Doug konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Lage sich zuspitzte und der Postbote nicht mehr als drei oder vier Tage brauchen würde, um zu vollenden, was immer er sich vorgenommen hatte.
Trish kam herein. Sie schwitzte und wischte sich die Stirn ab. »Puh, ist das heiß draußen. Ich hoffe, wir kriegen heute Nachmittag ein bisschen Regen, damit es sich abkühlt. Hat heute schon einer von euch den Wetterbericht gehört?«
Doug schüttelte den Kopf. Billy, der sich die Dick Van Dyke Show anschaute, hatte nicht einmal die Frage gehört.
Trish wusch sich im Badezimmer Gesicht und Hände. Dankbar nahm sie den Teller mit den Hotdogs, auch wenn sich ihr Gesicht eine Sekunde lang verdüsterte, als Doug ihr ein Glas Eistee reichte. Sie ging mit dem Essen auf die Veranda. Doug nahm ebenfalls seinen Teller und folgte ihr nach draußen. Sie setzten sich nebeneinander an den Tisch.
Trish biss in ihren Hotdog. »Was hast du heute Nachmittag vor?«, fragte sie.
»Was ich vorhabe? Ich habe nichts ...«
»Gut. Ich möchte, dass du den Manzanitastrauch neben dem Haus ausgräbst. Ich möchte meinen Garten vergrößern.«
»Hör mal ...«
»Haben Sie etwas Wichtigeres zu tun, Herr Lehrer?«
Er schaute Trish an, und die Besorgnis musste in seinen Augen zu sehen gewesen sein, denn sie blickte zur Seite. »Nein«, sagte Doug, »ich habe nichts anderes zu tun. Ich helfe dir im Garten.«
»Danke.« Sie biss noch einmal in den Hotdog.
Das Telefon klingelte. Doug schob den Stuhl zurück und stand auf. »Ich gehe schon«, sagte er, eilte ins Haus und nahm den Hörer ab. »Hallo?«
Eine Frauenstimme rief: »Hilfe! Um Himmels willen, helfen Sie mir! O Gott! Ich bin hier ganz allein!«
Doug überlief eine Gänsehaut. »Wer ist denn da?«
»Trish? Helfen Sie mir!«
»Hier ist nicht Trish, hier ist ...«
»O Gott, ich höre ihn schon!«
»Was ist denn los? Ich ...«
»Trish!«, kreischte die Frau.
»Trish!«, brüllte Doug. »Komm her, schnell!«
Sie stürzte ins Haus und riss Doug den Hörer aus der Hand. »Hallo?«
»Er ist wieder da!«
Trish erkannte die Stimme. Ellen Ronda. Sie hatte nicht mehr angerufen, seitdem Trish allein in dem Haus gewesen war. Nun war die Hysterie in ihre Stimme gekrochen, hatte sie völlig verändert, sodass Ellen vollkommen fremd klang. Die Frau am anderen Ende der Leitung war wahnsinnig geworden - eine bibbernde Verrückte, eine stammelnde Idiotin.
»Was ist?«, fragte Trish aufgeregt.
»Er verfolgt mich!«, schrie Ellen. »Mit einem Baseballschläger!«
»Beruhigen Sie sich«, sagte Trish. »Bleiben Sie ...«
Dann hörte sie das Klirren von zersplitterndem Glas.
Dann das dumpfe Geräusch eines Baseballschlägers, der gegen eine Wand hämmerte.
»Kommen Sie! Bitte!«, kreischte Ellen. »Bringen Sie die Polizei mit. Er ...«
Es knackte laut, und die Leitung war tot.
Trish ließ den Hörer fallen und ergriff Dougs Hand. »Komm schnell!«
»Was ist denn?«
»Ellen wird überfallen! In diesem Augenblick!«
»Lass uns die ...«
»Dafür ist keine Zeit!« Trish riss die Tür auf. »Du bleibst hier«, rief sie Billy zu. »Schließ die Türen ab! Bleib im Haus!« Sie zerrte Doug über die Veranda zum Wagen. »Nun fahr schon!«
Doug fuhr so schnell er konnte, aber das Haus der Rondas war auf der anderen Seite der Stadt, und es gab keine Abkürzung. Der Bronco raste durch den Bach, dass das Wasser hoch aufspritzte, und rumpelte durch die ausgefahrene Spur. Als sie durch die Stadt rasten, weit über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, schien die Straße verlassen zu sein. Als sie am Postamt vorbeikamen, warf Doug einen raschen Blick hinüber. Der Parkplatz war leer. Selbst der Wagen des Postboten war verschwunden.
Die Vordertür zu Rondas Haus stand weit offen. Doug brachte den Wagen rasch in der Auffahrt zum Stehen und rannte ins Haus, ohne auf Trish zu warten. Er hatte nichts in der Hand und verfluchte sich nun selbst, weil er keinen Wagenheber oder etwas anderes mitgenommen hatte, das man als Waffe benutzen konnte.
