»Donnerwetter!«, stöhnte Aluph wie befreit. »Was bin ich froh, euch zu sehen!«
»Mr Buncombe«, rief Mrs Hoadswood, »ist alles in Ordnung mit Euch?«
»Vielleicht hat er ja einer seiner schönen Damen mal ausnahmsweise die Wahrheit gesagt«, begann Beag zu sticheln, während er sich von den Resten einer Schweinebratenplatte nahm. Doch als er die aufgelöste Verfassung seines Freundes und dessen Gesichtsausdruck sah, verstummte er.
Aluph ließ sich mit einer theatralischen Geste halb über die Tischplatte fallen. »Wenn es doch eine schöne Dame gewesen wäre, Beag!«, sagte er. »Wenn nur! Ihr werdet nicht glauben, was ich durchgemacht habe.«
»Erzählt«, sagte Benedict, der neben dem Feuer saß, und beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Eine gute Geschichte hört man in diesem Haus immer gern.«
Aluph schüttelte seinen langen Mantel von den Schultern und breitete ihn sorgfältig über eine Stuhllehne. (Wie immer die Umstände auch sein mochten, er ließ ihn nie einfach fallen, sondern legte ihn stets ordentlich gefaltet hin.) »Also«, begann er, »ich hatte einen Auftrag, und zwar ausgerechnet von Deodonatus Snoad. Ich sollte seinen Schädel abtasten und ihm die Zukunft vorhersagen. Natürlich habe ich angenommen. Ich stellte es mir interessant vor. Doch inzwischen denke ich, ich kann von Glück sagen, dass ich lebendig wieder aus seiner Wohnung gekommen bin. Dieser Mann ist ein Wahnsinniger!«
»Hmm«, meinte Beag nachdenklich. »Irgendwie überspannt habe ich ihn schon immer gefunden, aber wahnsinnig? Vielleicht verbirgt er ja sein wahres Ich hinter dem geschriebenen Wort.«
»Man muss nur dankbar sein, dass er sich selbst verbirgt«, sagte Aluph aus tiefster Seele und dabei sichtlich schaudernd.
»Was meint Ihr denn damit?«, fragte Mrs Hoadswood und hörte auf zu rühren.
Aluph zupfte sein Halstuch zurecht. »Nun, einen seltsameren Kerl habe ich noch nie gesehen. Er sorgt dafür, dass sein Zimmer stets dunkel ist, und auch von sich selbst lässt er so gut wie nichts sehen. Aber ich bin ziemlich schnell dahintergekommen, warum. Der Mann ist ein Monster. Der gehört in denselben Käfig wie das Gefräßige Biest.« Mit einer dramatischen Geste fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und hinterließ dabei einen glänzenden Schmierer.
»Was habt Ihr da am Kopf?«, fragte Benedict.
Mrs Hoadswood kam näher, um besser sehen zu können. »Es ist dasselbe Zeug wie an Eurem Hosenbein!«
»Tinte wahrscheinlich«, winkte Aluph ab, der viel mehr darauf brannte, seine Leidensgeschichte weiterzuerzählen. »Nein, so ein unangenehmer Mensch!«
Doch bevor er den Faden wieder aufnehmen konnte, krachte und polterte es auf der Treppe und einen Augenblick später kam Juno in die Küche gestürmt.
»Hilfe! Ich brauche Hilfe! Pin wird gerade vom Silberapfel-Mörder überfallen!«
Im Nu leerte sich die Küche. Alles rannte hinaus auf die Straße, wo tatsächlich Pin am Boden lag und mit Mr Gaufridus rang. Beag stürzte sich ins Getümmel und packte den Mann bei den Armen, während Aluph ein Bein zu fassen bekam. Pin sprang auf die Füße und stand nun über seinem Arbeitgeber, der ein wenig verblüfft (oder wütend?) aussah. Pin hielt ihm den Funkenstock unter die Nase.
»Schaut her!«, verkündete Pin mit einer jener schwungvollen Gesten, die Aluph gern auf der anderen Flussseite einsetzte. »Der Silberapfel-Mörder!«
Mr Gaufridus rappelte sich mühsam auf.
