetze der gegenüberliegenden Seite auf gleicher Höhe sehen konnte, wagte er es, auf die Gruppe hinunterzublicken, die ihn am Schanzkleid erwartete. Herrick lächelte, doch es war schwer zu sagen, ob vor Erleichterung oder weil er sich im stillen amüsierte. Bolitho war mit einem Sprung an Deck und musterte bedauernd sein frisches Hemd. Es war klatschnaß von Schweiß und trug auf der einen Schulter einen schwarzen Teerstrich.
«Egal«, sagte er,»unterm Rock sieht man das nicht. «Dienstlicher fügte er hinzu:»Ein Boot hält auf uns zu, Mr. Herrick. Drehen Sie bei und lassen Sie den Anker klarieren.»
Er warf nochmals einen Blick in die Takelage hinauf. Es war diesmal nicht so schlimm gewesen wie befürchtet. Aber er war schließlich unter idealen Bedingungen aufgeentert, nicht in einem brüllenden Sturm oder in pechschwarzer Nacht.
Als Herrick seine Befehle gegeben hatte, wandte sich Bolitho an Mudge:»Was halten Sie von diesem Schuß?»
Der Steuermann wiegte zweifelnd den Kopf.
«Ein altes Geschütz, Sir. Von da, wo ich stand, hörte es sich an wie ein Rohr aus Bronze.»
Bolitho nickte.»Ganz Ihrer Meinung. Es kann durchaus sein, daß sie noch die Originalbestückung benutzen, die von den Holländern. «Er rieb sich das Kinn und sprach seine Gedanken laut aus.»Dann werden sie sich aber hüten, mit glühenden Kugeln zu schießen. «Er grinste Mudge in das traurige Gesicht.»Nicht daß uns das viel nützt. Auch wenn sie mit Steinkugeln schießen würden, könnten sie kein Schiff verfehlen, das versucht, die Durchfahrt zu erzwingen.»
Da meldete Fowlar:»Das Boot hat einen Offizier an Bord, Sir. Einen Froschfresser — die kenne ich.»
Bolitho nahm ein Teleskop und beobachtete das näherkommende Boot. Es war ein Eingeborenenfahrzeug mit dem vertrauten hohen Bug und Lateinersegel und segelte schnell und leicht auf konvergierendem Kurs. Er sah den
Offizier am Mast lehnen, den Dreispitz tief in die Stirn gezogen, um seine Augen vor der Sonne zu schützen. Fowlar hatte recht: unverkennbar ein Franzose.
Er trat ein paar Schritte von der Reling zurück, als sich die Undine mit aufgegeitem Großsegel und wild schlagenden Marssegeln in den Wind drehte, um ihren Besucher zu erwarten. Die Hände auf der Reling, wartete er ab, bis das Boot den Bug umrundet hatte, wo schon Mr. Shellabeer mit ein paar Matrosen wartete, um es festzumachen und Fender auszubringen.
«Jetzt, Mr. Herrick, werden wir es erfahren«, sagte Bolitho.
Er schritt den schwankenden Decksgang hinab bis zur Fallreepspforte und wartete, daß der Franzose an Bord kam. Die schlanke Gestalt des Offiziers hob sich klar vom kabbligen Wasser ab; aufmerksam musterte er das Geschützdeck der Undine, die Matrosen und Seesoldaten, die ihn von allen Seiten neugierig anstarrten. Als er Bolitho sah, zog er mit elegantem Schwung den Hut und verbeugte sich.»Lieutenant Maurin, m'sieur. Zu Ihren Diensten.»
Er trug keine Rangabzeichen, und sein blauer Uniformrock war mehrfach geflickt und gestopft. Die Sonne hatte ihn gegerbt wie altes Leder, und seine Augen waren die eines Mannes, der fast sein ganzes Leben auf See verbracht hat. Zähigkeit, Selbstsicherheit, Tüchtigkeit — all das stand deutlich auf seinem Gesicht.
Bolitho nickte.»Und ich bin Captain Bolitho von Seiner Majestät Schiff Undine.»
Der Lieutenant lächelte schief.»Mein capitaine hat Sie bereits erwartet.»
Bolitho warf einen Blick auf die Kokarde an Maurins Hut. Statt der französischen Farben zeigte sie die kleine rote Raubkatze.»Und welche Nationalität haben Sie, lieutenant!»
Der Mann hob die Schultern.»Ich stehe natürlich im Dienst des Fürsten Muljadi.»
Jetzt lächelte Bolitho.»Natürlich«, wiederholte er und fügte schärfer hinzu:»Ich wünsche unverzüglich Ihren Kapitän zu sprechen, um gewisse Dinge zu erörtern.»
«Aber selbstverständlich, m'sieur.»
Wieder glitten seine Blicke über die Männer an Deck, von einem zum anderen. Berechnend. »Capitaine Le Chaumareys ist damit einverstanden«, fuhr er fort,»daß ich als Pfand für Ihre, äh, Sicherheit hier an Bord bleibe.»
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