Ironischerweise wohnten diejenigen, die wohl die geringsten Schwierigkeiten hatten, sich an die neuen Umstände anzupassen, in den Außenbezirken der Stadt; es waren die Leute, die ohnehin unter einfachen Bedingungen lebten. Mit ihren Brunnen, Abwassertanks und den mit Butan betriebenen Generatoren ging ihr Leben weiter wie bisher, während die anderen Einwohner sich an kalte Küche, kalte Duschen und Kerzenlicht gewöhnen mussten.
»Ich hoffe, das geht jetzt nicht die ganze Nacht so«, sagte Trish.
Doug biss in seine Tortilla. »Wahrscheinlich schon.«
Billy ließ seine Gabel fallen, und sie schepperte laut auf den Teller. Er hatte kaum etwas gegessen, hatte die Tortilla nur klein geschnitten und damit herumgespielt.
Trish warf ihm einen strengen Blick zu. »Iss auf«, sagte sie.
Billy stöhnte. »Ich will ...«
Ein Stein krachte durchs Fenster. Das Glas zersplitterte explosionsartig, ohne durch die geschlossenen Vorhänge gedämpft zu werden. Mit dumpfem Knall traf ein zweiter Stein gegen die Außenwand.
»Scheißkerl!«, schrie jemand wütend. Es war die Stimme eines erwachsenen Mannes, nicht die eines Teenagers.
Sofort schob Doug den Stuhl zurück und warf ihn um, als er um den Tisch herum zur Vordertür rannte.
»Lass es!«, rief Trish. Ihr Gesicht war weiß vor Angst. Auch Billy sah verängstigt aus.
Doug spürte, wie sein Herz hämmerte, doch er stürzte trotzdem zur Tür.
Wieder krachte ein Stein gegen die Wand.
Wieder die Stimme: »Scheißkerl!«
Und dann das Geräusch von aufspritzendem Kies und dem aufheulenden Motor eines Pick-up, der davonraste.
Doug riss die Tür auf und kam noch rechtzeitig auf die Veranda, um die Rücklichter des Kleinlasters zu sehen, der zwischen den Bäumen verschwand. Über der Auffahrt schwebte noch eine Wolke aus Staub und Auspuffgasen. Doug blickte auf den Boden. Auf der Veranda zu seinen Füßen lagen mehrere Steine, die ungefähr die Größe von Softbällen hatten. Sie waren mit solcher Wucht geworfen worden, dass sie splittrige Dellen in die Holzwand des Hauses geschlagen hatten. Wie zum Teufel hatte jemand dicht genug an das Haus heranfahren können, um Steine dieser Größe zu werfen, ohne gehört zu werden?
Weiter die Straße hinunter, im stillen Wald, hörte Doug triumphierendes Geheul und Geschrei, das leiser wurde, während der Pick-up sich entfernte.
»Was war das?« Trish stand in der Tür, zitternd, die Hände auf Billys Schultern.
»Ich weiß es nicht.«
»Warum wirft jemand Steine gegen unser Haus?«
»Warum glauben die Nelsons, dass wir ihren Hund getötet haben? Warum hat Todd geglaubt, dass ich ihn verfolge?« Doug blickte seinen Sohn an. »Du weißt nicht, wer das war, oder?«
Billy, noch immer voller Angst, schüttelte den Kopf.
»Ich habe auch nicht damit gerechnet. Kommt, gehen wir rein.« Doug ließ Trish und Billy ins Haus gehen; dann schloss er die Tür hinter sich und verriegelte sie. Morgen würde er jemanden suchen müssen, der das Fenster ersetzte. Er schaute sich im vorderen Teil des Wohnzimmers um. Im Kerzenlicht glitzerten Glasscherben und Splitter auf dem Stuhl und einem Teil der Couch. Für den Fall, dass so etwas noch einmal geschah, würden sie die Möbel umstellen müssen. Sonst bestand die Gefahr, dass Trish, Billy oder er selbst von einem Stein getroffen oder von herumfliegenden Glasstücken verletzt wurden.
Dougs Muskeln waren angespannt. Obwohl er wissen wollte, wer die Steine geworfen und in dem Pick-up gesessen hatte, erkannte er verwundert, dass er nicht allzu wütend auf die Angreifer war. Er betrachtete die Einwohner von Willis immer mehr als Opfer des Postboten oder als Marionetten, die von seinem Willen gelenkt wurden. Es war der Postbote, den Doug für alles verantwortlich machte - vom Tod der Menschen und Hunde über die rassistischen Angriffe bis zum Ausfall der Strom-, Wasser- und Gasversorgung und des Telefons. Oder litt er bereits unter Verfolgungswahn? Nein, so weit hergeholt es auch klingen mochte - Doug wusste, dass es die Wahrheit war. Er schrieb dem Postboten keine Allmacht zu; er erkannte nur eine gegebene Situation an. Er wäre kein bisschen überrascht gewesen, hätte er erfahren, dass der Postbote alle Ereignisse so hatte ablaufen lassen, dass sie in ihm genau jene Art von Zweifeln weckten, die er jetzt verspürte.