»Wenn ich nur einen Moment reden dürfte«, sprudelte er hervor. »Vielleicht kann ich alles erklären.«
Beag sah ihn mit einer seiner gefährlichen Kartoffeln in der Hand scharf an. »Redet also!«
»Ich bin nicht der Mörder«, behauptete Mr Gaufridus. »Ich stelle diese Funkenstöcke nur her.«
Kapitel 35

Enthüllung
Kurz darauf saß Mr Gaufridus an Mrs Hoadswoods Tisch und durfte ihre großzügige Gastfreundschaft genießen. Er keuchte noch immer vor Anstrengung, denn er war bis zur Squid’s Gate Alley hinter Pin und Juno hergerannt, ganz zu schweigen von dem anschließenden Ringkampf im Schnee. Pin, Beag, Juno und Aluph hatten sich entschuldigt, was Mr Gaufridus sehr wohlwollend, wenn auch todernst, angenommen hatte. Benedict, der an dem Gerangel nicht beteiligt gewesen war und es nur aus der Entfernung beobachtet hatte, betrachtete nun neugierig den Funkenstock.
»Das hier ist ein alter«, erklärte Mr Gaufridus und stellte seinen Bierkrug ab. »Ich habe ihn als Hilfsmittel für meine Arbeit entwickelt. Aber dann ist mir eingefallen, dass es womöglich auch andere Verwendungsmöglichkeiten dafür geben könnte, und so habe ich beschlossen, die Stöcke über den Chronicle zu verkaufen. Erst heute Abend habe ich schlagartig begriffen, dass es möglicherweise einen Zusammenhang zwischen dem Funkenstock und dem Silberapfel-Mörder gibt. Deshalb bin ich noch einmal in meinen Laden gegangen.«
»Und wie viele habt Ihr verkauft?«, fragte Aluph.
»Ach, nicht viele«, sagte Mr Gaufridus. »Vielleicht drei oder vier, aber ich kann nicht sagen, an wen.«
»Warum denn nicht?«, fragte Pin enttäuscht. »Einer von Euren Kunden muss der Silberapfel-Mörder sein!«
»Ich kann mir schon denken, warum«, sagte Aluph langsam. »Die Stöcke werden über den Chronicle vertrieben. Als ich meinen kaufte, habe ich bar bezahlt und eine Abholkarte bekommen. Ich musste nur die Karte einreichen, um den Stock zu erhalten. Meinen Namen habe ich nicht angegeben.«
»Und falls einer mit dem Stock Leute umbringen will, gibt er seinen richtigen Namen sowieso nicht an«, sagte Benedict. »Wie ärgerlich das alles!«
Mr Gaufridus erhob sich und wischte über seine Kleidung. »Tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen kann.«
»Ihr seht schrecklich aus«, sagte Pin, der jetzt erst merkte, wie zerzaust sein Meister war. Und apropos Aussehen, was hatte Aluph da eigentlich für einen glänzenden Schmierer an der Stirn?
»Na, das ist vielleicht ein Abend gewesen! Und die halbe Nacht dazu!«, sagte Mrs Hoadswood. »Der arme Mr Buncombe hat ja auch Schlimmes erlebt.«
»O ja!«, bestätigte Aluph, gern bereit, von dem Punkt an weiterzuerzählen, wo er zuvor stehen geblieben war. »Ich habe nämlich deinen Freund Deodonatus Snoad besucht.«
»Der ist gewiss nicht mein Freund!«, schnaubte Pin, der noch immer Aluphs Stirn betrachtete.
»Ich sollte seinen Schädel abtasten«, fuhr Aluph fort. »Aber was für eine unangenehme Erfahrung das war! Er hatte seitlich am Kopf eine ganz und gar ungewöhnliche Erhöhung, enorm groß – in diesem Fall tatsächlich eher ›Beule‹ zu nennen!«
Beag sah Pin an, dann Aluph, dann wieder Pin. Es sah aus, als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen. »Bei allen Heiligen im Himmel!«, rief er.
»Teufel auch!«, rief gleichzeitig Pin.
»Wo genau war diese Beule, Aluph?«, wollte Beag wissen.
»Seitlich am Kopf, das habe ich doch gesagt.« Aluph ärgerte sich ein wenig über all diese Unterbrechungen.
»Rechts oder links?«, drängte Pin.
Mrs Hoadswood sah von ihrem Topf auf und Benedict legte den Funkenstock nieder.
Einen Augenblick musste Aluph überlegen. »Rechts.«
»An deiner oder an seiner Rechten?«
»Sowohl als auch«, sagte Aluph. »Ich stand ja hinter ihm. Warum?«
»Meine Kartoffel«, sagte Beag triumphierend.
Pin streckte die Hand aus und fuhr mit dem Finger über Aluphs Stirn. »Und seht mal …«
»Beim Jupiter«, flüsterte Aluph, und die Farbe wich aus seinem Gesicht. »Und beim Zeus!«
Pins Finger schimmerte silbrig.
Kapitel 36

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