»Auch das habe ich schon einmal gehört.«
Dave und Lloyd stiegen in Lloyds Wagen. Man brachte Dave zu einer Anlegestelle und von dort zum Lastkahn, der jetzt in der Flußmitte verankert war.
»Haben Sie Ihren Revolver dabei?« fragte Lloyd.
»Ja. Aber ich möchte von Ihnen die Versicherung, daß ich ihn nicht brauchen werde.«
»Keine Angst. Sie werden ihn nicht brauchen. Wir schnappen ihn uns, bevor er Sie erreicht hat. Sehen Sie das Stroh dort?«
Dave bemerkte, daß ein großer Bereich in der Mitte des Kahns mit Stroh bedeckt war. Es wirkte ganz natürlich, mit den Sackleinenstücken und dem lose herumliegenden Seil; so, als hätte man auf dem Kahn Vieh transportiert. Dave kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Gut.«
»Sie müssen Manovitch dorthin locken, ohne den Bereich zu betreten. Unter dem Stroh sind Fußangeln versteckt.«
»Okay.«
»Es sollte keine große Mühe machen«, sagte Lloyd.
»Weshalb klingt das in meinen Ohren so wenig überzeugend?« fragte Dave.
Lloyd zuckte die Achseln. »Viel Glück.«
»Ja.«
Das Polizeiboot gab ein kehliges Röhren von sich, dann fuhr es davon. Dave blieb zurück; eine einsame Gestalt, die auf ihren Widersacher wartete. Wirbelndes Grau umgab ihn. In den am Themseufer gelegenen Gebäuden richteten Pressefotografen ihre Kameras auf ihn, waren Zoomlinsen bereit, den letzten Kampf einzufangen. Im Osten brannte das stete Licht, dessen Urheber ebenfalls wartete. Zu seinen Füßen lag ein Mann, der bereit war, aufzuerstehen.
Auf der Albert Bridge ein wenig weiter flußabwärts stand eine weitere einsame Gestalt: Rajeb Patel. Auch er wartete. Rachegedanken erfüllten sein Herz.
KAPITEL VIERUNDDREISSIG
An diesem Morgen waren schwere Schauer über der Stadt niedergegangen und hatten die Kakerlaken in die Gullys geschwemmt, was Manovitch schade fand. Die Tiere hatten die Menschen in Trab gehalten und von den Gedanken an Teufelsverfolgungen abgelenkt. Jetzt waren die schwarzbraunen Käfer wieder dort, wo sie hingehörten, in den Kloaken.
Manovitch wußte, daß man ihn zum Fluß trieb. Er hätte sich jederzeit umwenden und seinen Treibern stellen können, die versuchten, ihn wie einen Leoparden ins offene Gelände zu scheuchen. Aber sein Instinkt riet ihm zu gehen, wohin sie ihn trieben, denn er wußte, daß Peters dort auf ihn wartete. Er würde seinen Körper in Stücke reißen.
Der bedauernswerte Überrest des ursprünglichen Stan Gates führte Manovitch über die Dachfirste in Richtung Battersea-Krematorium. Dabei stellte Manovitch fest, daß die Straßen unter ihm menschenleer waren. Ab und zu entdeckte er einen Mann oder eine Frau, die ihn aus einer ihrer Meinung nach sicheren Entfernung beobachteten. Über ihm brummte ein Hubschrauber, vermutlich ebenfalls zu seiner Beobachtung. Hin und wieder fuhr ein Wagen durch die Gegend.
Manovitch lächelte angesichts dieser albernen Possen. Er wußte, daß er jederzeit Gates’ Körper töten und der Erde entfliehen konnte. Dazu brauchte er sich nur von einem Dach zu stürzen. Offensichtlich hofften sie, ihn verbrennen zu können. Aber zuerst einmal mußten sie ihn fangen. Klar, sie könnten versuchen, ihn zu vernichten, seine Seele mit ihren Feuerwaffen in Gates’ Körper einzusperren. Aber Manovitch war nicht sicher, ob die Spezialwaffen seinen Geist vernichten konnten.
Auf dem Towergelände hatte diese Frau auf ihn geschossen und verfehlt. Die Flammen hatten lediglich einen Arm angesengt. Es war ein ganz normaler Schmerz gewesen, wie ihn Sterbliche spüren, kein Schmerz, wie ihn heiliges Feuer bereitete: sein Geist war nicht verdorrt. Manovitch glaubte, daß er, wenn auch nicht sein Körper, vor diesen Waffen sicher war.
