Ich bin überzeugt, sagte mein Freund nach einigen Tagen, als ich von ihm Abschied nahm, daß diese Flüche, diese Prophezeiungen der Furie mich finden werden. Mein Leben wird sich in Krankheit, Elend, Wahnsinn und Armut verzehren. Der Geist der Abgeschiedenen wird auf meinem Pfade in meine Fußtapfen treten und Gift säen, wo vielleicht noch eine Freude aufsprießen möchte. –
Jetzt fing ich an zu trösten und aus allen Gegenden Hoffnung und Beruhigung herbeizurufen, weil dergleichen Befürchtungen nur allgemein poetische sind, die sich bekämpfen lassen. Die Hoffnung ist wenigstens noch unendlicher, als die weitumgreifende Ahndung dieser gespenstischen Furcht. – Wir trennten uns, und ich erfuhr lange nichts von meinem Franz. Ich war im Auslande und kehrte erst nach einigen Jahren zurück.
Wir hatten uns nicht geschrieben, und als ich nun wieder in meinem Wohnsitze mich behaglich fand, wie überraschte und erfreute mich sein erster Brief. Keine Spur mehr der alten Leiden; alles war vergessen. Durch die Zeit und das Glück war mein Franz zu einem wahrhaft neuen Menschen geworden. – Er schrieb mir nämlich von seiner bevorstehenden Hochzeit. Das schönste Mädchen der Provinz, jung, heiter und unschuldig, hatte ihm ihre Liebe zugewendet: er hatte an demselben Tage, nach Jahren, jenes ihm so wichtige Dokument aufgefunden, als das schönste Brautgeschenk seines vollendeten Glücks. Jene trübe Zeit, so meldete er mir, sei in seinem Geiste nun völlig erloschen, eine neue Jugend blühe ihm auf und er fange jetzt erst an zu leben. In acht Tagen sollte seine Hochzeit gefeiert werden, und er lud mich dringend ein, zu ihm zu kommen, um Zeuge seines Glückes zu sein.
Gern wäre ich diesem Rufe gefolgt, wenn mich nicht mein Oheim, der auf dem Sterbebette lag, vierzig Meilen weit von hier hinweg gerufen hätte. Der Fürst, der unsern Freund am meisten haßte und verfolgte, war auch seitdem gestorben, und so ließ es sich denn nach aller menschlichen Aussicht und Berechnung so an, daß alles Ahnungsvolle, Drohende, Unheilbringende verlöscht, eingeschlafen und vergessen sei und sich Geister des Glückes und der Lust vor den Lebenswagen unsers Freundes spannen würden. –
Hier schwieg der Erzähler, und Graf Blinden fragte: Ist denn damit die Geschichte aus?
Wie Sie wollen, antwortete Blomberg.
Wie Sie wollen? rief Sidonie heftig: Sie sind mit Ihren weit ausgreifenden Reden unausstehlich, wenn jetzt nicht noch ganz andere Sachen kommen.
Ich will mich erst am Tee erquicken, erwiderte Blomberg ruhig, nachher, wenn der Abend so recht still geworden ist, wollen wir sehen, ob die Geschichte noch eine Fortsetzung zuläßt.
Wenn die übrigen nur neugierig schienen, so konnten alle bemerken, daß sich der junge Graf Theodor in der größten Spannung und Aufregung befand. Anselm wandte von diesem kein Auge und schien eine Art von Schadenfreude zu empfinden, daß Theodor von der Erzählung so ergriffen war. Er wechselte Blicke mit der stets lebhaften Sidonie, die auch den Grafen Theodor mit ihren schönen Augen prüfte, als wenn diese Begebenheiten, die vorgetragen waren, auf ihn eine besondere Beziehung hätten.
Als man sich um den Teetisch versammelt hatte, suchte Theodor der schönen Sidonie nahezukommen.
Er sprach leise und sehr eifrig mit ihr und Graf Blinden beobachtete indessen Anselm, der still und fein über diese lebhafte Unterredung lächelte. Wie kann man nur so dringend sein? sagte Sidonie endlich laut.
Wovon ist denn die Rede? fragte der alte Blinden; wenn es erlaubt ist, sich danach zu erkundigen.
Mein junger Freund, sagte Sidonie, will mich berauben, und fordert mit Ungestüm eine meiner Locken, die ich ihm, wie er behauptet, schon seit langem versprochen habe.
Sie können es nicht leugnen, Sidonie, sagte Theodor mit lauter Stimme, und ich muß mein Recht behaupten, da aus meiner Privatangelegenheit einmal ein öffentlicher Prozeß gemacht worden ist.
Wollen Sie mich zum Schiedsrichter annehmen? fragte jetzt Anselm mit lachender Stimme.
