»Ich muss dir etwas über den Silberapfel-Mörder erzählen. Er benutzt einen Funkenstock!«
»Funkenstock?«
»Einen Stock, der Reibungsenergie erzeugt, und zwar genug, um jemanden zu versengen und umzuwerfen.« Ich platzte fast, weil ich ihr die Sache gern ausführlich erzählen wollte, aber gerade schlug draußen die Uhr.
»Hör zu«, sagte ich, »ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich muss zur ›Cella Moribundi‹.«
»Dann begleite ich dich«, sagte Juno spontan. »Ich leiste dir Gesellschaft.« Und damit warf sie sich ihren Umhang um die Schultern und verließ den Raum, wie immer in der Erwartung, dass ich ihr folgen werde.
Kapitel 33

Ein nächtlicher Auftrag
Aluph Buncombe beschleunigte seine Schritte und verfluchte dabei die beißende Kälte. Es war sehr dunkel, eine einzige Laterne musste für die ganze Länge der Straße herhalten, und auch wenn Aluph keine Menschenseele sah, ahnte er, dass er aus düsteren Eingängen beobachtet wurde. Ein Stück weiter die Straße hinunter flog die Tür einer Wirtschaft auf und spuckte zwei Männer aus, die ihren lautstarken Streit im Rinnstein weiterführten. Aluph zögerte. Er bedauerte bereits, dass er diesen ungewöhnlichen Auftrag überhaupt angenommen hatte. Viel lieber arbeitete er am anderen Flussufer. Was immer er auch von den Nordstädtern hielt, dort war er wenigstens in luxuriöser Umgebung.
Aber Aluph hatte schon eine Nachricht geschickt, dass er unterwegs sei; für einen Rückzieher war es ohnehin zu spät. Er riss sich also zusammen und schritt mit vorgetäuschtem Selbstvertrauen weiter, bis er vor dem Haus Nummer 15 stand. Er klopfte an die Tür und wartete. Nach ungefähr einer Minute wurde sie langsam geöffnet und Aluph ließ sein schönstes Lächeln vor der vor ihm stehenden Hexe aufblitzen.
»Ja?«, krächzte sie.
Aluph beherrschte sich, so gut er konnte, und erklärte, dass er gekommen sei, um Mr Snoad zu besuchen.
»Hä?«, schnarrte sie.
»Mr Snoad.«
»Wassiss?«
»Mr Snoad!«, rief er schließlich, nur Zentimeter von ihren wachsartigen Ohren entfernt.
»Oberster Stock.«
»Verbindlichsten Dank«, sagte Aluph und tippte an seinen Hut. Dann trat er ein und schloss die Tür hinter sich. Sofort bedauerte er seine Zusage wieder und jetzt kamen auch noch Angst und Übelkeit dazu. Der Gestank in dem engen Flur konnte sich kaum stärker von dem köstlichen Duft bei Mrs Hoadswood unterscheiden. Die Wände, die er unwillkürlich streifte, waren schmierig und der Boden unter seinen Füßen fühlte sich irgendwie weich an. Nach unten zu schauen wagte er allerdings nicht. Er wollte lieber nicht wissen, worauf er hier stand.
»’n Abend«, sagte ein verdächtig aussehender Kerl, der von links aus einem Zimmer auftauchte. Als er sich vorbeidrängte, hielt Aluph automatisch seine Geldbörse fest. Und das war gut so, denn er spürte tatsächlich im Vorbeigehen die Finger des Mannes über seine Jacke huschen. Der verschlagene Typ ließ ein leises Lachen hören und huschte hinaus auf die Straße. Aluph atmete auf.
Das ist das erste und das letzte Mal, dass ich so was mache, schwor er sich, als er die Treppe hinaufstieg. Entweder am anderen Foedusufer oder überhaupt nicht. Er hatte den Auftrag nur angenommen, weil er hoffte, dass Deodonatus gefallen werde, was er von ihm zu hören bekäme – dafür würde er, Aluph, schon sorgen. Und dann würde Deodonatus ihn vielleicht lobend im Chronicle erwähnen. Aber dass Snoad in einem derart scheußlichen Stadtteil wohnen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Er war stets der Ansicht gewesen, schlechte Werbung sei immer noch besser als gar keine. Jetzt zweifelte er allmählich, ob er überhaupt lange genug am Leben bliebe, um noch etwas von dieser Werbung zu haben.
Er nahm jede Stufe einzeln und ging langsamer, je weiter er sich dem obersten Stock näherte. Dort angelangt, kam er nach der Hälfte des Ganges an die richtige Tür, doch bevor er klopfen konnte, wurde sie langsam geöffnet.