Er blieb im Schutz eines mit Utensilien zum Fensterputzen vollgestopften Dachverschlages stehen. Der Weg vor ihm schien frei zu sein. Er würde bald auf den Boden zurück müssen, was ihm ein wenig Sorgen bereitete. Zwischen dem Gebäude, auf dem er sich befand, und dem Dach des Krematoriums klaffte eine riesige Lücke, die auch ein ausgezeichneter Sportler nicht mit einem Sprung überwinden konnte. Also flog er wie eine Fledermaus.
Der Hubschrauber drehte ab und steuerte das gegenüberliegende Ufer an. Manovitch landete auf dem Krematorium. Eine Polizistin, die ihn von der Erde aus beobachtete, schrie erschreckt auf, als er wie eine Krabbe an dem Gebäude hinunterlief und aus fünfzehn Meter Höhe auf sie sprang, wobei er ihren Körper als Sprungkissen benutzte. Die Wucht des Aufpralls brach ihr das Genick. Das Funkgerät, in das sie gerade noch geschrien hatte, fiel ihr aus der Hand und glitt klappernd in den Rinnstein.
Manovitch schleuderte ihren Körper zur Seite und murmelte: »Das sollte sie lehren, Abstand zu halten.«
Dann stürzte er die Stufen hoch und sprang durch ein Fenster, wobei er sich mehrere Fleischwunden zufügte. Als er mit den Füßen zuerst in der Krematoriumskapelle landete, feuerte jemand aus dem Schatten auf ihn. Das Geschoß schlug in der Wand hinter ihm ein. Flammen schlugen aus dem Putz und versengten seinen Rücken. Aber er empfand nur körperlichen Schmerz. Er hatte recht gehabt.
Er nahm einen Messingteller von einem in der Nähe stehenden Tisch und warf ihn wie einen Diskus in die Richtung, aus der der Schuß gekommen war. Ein Mann schrie auf und fiel aus dem Schatten, den Teller zu einem Viertel in seiner rechten Schulter vergraben. Als er auf den Boden aufschlug, löste sich der Messingteller und rollte unter lautem Geklapper schwankend wie eine Münze vor die Altarstufen.
Manovitch wußte, daß sich noch andere Menschen in dem Krematorium befanden und nur darauf warteten, daß er sich zeigte. Er schlich zum zentralen Bereich des Gebäudes und fragte sich, wo seine Beute stecken könnte. Er war hierhergekommen, um Peters aufzuspüren – nicht, um diese anderen Sterblichen zu töten. Hier gab es eine offene Decke mit Dachsparren aus Hartholz. Manovitch kletterte die Wand hoch und kroch spinnengleich zwischen den Sparren herum. Seine Feinde hielten immer noch auf dem Boden nach ihm Ausschau, nicht wissend, daß er sich jetzt über ihnen befand und auf sie hinunterstarrte.
Nachdem er Stan Gates’ herumschweifende Gedanken untersucht hatte, war er zu dem Schluß gekommen, daß man versuchte, ihn in den Verbrennungsraum zu locken. In einem Krematorium wurden Leichen eingeäschert. Weshalb also sollten sie ihn in ein Krematorium locken, wenn nicht, um ihn zu verbrennen? Peters mußte sich in der Nähe der Öfen befinden.
»Asche zu Asche«, murmelte Manovitch.
Er machte sich ein Bild von den Schlupfwinkeln und Verstecken, die das Gebäude bot, sondierte das Dunkel mit seinen scharfen Augen. Die Dunkelheit war seine Stärke. Er spürte die Schatten, die sich in ihr verbargen, sah sie mit seinem geistigen Auge, wie eine Ratte in einer Kloake, eine Schlange in ihrer Grube, ein Dämon im Höllenschlund.
Hier verbargen sich einige Männer, aber nicht der Mann, den er suchte.
Etwas stimmte nicht. Es war an der Zeit, daß man ihn herausforderte, zu den Öfen lockte. Peters hätte sich mittlerweile zeigen und als Köder anbieten sollen. Manovitch sollte ihm blind nachjagen und ihn angreifen, um sich dann in einem Verbrennungsofen wiederzufinden, den man per Fernbedienung einschalten würde.
Aber Peters war nicht zu sehen.
Manovitch blieb stehen und fragte sich, was er als nächstes tun sollte. Blut tropfte aus seinen Wunden auf den Boden. Von seinem vorteilhaften Posten aus konnte er durch eines der Fenster auf den Fluß hinausschauen. Ein Mann stand dort auf einer Art Floß oder Kahn. Peters.
Da ist er also, dachte Manovitch mit Genugtuung. Sie versuchen, mich ins Freie zu locken.
Peters stand an einem Ende des Kahns und studierte das Krematorium.
Er weiß, wo ich bin, dachte Manovitch. Interessant.
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