Doug schüttelte den Kopf. Er sah wirklich schon Gespenster.
Trish räumte bereits das Abendessen ab. Sie hatten noch nicht zu Ende gegessen, doch ihnen war der Appetit vergangen. Doug ging zu ihr, um ihr zu helfen. Sogar Billy brachte seinen Teller in die Küche, obwohl es ihm sonst nicht im Traum eingefallen wäre, sich freiwillig an irgendwelcher Schwerstarbeit für die Familie zu beteiligen.
Auf der Straße fuhr ein Wagen mit voll aufgedrehter Stereoanlage vorbei, und alle drei verspannten sich, als sie warteten, ob er in ihre Auffahrt einbog. Der Wagen fuhr weiter, der Lärm der Musikanlage und des Motors wurde leiser. Schweigend blickten die drei sich an; dann räumten sie weiter das Geschirr ab.
Der leichte Nachtwind blies den Vorhang vor dem zerbrochenen Fenster ins Zimmer.
Nach dem Frühstück machte Doug mehrere Anrufe und versuchte, jemanden zu finden, der das Fenster ersetzte. Die Firma Harmons brachte das Glas, doch es stand niemand zur Verfügung, der es einsetzen konnte. Hobie hätte gewusst, wie das geht, aber Doug selbst würde nicht einmal den Versuch unternehmen. Abgesehen von den einfachsten und notwendigsten Handgriffen im Haushalt war er für solche Arbeiten völlig ungeeignet. Der Geräteschuppen war eine Sache - er war für Leute wie ihn gedacht und wurde mit einer einfachen Bauanleitung geliefert -, aber das Fenster war etwas anderes.
Doug rief mehrere Handwerker an, die im Telefonbuch aufgelistet waren, aber zwei meldeten sich nicht, und einer lehnte den Auftrag ab. Der Einzige, der in Betracht zog, den Job zu erledigen, ließ Doug wissen, dass die Arbeit über hundertfünfzig Dollar kosten würde und dass er in den nächsten zwei Wochen sowieso nicht dazu kommen würde.
Doug war versucht, das Loch einfach mit Brettern zu vernageln und das Bild eines Fensters davorzuhängen.
Er machte noch ein paar Anrufe und kehrte dann zu dem ursprünglichen Handwerker zurück, dessen Preis nun auf hundertfünfundsiebzig Dollar gestiegen war, offensichtlich als Strafe dafür, dass Doug sich umgehört und jemand anderen zu finden versucht hatte.
Doug legte auf und spürte Trishs Hand auf seiner Schulter. »Hast du die Schlüssel?«
»Wo willst du denn hin?«
»Zu Irene. Ich mache mir wirklich Sorgen. Ständig versuche ich, sie anzurufen, aber sie geht nicht ran, und nach dem, was mit Hobie geschehen ist ...« Ihre Stimme verlor sich; sie brauchte den Satz nicht zu beenden.
Doug holte die Schlüssel aus der Hosentasche. »Ich fahre mit.«
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich allein hingehe. Ich weiß nicht mal, ob Irene mich sehen will. Bleib du lieber hier bei Billy.«
Doug blickte ihr in die Augen und sah tiefe Besorgnis darin. »Es ist gefährlich da draußen.«
»Ich weiß. Ich pass schon auf.«
»Ich könnte dich doch bei Irene absetzen und unten an der Straße parken ...«
»Nein«, entgegnete Trish entschlossen und nahm ihm die Schlüssel aus der Hand. »Ist schon okay. Ich sehe nur nach ihr und komme sofort wieder zurück. Du wirst nicht mal merken, dass ich weg bin.«
»Warum lässt du nicht die Polizei nach ihr sehen? Irene ist eine alte, gebrechliche Frau. Sag ihnen, sie könnte in der Badewanne ausgerutscht sein und sich etwas gebrochen haben, dann schicken die einen Streifenwagen hin.«
»Nein«, sagte Trish und gab ihm einen raschen Kuss. »In zwanzig Minuten bin ich wieder da.«
»Der Tank ist fast leer, aber bis zu Irene und zurück reicht es noch. Geh nicht tanken. Das mach ich später.«
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