Doch vernachlässigen wir Alexanders kultische Handlungen und schauen nach Babylon. Dort, in der großen Metropole des Perserreiches, war man über den Aufbruch der Makedonier noch nicht beunruhigt. Dareios, der sich darum nicht so recht kümmern wollte, ging davon aus, dass seine Satrapen, die kleinasiatischen Statthalter, den jungen Wilden schon aufhalten würden. Der Großkönig übernahm deshalb nicht selbst das Kommando, sondern überließ es Memnon, einem griechischen Söldner aus Rhodos, die Verteidigungsstellungen zu etablieren. Am kleinen Fluss Granikos in Nordwest-Anatolien trafen Ende Mai 334 Makedonier und Perser das erste Mal aufeinander. Wir können davon ausgehen, dass die Truppen Alexanders sehr erschöpft gewesen sein müssen, sie hatten an diesem Tag in glühender Hitze schon 16 Kilometer zurückgelegt. Doch der junge Feldherr trieb seine Männer an, lenkte geschickt die verschiedenen militärischen Abteilungen gegen die sich heftig wehrenden Perser, exponierte sich selbst ungestüm mit seiner Reiterei und führte sein Heer damit schließlich zum ersten Sieg über die Großmacht. Die Satrapen und Memnon flohen, Tausende griechische Söldner wurden getötet oder als Sklaven in die makedonischen Bergwerke geschickt.
In den folgenden Monaten war Kriegspause. Dareios wusste, dass er nun selber eingreifen musste, und zog ein Heer von 60 000 bis 70 000 Mann zusammen. Im November 333 v. Chr. war es so weit: Bei Issos standen sich die beiden Heere und auch die beiden Feldherren gegenüber. Eine Neuauflage von Granikos wurde die Schlacht allerdings nicht. Diesmal war der Gegner stärker, schien seine Lehren gezogen zu haben aus der Niederlage ein Jahr zuvor.
Doch von einem Moment auf den anderen wendete sich das Blatt. Gegen alle Regeln der Kriegskunst brach Alexander mit seiner Reiterei mitten in die persischen Reihen. Dareios sah sich plötzlich umzingelt von makedonischen Kriegern, verlor die Nerven und floh. Seiner Führung beraubt, brach das persische Heer zusammen und folgte seinem Führer in ungeordnetem Rückzug. Dareios’ Familie -seine Mutter, seine Frau und die Kinder - fielen in Alexanders Hände. Ein Lösegeldangebot schlug er in einem Brief als »Herrscher von Asien« aus, behandelte seine Geiseln aber gut.
Die Schlacht bei Issos gehört zu den großen weltgeschichtlichen Wendepunkten. Alexander sah sich nun als König von Persien, aber von Zufriedenheit keine Spur: Es gab neue große Ziele.
Zunächst verfolgte Alexander nicht Dareios, sondern zog an der Küste entlang Richtung Süden, wo sich ihm alle Städte ergaben. Nur Tyros, die Mutterstadt der Karthager, widersetzte sich, und Alexander brauchte mit enormem taktischen und technischen Aufwand acht Monate, um den Einwohnern eine verheerende und blutige Niederlage beizubringen: 2000 Menschen ließ er - so die Legende -entlang der Küste kreuzigen, 30 000 schickte er in die Sklaverei.
Begleiten wir das makedonische Heer nach Ägypten, dessen Einwohner Alexander einen freundlichen Empfang bereiteten, sahen sie ihn doch als Befreier von der persischen Unterdrückung. Alexander ließ Architekten, Ingenieure, Wissenschaftler und Künstler ins Land bringen, gründete Alexandria, heute mit 4,54 Millionen Einwohnern nach Kairo die zweitgrößte Stadt Nordafrikas. Als Dank machten die Ägypter ihn zu ihrem Pharao, zu ihrem Halbgott. Beflügelt durch diese Ehre und bestätigt durch das Orakel der Oase Siwa in der Libyschen Wüste, fühlte sich Alexander zu weiteren Feldzügen angestachelt. Sie dürfen nicht vergessen: Da gab es immer noch Dareios, der die Zeit inzwischen genutzt hatte, um erneut ein gewaltiges Heer aufzustellen.
Schlachtfeld am 1. Oktober 331 v. Chr. war diesmal Gaugamela im heutigen Irak. Dareios erhoffte sich durch das flache Gelände Vorteile für seine Streitwagen, und eigentlich hätte alles gutgehen müssen für das persische Heer, das wesentlich größer war als das makedonische. Wir machen es kurz: Es geschah das, was niemand für möglich gehalten hatte. Wieder einmal gelang es Alexander, durch geschicktes Manövrieren und taktisch kluge Entscheidungen den Sieg zu erringen. Dareios verlor auch diesmal die Nerven und floh.
