Widerwillig öffnete ich das Etui, sah den rätselhaften Inhalt an und kaufte es sofort. Seit langer Zeit hatte mich nichts mehr erregt oder interessiert – dieses Kästchen mit der Maske und dem Pergamentstreifen wirkte auf mich wie ein kühler Trunk auf den Verschmachtenden. Ich steckte es sofort zu mir.
Der Jude nickte mir noch dankbar zu und sagte Segenswünsche vor sich hin. Er verschwand ebenso, wie er gekommen war. Ich sah einen Moment fort, und als ich mich wieder dem Tisch zukehrte, war er verschwunden; das Goldstück hatte er im letzten Augenblick nicht zu nehmen gewagt; es lag dicht bei meinem Arm. Er hatte offenbar einen kurzen, schweren Kampf mit sich selbst gekämpft. Das tat mir recht leid. Ich hätte dem armen Kerl das Geld gerne geschenkt. Ich habe ihn nie mehr in meinem Leben gesehen.
So eilig als möglich fuhr ich nach Hause. Ich hatte eine sehr hübsche Wohnung in der Nähe der Madeleine.
Durch den Diener ließ ich mir ein kaltes Souper holen und blieb zu Hause. Nach dem Essen betrachtete ich das Kästchen und seinen Inhalt aufs genaueste. Vergebens aber suchte ich in meinen Büchern nach einem bekannteren Magier namens Tormento, dessen ›wahre Kleinodien‹ vor mir lagen.«
Ein neuerlicher Anfall ließ Kerdac verstummen. Erst nach langen Minuten, die der Arzt in beständiger Erwartung des Endes, in einer ihm unbegreiflichen Erregtheit durchlebte, öffnete jener wieder die farblosen Lippen, um zu sprechen.
»Ich muß mich eilen«, stammelte er. »Es geht jetzt rasch abwärts. – Ich sprach von dem ersten Abend? – Nun – ich habe das Geheimnis erst nach Wochen, nach einer Zeit nervösen Suchens und Grübelns gefunden. – Es war an einem Septemberabend, als ich wieder einmal die Maske vornahm und den Monatsstein, also den Chrysolith, in die runde Öffnung schob. Ich hatte den Versuch schon hundertmal gemacht. – Wie sonst, so starrte ich auch heute durch das Plättchen gegen das Licht. Im Gegensatz zu anderen Versuchen beschloß ich diesmal zu warten, bis irgend etwas sich zeigen würde, und war bereit, die ganze Nacht auszuharren. – – – Wie lange es dauerte, weiß ich nicht mehr. Sehr lange jedenfalls. Später ging es viel rascher. – Ich sah also stundenlang durch den gelben Stein – wie gebannt. Und plötzlich, ganz von selbst, möchte ich sagen, rief ich den Namen Lilith unzählige Male aus.
Auf einmal war es mir, als bilde sich im Mittelpunkt des durchsichtigen Scheibchens etwas wie eine kleine Wolke. Doch nein – jetzt schien es außerhalb zu liegen, in der Ecke des Zimmers. Mein Denkvermögen begann einzuschlafen – ich sah nur unverwandt die gelbe Wolke an, wie sie wuchs und wuchs und wie es sich in ihr regte. Ich saß wie gelähmt. – Immer deutlicher sah ich die Gestalt einer Frau – einer nackten Frau mit langen Haaren. Dann verlor ich wohl die Besinnung, denn als ich mit dem Gefühl des Erwachens die Hände wieder bewegte, war die Erscheinung verschwunden.
Ich dachte zuerst an eine lebhafte Halluzination, die durch Autohypnose, durch die systematische Überreizung der Sehnerven nur zu erklärlich schien. Ich ging dann aus; den ganzen Abend, selbst im Theater – in einem blödsinnigen Vaudeville tauchte immer wieder das Wort, der Name Lilith in mir auf. Ich erinnere mich, daß ich verschiedenes darüber gelesen hatte. – Eine Teufelin – Adams erste Frau – – – der Succubus des Mittelalters.
Ich war schrecklich müde und ging früh nach Hause. Als ich im Bett lag, schlief ich fast augenblicklich ein. Und ich erwachte fast ebenso schnell – durch die Berührung eines Körpers, der mir nahe war. Eine Frau war in meinem Zimmer – – – schön wie ein Traumbild – in langes, goldenes Haar gehüllt, das knisternd über ihre Schultern floß.
Blaue Fünkchen sprangen durch das Goldgespinst.
Und das Seltsame war, daß ich weder Staunen noch Schreck fühlte. Ich fand es selbstverständlich, daß sie gekommen war. Ich wußte, daß dieser schlanke, biegsame Leib der meiner Geliebten, der Teufelin Lilith, war. Ach – ich hatte sie ja schon gekannt! Ich sah sie gewiß nicht zum ersten Male. Ich kannte die süßen Lippen, diese hellblauen Augen mit den winzigen Pupillen, die geschlitzt waren wie die der Katzen. Und ich suchte nach dem Blutströpfchen, daß sie wie einen Rubin auf der Unterlippe trug. Ich wußte, daß es immer auf ihrem blaßroten Munde zitterte. – Auch dieses gelbliche, dämmernde Licht, das mich mein Zimmer erkennen ließ, erschien mir als etwas längst Gewohntes.