»Mr Buncombe, nehme ich an?«
»Zu Diensten«, erwiderte Aluph und blinzelte in das Halbdunkel. »Ihr seid Mr Snoad?«
»Das bin ich«, kam die Antwort, und die Tür öffnete sich etwas weiter. »Tretet ein!«
Die Stimme klang schroff, beinahe gedämpft, und hatte weder einen nördlichen noch einen südlichen Akzent, wie Aluph auffiel. Der Raum war nur sehr unzureichend beleuchtet: zwei kleine Kerzen an Wandhaltern und der Schein des Kaminfeuers. Bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, blieb Aluph für ein paar Sekunden stehen, wo er war. Das Zimmer war geräumig und erstaunlich gut aufgeräumt, bis auf den großen Tisch, der mit neuen Zeitungen, Papieren und leeren Tintenfässern übersät war.
Aus der Ecke rechts vom Fenster neben dem Feuer kam eine Stimme.
»So macht Euch an die Arbeit!«
»Selbstverständlich, Mr Snoad. Was interessiert Euch also besonders?«
»Ich habe gehört, Ihr könnt aus den Erhöhungen auf einem Schädel wahrsagen«, sagte Deodonatus barsch. »Ich will wissen, was mir in diesem elenden Leben noch bevorsteht.«
»Nun«, sagte Aluph, »Wahrsager bin ich nicht direkt …«
»Was denn sonst?«, unterbrach ihn Deodonatus. »Wenn Ihr nicht die Zukunft vorhersagt, was macht Ihr dann?«
»Es ist nicht so, dass ich nicht die Zukunft vorhersage«, wandte Aluph vorsichtig ein. Wenn Deodonatus es so wollte, konnte er natürlich einen vorsichtigen Versuch in diese Richtung machen. »Es geht nur einfach darum, dass man sich seines zukünftigen Lebenswegs viel sicherer sein kann.«
»Das klingt so, wie ich es mir vorstelle«, sagte Deodonatus. »Kommt nun zur Sache!«
Hmm, dachte Aluph. Das war nicht ganz das, was er erwartet hatte. Er würde auf der Hut sein müssen. Er bezweifelte, dass Deodonatus Snoad für Schmeicheleien empfänglich wäre. Dazu war er zu scharfsinnig.
»Vielleicht ließe sich etwas mehr Licht heranschaffen?«
»Nein«, war die knappe Antwort.
Aluph fühlte sich eindeutig unwohl. »Ähem«, machte er und wunderte sich über seinen eigenen Mut, als er sagte: »Es ist üblich, dass ich einen Teil des Honorars im Voraus erhalte.«
»Auf dem Tisch«, sagte Deodonatus. »Steckt es gleich ein, aber versucht ja nicht, mich zu betrügen. Ich weiß genau, was dort liegt.«
»Das würde mir im Traum nicht einfallen, Mr Snoad«, sagte Aluph. »Schließlich würde es mit Sicherheit morgen früh im Chronicle stehen.«
Aluph ging zum Tisch und tastete nach dem Geld. Das waren freilich nicht die Arbeitsbedingungen, wie er sie gewöhnt war. Endlich schlossen sich seine suchenden Hände um einen Stapel Münzen. Shillinge, dem Gefühl nach. Er steckte sie in die Tasche, wobei er die ganze Zeit ein auf sich gerichtetes Augenpaar spürte.
»Beeilt Euch«, knurrte Deodonatus. »Ich hab nicht den ganzen Abend Zeit.«
Aluph ging zu dem Stuhl, auf dem Deodonatus saß. An seinen Fingern war etwas Klebriges und er wischte es verstohlen am Hosenbein ab. In diesem Augenblick kam der Mond heraus und in seinem blassen Schein konnte Aluph für ein paar Sekunden Deodonatus’ Konturen sehen. Was für ein außergewöhnlicher Anblick! Diese vorgewölbte Stirn, die Knollennase, das tief auf der Brust liegende knubbelige Kinn. Aluph stockte der Atem, doch es gelang ihm, sich zu beherrschen.
»Vielleicht könntet Ihr Euch ein wenig vorbeugen«, sagte er und stellte fest, dass seine Stimme höher klang als sonst. Deodonatus kam seiner Aufforderung nach und Aluph fing an.
Er legte seine Hände auf Deodonatus’ Kopf. »Was für dichtes Haar Ihr habt«, begann er. Er hätte schwören können, dass etwas darin krabbelte.
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