Doug schüttelte verwirrt den Kopf. »Nein, das wusste ich nicht. Aber was hat das mit dieser Sache zu tun?«
Der junge Polizist griff nach dem Fotoalbum. »Wir haben ein paar Bilder in ihrem Schrank gefunden. Sie hatte sie versteckt.« Er öffnete das Buch, und plötzlich wusste Doug, was als Nächstes kommen würde. »Eigentlich darf ich Ihnen das gar nicht zeigen. Das ist Beweismaterial der Polizei. Der Chief sagt, dass diese Bilder nichts bedeuten, dass sie lediglich der Ausdruck eines gestörten Verstandes sind, wenn überhaupt ...« Er blickte Doug an und schob das geöffnete Album über den Tisch.
Die Bilder waren beunruhigend, gemalt in leuchtenden, grellen Farben, ausgeführt in einem eckigen, expressionistischen Stil. Doug starrte auf das Foto der ersten Leinwand. Ein Mann in einer blauen Uniform, der einen schartigen Baseballschläger hielt, lief über ein Feld aus entsetzten, schreienden Gesichtern. Der Himmel war in einem apokalyptischen Rot gehalten, im selben Ton wie das feurige Haar des Mannes. Das Gesicht des Uniformierten war ein grinsender weißer Schädel.
Das nächste Bild zeigte ein Ungeheuer, ein abscheuliches Geschöpf mit einem Maul voll scharfer Fangzähne, das gut die Hälfte des deformierten Gesichts einnahm. In seinen obszön verdrehten Klauen hielt das Monstrum einen weißen Brief. Die Kreatur bewegte sich eine Straße entlang, an der sich vollkommen identische Häuser reihten, die wie Briefkästen aussahen.
Sämtliche Bilder waren Variationen desselben Themas, ganz eigene und äußerst persönliche Abbildungen eines schrecklichen Postboten.
Auf dem letzten, unvollendeten Gemälde war der Postbote als Sensenmann gekleidet. Die Schneide seiner Sense hatte mehrere Frauen zwischen den Beinen verstümmelt.
»Sie hat es gewusst«, sagte Mike.
Doug klappte das Album zu. »Ja und? Wer wusste es nicht?«
»Aber sie wusste, dass es ihr passieren würde. Haben Sie diese Frauen gesehen? Haben Sie den Baseballschläger gesehen?«
»Ja.«
»Wenn sie es wusste, wissen andere es wahrscheinlich auch. Wir müssen sie nur finden. Das wird ein hartes Stück Arbeit. Die Leute sind zurzeit nicht besonders kooperativ. Aber wenn wir das nächste potenzielle Opfer des Postboten finden, können wir ihn - oder sie - beschatten und Smith gezielt eine Falle stellen.«
Das klang gut, aber Doug glaubte nicht, dass der Postbote ein Mörder war, der methodisch Leute in der Stadt umbrachte. Er war etwas sehr viel Schlimmeres als das. Mord war nur eines der Werkzeuge, die er benutzte, um zu bekommen, was er wollte. Soweit sie wussten, hatte er all die Menschen ermordet, die er umbringen musste. Nun kümmerte er sich um etwas anderes.
Vielleicht würde er als Nächste ihn, Trish und Billy umbringen.
»Ich finde, das ist eine gute Idee«, sagte Doug. »Ich hoffe nur, es funktioniert.«
Mike runzelte die Stirn. »Aber ich brauche Ihre Hilfe. Ich hatte gehofft, Sie ...«
»Tut mir leid. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen da irgendwie helfen kann.«
»Bestimmt können Sie das ...«
»Wollen Sie meine Meinung hören?«
Der Polizist nickte. »Natürlich.«
»Warten Sie nicht darauf, dass er noch einmal zuschlägt. Schnappen Sie ihn jetzt. Jetzt gleich. Legen Sie ihm irgendetwas zur Last, egal was. Wenn nichts an ihm hängen bleibt, auch gut. Aber wenigstens hätten Sie ihn dann für eine Weile aus dem Verkehr gezogen. Und inzwischen - während der Verhöre und dem Gefängnisaufenthalt - vergibt der Postal Service die Stelle vielleicht an jemand anderen, und wir sind Smith für immer los.«
»Das ist Ihr Plan?«
Doug beugte sich vor. »Der Kerl ist ein Betrüger. Ich habe beim Hauptpostamt in Phoenix angerufen. Die haben den Burschen nirgendwo in den Akten. Als dann Sie da angerufen haben, war seltsamerweise der Computer ausgefallen, und meine Geschichte konnte nicht bestätigt werden. Aber Smith ist kein echter Postbote. Wenn ihr einen Postinspektor hierher holen könnt, sind wir wahrscheinlich in Sicherheit. Das Problem ist, dass Sie per Post oder Telefon nicht durchkommen. Sie müssen persönlich nach Phoenix fahren.«
»Kein Benzin«, erinnerte ihn Mike.