Ich dachte aber das alles nicht – ich fühlte nur – ich fühlte alles – unaussprechlich deutlich und doch mit Worten nicht auszudrücken. So wie man Musik denkt – oder Farben – ich weiß es nicht zu sagen. Nur Wortgedanken, Begriffe waren mir in dieser und anderen Nächten etwas Fremdes, Plumpkörperliches, das mich sofort aus ihren Armen gerissen hätte.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten Töne, Harmonien mit allen Sinnen wahrnehmen, – fühlen, – riechen, sehen – Doch nein! Ich kann Ihnen das nicht sagen –. Es war die Seligkeit. Ich löste mich in eine purpurdunkle Flamme auf – ich verging in Wonnen, die keiner ahnt –. Ich drehte mich in betörenden Lichtwirbeln, – körperlos und doch mit den Sinnen fühlend –. Ich wurde eins mit der Frau –, ein einziges göttergleiches Wesen –.
– – – Als mich mein Diener mit sanftem Rütteln weckte, war es hoher Mittag. Ich stand taumelnd auf –, betäubt, müde und vernichtet. An meinem Halse war ein dunkles Mal – das zerdrückte Kissen trug einen leuchtenden Flecken. Es war Blut – Liliths Abschiedskuß –!
An dem Tag ging ich nicht unter Menschen. Ich wollte niemanden sehen. Das Licht verging wieder, – der Abend kam. Ich lag wieder im Bett und erwartete die Geliebte, als sich meine brennenden Lider senkten. Aber ich schlief die ganze Nacht, traumlos und fest. Sie kam nicht zu mir, – weil ich sie nicht gerufen hatte.
Von nun an lebte ich des Nachts und trug den Tag mit seinem Lärm und allen seinen hellbeleuchteten Häßlichkeiten wie einen Alp. Nachts war ich ein König, – nichts auf Erden glich meiner Herrlichkeit und ich achtete wenig auf den elenden Leib, der fiebernd und blutarm den Flug des Geistes büßte. Ich betrachtete meinen Körper als eine wertlose Maschine, die ebenso lang in Gang bleiben mußte, als es möglich war. Kaum, daß ich das Nötigste an Nahrung zu mir nahm.
Oh, diese Nächte, mein Freund! Alle kamen sie in ihren Monaten, von mir gerufen. Eva, die Mutter der Menschheit, in Jugendschöne, die schlanken Glieder mit seidenweichem Flaum bedeckt, ein Kinderlächeln um den unschuldigen Mund. Astarte, die dunkelbraune Göttin mit den glühenden Augen, im Goldgewand und schwerem, kühlem Schmuck. Selene, blaß und süß in blau-silberner Tunica, Roxane mit dem Duft nach Ambra und gelben Rosen. Mit der blonden Poppäa wandelte ich durch schimmernde Säulengänge. Ihr violetter Mantel raschelte leise, und ich küßte ihr weißes Gesicht. Diana, geschmeidig und sonnverbrannt, erwartete mich unter den Korkeichen der Pyrenäen, und mit der silberbehelmten Semiramis stand ich in der betäubenden Blütenpracht ihrer Gärten. Undine umschlang mich mit dünnen Mädchenarmen und schüttelte lachend blitzende Tropfen aus den grünen Haaren. Zum dumpfen Dröhnen der Handpauken, bei gellendem Pfeifenklang und Harfenrauschen tanzte Salome jenen Tanz, der einst Herodes berückte; ihre dunkelgrünen Schleier waren mit dem Blut des Täufers besprengt. O – noch höre ich Helenas leises, berückendes Lachen und sehe den breiten Erzgürtel, der klirrend von den schmalen Hüften fällt – – –.
Ach – über meine verlorene Seligkeit! – Endlich tat ich das, was verboten war. Es setzte sich in mir fest und wurde zur quälenden Idee. Nahema! – Ich kämpfte und litt. Und ich unterlag. Am ersten Tage des Juni –.
Ich rief sie –. Sie war die Schönste von allen und trug einen weiten Mantel, grau und fein, wie die Flügel der Fledermaus. – Neben ihr erschien alles wesenlos, – Schmerz und Wonne verloren ihre Grenzen – – – jeder Nerv schien für sich zu leben, alles Fühlbare zu ungeheurer Intensität anzuwachsen. Ich weinte vor Glück und wartete auf die Nacht, ich lebte erst, wenn die Dämmerung kam, die die Farbe ihres Mantels trug. Und sie kam Nacht für Nacht. Die anderen Steine hatten für mich ihre Kraft verloren – – –.
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