Sie, Baron, am wenigsten, antwortete Theodor mit einiger Bitterkeit: Sie möchten zu sehr Partei werden. Auch ist es wohl passender, wenn die schöne Sidonie selbst und allein das Richteramt vertritt.
Es wird sich alles finden, sprach Sidonie, nur müssen wir nichts übereilen wollen. Wenn der Richter frei und heiter stimmen soll, so muß man ihm nicht durch Andrang und Vorwürfe die heitere Laune verderben.
Die Wirtin, welche das Verhältnis der beiden jungen Leute kannte, und wie sehr Theodor eine Verbindung mit Sidonie wünschte, suchte durch eine Erzählung alle zu zerstreuen, weil sie immerdar Anselms eifersüchtigen Ungestüm fürchtete, der sich keine Mühe gab, seine ziemlich feindliche Stimmung gegen Theodor zu verbergen.
Mit dem Abend trat ein sonderbares Wetter ein. Dunkle Wolken jagten sich durch den Himmel, plötzliche Finsternis wechselte mit Helle; zuweilen klatschte der Regen gegen die Fenster, dann vernahm man wieder Windesbrausen, welches über die Wälder dahinfuhr. Das ist eine schauerliche Witterung, sagte Blinden, die paßt so recht, daß man sich am Kamin etwas gräßliche Geschichten erzählt. Wenn man auf den großen Teich da unten hinblickt, der nur von Zeit zu Zeit sichtbar wird, so hat er auch, wie der Wind stoßend drüber hinkräuselt, vor innigem Schauer eine Gänsehaut. Lieber Blomberg, jetzt wäre die rechte Stunde, Ihre Geschichte zu endigen.
Die Bedienten hatten bei der naßkalten Witterung ein Feuer im großen Kamin gemacht, welches jetzt laut knisternd hell aufloderte. Anselm sprach heimlich mit Sidonie, und jetzt beobachtete Theodor ihre Blicke und Mienen. Indem er sich nahte, sagte das Fräulein: Nachher, lieber Theodor, sprechen wir miteinander, lassen Sie jetzt den Baron in seiner Erzählung fortfahren, und ich wünschte nur, daß er uns recht zu fürchten macht, denn ich liebe dergleichen.
In wahren Geschichten, warf Anselm dazwischen, wofür sich diese doch ausgibt, kommt dergleichen nicht vor. Denn was wir bis jetzt von dieser Zigeunerin, der Sibylle, dem väterlichen Fluch und dergleichen mehr vernommen haben, macht keinen großen Eindruck. Alles dieser Art ist nur von einer zweideutigen Wirkung, denn der Leser oder Zuhörer muß dem Erzähler schon mit gutem, ja sogar dem besten Willen entgegenkommen, damit nur eine Täuschung, geschweige ein tiefer erschütternder Eindruck möglich werde. Jene Poesien und Märchen aber, die darauf ausgehen, uns Schauder und Entsetzen zu erregen, verabscheue ich geradezu, und sie waren mir schon in meiner Kindheit verhaßt. Gibt es etwas Unsinnigeres, als daß ich mir freiwillig ein Gefühl errege, welches mich peinigt, ängstigt und quält? Ich verlange von der Dichtung, daß sie mich in einen behaglichen Zustand versetze, der mich die Wirren und Ängste des wirklichen Lebens vergessen macht. Darum rühren mich auch jene fantastischen Märchen niemals.
Weil es Ihnen wohl an Fantasie gebricht, versetzte Theodor. Wer bloß Schreck und Angst empfindet, und wem in jenem süßen Grauen sich nicht das Rätsel des Lebens in einem halbverständlichen Wunder darlegt, der kann freilich zu jener geistigen Region keine Einlaßkarte bekommen.
Da geraten wir, sagte Anselm höhnisch, freilich auf jene bahnlosen Schmuggler-Pfade, auf welchen so viele ästhetische Contrebandiers verdächtige und verbotene Ware aus dem Gebiet des Unsinns in das Land der Vernunft hinüberpaschen wollen.
Theodor wollte wiederum antworten, aber die alte Baronin nahm das Wort, indem sie freundlich sagte: Meine Freunde, wir Frauen verstehen nichts von diesen gelehrten Disputen, Sie müssen uns erlauben, uns an dergleichen wie die Kinder zu ergötzen. O es ist gar so hübsch, in guter Gesellschaft sich so recht zu fürchten, vor dem Schatten an der Wand zu erschrecken, uns bei jedem Geräusch umzusehen und endlich mit Grauen und Angst in das Bett zu steigen. Wird man recht übermannt, so muß wohl gar unter allerhand Vorwänden die Kammerjungfer in derselben Stube schlafen, und man spricht und fragt, um sich zu überzeugen, daß sie noch da ist. Wir sterblichen Menschen haben gar seltsame und gar mannigfaltige Vergnügungen, und wen soll man darum schelten, daß wir so eingerichtet sind?
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