»Deswegen sollen Sie den Mistkerl ja ins Gefängnis stecken. Ziehen Sie ihn für eine Weile aus dem Verkehr.«
»Ich weiß nicht ...«
»Na gut, dann stecken Sie ihn eben nicht ins Gefängnis. Aber versuchen Sie wenigstens, einen Vertreter des Postamts aus Phoenix zu holen. Smith ist kein echter Postbote, aber die Autorität des US Postal Service erkennt er an. Zum Teufel - die Post ist überhaupt die einzige Autorität, die er anerkennt!«
»Wie kommen Sie darauf?«
Doug überlief eine Gänsehaut, als er an den irren Tanz des Postboten auf dem Hügel dachte. »Ich weiß es einfach.«
»Ich will ihn trotzdem überwachen.«
»Dann überwachen Sie ihn. Hängen Sie sich an ihn dran. Folgen Sie ihm, wo immer er hingeht. Vielleicht können Sie ihn auf diese Weise erwischen.«
»Aber Sie glauben es nicht?«
»Nein, ich glaube es nicht.«
Mike nahm das Fotoalbum und stand auf. »Ich bin bei der Sache auf mich allein gestellt. Das Polizeirevier steht nicht hinter mir. Der Chief würde explodieren, wenn er wüsste, dass ich mit Ihnen rede.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht genau. Aber ein paar Kollegen sind auf meiner Seite. Tim natürlich. Und Jack und Jeff. Wir wissen alle, was los ist.«
»Ich denke, Sie sollten ihn sich jetzt schnappen.«
Mike ging zur Tür. »Ich denke darüber nach.« Auf der Veranda drehte er sich um. »Es könnte mich allerdings den Job kosten.«
»Es könnte Sie oder mich das Leben kosten, wenn Sie es nicht tun.«
»Vielleicht verschwindet er irgendwann von hier.«
Doug lächelte grimmig. »Nein. Das habe ich auch gehofft. Aber das wird er ganz sicher nicht tun. Er wird niemals von hier weggehen.«
Mike ging zu seinem Wagen, stieg ein und fuhr die Auffahrt entlang. Doug blieb auf der Veranda stehen, bis die Rücklichter verschwunden waren und sich das Geräusch des Motors in der Stille der Nacht verlor.
Doug hatte sich geirrt. Der Postbote verschwand tatsächlich. Am nächsten Tag war er nicht mehr da. Als Doug am Nachmittag am Postamt vorbeifuhr, hatte es geschlossen. Im Polizeirevier sagte ihm Mike, dass ein Officer, der bei der Radarfalle am Stadtrand Dienst tat, John Smiths Wagen in Richtung Phoenix hatte fahren sehen.
Der nächste Tag verging, und der übernächste, und es war immer noch nichts vom Postboten zu sehen.
Als das Wochenende verstrichen war, der Montag kam und das Postamt immer noch geschlossen blieb, fiel allmählich die Anspannung von Doug ab.
Es schien vorbei zu sein.
Der Postbote war verschwunden.
Der Morgen war klar, kühl und sonnig. Es war der erste August. Doug wachte früh auf, duschte, rasierte sich und ging hinaus, um in den Briefkasten zu sehen. Erleichtert stellte er fest, dass dieser leer war.
Als er zum Haus zurückkam, war Trish aufgestanden. Sie machte Kaffee. Als Doug »Guten Morgen« sagte, lag Verärgerung in ihrer Miene, und als er den Gruß wiederholte, gab sie als Antwort nur ein unverständliches Grunzen von sich.
Doug schaltete den Fernseher ein. News at Sunrise, die vertraute, allmorgendliche Nachrichtensendung von NBC, erschien auf dem Bildschirm. Seitdem der Postbote verschwunden war, hatte es keine Probleme mit der Elektrizität gegeben, und auch Gas, Wasser und Telefon hatten ohne Unterbrechungen funktioniert. Das Leben, so schien es, kehrte langsam zur Normalität zurück.
Billy schlief noch. Trish trug Doug auf, ihn zu wecken und zum Frühstück herunterzuholen; sie weigerte sich, ihre kulinarischen Bemühungen zu unterbrechen, ehe Billy nicht auftauchte.
Trish machte Tortillas für alle und verwendete dazu Gemüse, das sie in ihrem Garten gezogen hatte. Sie frühstückten zusammen, und Trish kündigte an, dass sie an diesem Morgen zum Supermarkt fahren und ausgiebig einkaufen würden. Der Küchenschrank war nahezu leer, ebenso der Kühlschrank, und Trish hatte einen Stapel von Rabattcoupons, deren Verfallsdatum beinahe erreicht war. Sie machte sich daran, eine Einkaufsliste zu erstellen, während Doug das Geschirr abwusch und Billy abtrocknete.
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