Alexander ließ ihn ziehen und begab sich ungehindert nach Babylon, dessen Bewohner ihm zujubelten und den umfangreichen Staatsschatz auslieferten. Er zeigte sich freundlich und tolerant. Den von den Persern zerstörten babylonischen Turm befahl er wieder aufzubauen. Die orientalische Art zu leben und zu herrschen gefiel ihm, und er nahm seinen Regierungssitz in Susa ein. Doch nicht überall lief es so friedlich: Persepolis, die alte Königsstadt der Achä-meniden, gab Alexander zur Plünderung frei - vermutlich als Rache für die Zerstörung Athens 480 v. Chr. und auch auf Druck seiner Soldaten - und ließ dann alles niederbrennen.
Alexander veränderte sich seitdem: Aus dem stürmischen, selbstbewussten jungen Mann, der seine Soldaten begeistert hatte, wurde ein skeptischer, zusehends selbstherrlicher Halbgott. Kaltblütig ließ er tatsächliche und vermeintliche Verschwörer - darunter langjährige und verdiente Vertraute - im eigenen Heer ermorden. Und er rüstete seine Streitmacht für die nächsten Feldzüge. Wir erinnern uns: Dareios war immer noch auf der Flucht. Was Alexander nicht wusste: Der Perser war längst entmachtet. Er war seinen Begleitern lästig geworden und wurde schließlich von Bessos, dem Satrapen von Baktrien, getötet. Alexander fand die Leiche des alten Rivalen abseits des Marschweges in seinem Reisewagen und ließ ihn standesgemäß beerdigen. Bessos hieß nun der nächste Gegner.
Es war der Zeitpunkt für eine markante Wende: Bei Alexanders Soldaten rührte sich erstmals Unruhe ob der tollkühnen Pläne ihres inzwischen 24-jährigen Feldherrn. Eigentlich hatten sie ja alles erledigt, wofür sie gekommen waren. Was einigen von ihnen zunehmend als Wahnsinn erschien, wurde für Alexander immer stärker zur Mission. Er trieb seine Männer unaufhaltsam nach Osten; es begann das, was man den eigentlichen Alexanderzug nennt.
Nach heftigen Partisanenkämpfen in Ostiran ging es nach Afghanistan. Dort vermählte sich Alexander 327 v. Chr. zum Entsetzen seiner makedonischen Begleiter nach persischer Sitte mit Roxane, einem sehr jungen, sehr attraktiven Mädchen, Tochter eines Stammesfürsten in Sogdien. Auch wenn er bei der späteren Massenhochzeit noch zwei weitere Frauen heiraten sollte, blieb Roxane die wichtigste Frau in seinem Leben. Sie begleitete ihn auf allen folgenden Feldzügen.
Im selben Jahr noch ging es bis ans Ende der Welt, wie Alexander und sein Lehrer Aristoteles glaubten: über einen 3000 Meter hohen Pass des verschneiten Hindukusch auf nach Indien. Im Frühjahr 326 v. Chr. überschritt der Makedonier mit seinem Heer den Indus und stieß auf die Streitmacht des Fürsten Poros, dessen hochgerüstete Krieger und Elefanten er nur unter äußerster Anstrengung besiegen konnte. Poros wurde sein Vasall.
Alexander wollte den Ganges und das dahinterliegende Weltmeer, nach damaliger Vorstellung das Ende der Welt, erreichen, wurde aber mit der Weigerung seiner Soldaten konfrontiert, noch weiterzuziehen. Sie waren nach Tausenden von Kilometern erschöpft und ausgebrannt. Alexander war entsetzt und zog sich für drei Tage zurück. Schließlich musste er einsehen, dass es tatsächlich nicht mehr weiterging. Er verkündete den Rückzug, seine Soldaten jubelten. Mit einer Flotte von tausend Schiffen fuhr er den Indus abwärts zum Meer. Der Rückweg durch die Gedrosische Wüste (Be-lutschistan) nach Westen wurde für die Soldaten zum Albtraum. War Indien für viele in Alexanders Zug schon eine Qual gewesen, steigerten sich die Strapazen in der glühenden Hitze ins vollends Unerträgliche. Gerade ein Viertel seiner Männer erreichte Susa. Dort kam es erst einmal zu Racheakten an den Satrapen, die während Alexanders immerhin fünfjähriger Abwesenheit rebelliert und ihn verraten hatten. Danach inszenierte Alexander 324 v. Chr. ein einzigartiges Fest: die berühmte Massenhochzeit von Susa, gedacht als Akt der Verschmelzung von Persern und Makedoniern zu einer neuen Herrenschicht. Neunzig seiner höheren Offiziere sollten sich mit persischen Frauen verbinden. Dazu kamen noch rund 10 000 Soldaten.
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