Er lief durch das verwüstete Wohnzimmer, durchs Esszimmer ...
Ellen lag auf dem Küchenfußboden. Nackt. Tot. Mit einer Hand umklammerte sie ein Messer. Sie war mit offenem Mund gestorben, hatte geschrien oder zu schreien versucht. Ihr Gesicht war zu einer Fratze des Terrors erstarrt.
Aber es war nicht die obere Hälfte ihres Körpers, die Dougs Aufmerksamkeit auf sich zog.
Er starrte fassungslos auf Ellens Leiche, als hinter ihm Trish hereinkam. Die Beine der alten Frau waren gebrochen, die Fußknöchel in einem unmöglichen Winkel verdreht. Ihr Bauch war aufgeschlitzt, und überall war Blut - auf ihren Beinen, auf dem Boden, auf dem Küchentisch, dick und dunkelrot.
»Mein Gott!«, sagte Trish. »O Gott.« Sie stürzte ins Freie und musste sich übergeben.
Doug versuchte, seine vibrierenden Nerven zu bezwingen, und rief die Polizei.
Sie saßen in Bob Rondas Wohnzimmer und hörten die Geräusche der Polizisten und des Gerichtsmediziners. Doug ertappte sich dabei, wie er auf ein Foto von Bob Rondas, seiner Frau und den beiden Jungs starrte, das auf dem Sims des großen gemauerten Kamins stand. Neben Doug saß eine schweigende Trish. Doug hielt ihre Hand und drückte sie immer wieder, aber sie sagte nichts, und ihre Hand reagierte nicht. Hinter sich hörte er, wie jemand aus der Küche kam.
»Wir kriegen ihn«, sagte Mike. »Diesmal kriegen wir ihn.«
»Ist ein bisschen spät, finden Sie nicht?« Doug stand auf und drehte sich zu dem Polizisten um, doch seine Wut verflog, als er den Ausdruck tiefer Erschütterung auf dem Gesicht des jungen Officers sah.
Mike schloss die Augen und hielt den Atem an. »Ja, das ist es«, sagte er dann. »Viel zu spät.«
Der Gerichtsmediziner kam aus der Tür hinter ihm. Er war ein hagerer, sehniger Mann mit scharfer Adlernase. Er schien der Einzige zu sein, der nicht erschüttert war von dem, was er gesehen hatte. Er reichte Mike ein Klemmbrett mit mehreren Formularen.
»Was war die Ursache?«, fragte Doug.
Der Gerichtsmediziner sah ihn an. »Die Todesursache? Die offizielle Version wird sein, dass sie vergewaltigt und ermordet wurde.«
»Und was ist die inoffizielle Version? Die wahre Geschichte?«
»Die wahre Geschichte? Sie haben es selbst gesehen. Ihr Darm ist zerrissen, ihre Leber und Nieren zerquetscht und ihre Gallenblase zerfetzt. Und das hat irgendein Irrer mit einem stumpfen Gegenstand von der Größe eine Baseballschlägers angerichtet. Ich werde eine Autopsie durchführen und sie gründlicher untersuchen müssen, bevor ich bestimmen kann, wie groß das Ausmaß der Verletzungen ist und welches Organversagen genau ihren Tod verursacht hat.«
Mike überflog die Formulare, unterschrieb das oberste und gab das Klemmbrett dann dem Gerichtsmediziner zurück, der in die Küche zurückkehrte. Mike folgte ihm. Durch den Türrahmen sah Doug zwei Männer in weißen Schutzanzügen, die einen Leichensack aus Kunststoff ausrollten.
Doug setzte sich wieder auf die Couch und ergriff Trishs schlaffe Hand. Einen Augenblick später kam Mike mit Chief Catfield aus der Küche.
»Mister Albin«, sagte der Chief und nickte zum Gruß.
Doug funkelte ihn wütend an und wies mit ausgestrecktem Arm in Richtung Küche. »Also, sagen Sie mir, Chief, hat sie sich auch selbst umgebracht?«
»Das ist nicht witzig, Mister Albin.«
»Sie haben verdammt recht, das ist überhaupt nicht witzig. Ich habe euch Hampelmännern schon vor Wochen von dem Postboten erzählt. Ich habe euch gesagt, dass so etwas passieren wird! Ich habe euch gewarnt! Glauben Sie mir wenigstens jetzt?« Wütend schlug er mit der Handfläche auf die Tischplatte vor sich. »Verdammt!«
»So, wie es aussieht, glaube ich Ihnen, Mister Albin. Aber es ist nicht so einfach, wie Sie denken. Selbstverständlich werden wir Mister Smith verhören. Aber wenn wir keine Fingerabdrücke oder Textilfasern oder andere Beweismittel finden oder einen Zeugen, der ihn am Tatort gesehen hat, gibt es nicht die geringste Möglichkeit, ihn für länger als einen halben Tag festzuhalten.«
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