Ich versprach, zu versuchen, was der vernünftige Mann verlangte, denn ich selber hatte mir schon dasselbe sagen müssen. Als ich aber dem Freunde am folgenden Tage deshalb Vorstellungen machte, fand ich die Aufgabe viel schwieriger, als ich sie mir gedacht hatte, denn er war in diesem Punkte unzugänglich. Erst als ich meinen Bitten Tränen zugesellte, als die leidende Frau endlich selbst auf meine Seite trat, weil der Wunsch in ihr lebendig war, daß der Arzt ihrem Gatten helfen möchte, gab er nach; doch bedang er sich aus, daß, was er uns vortragen werde, im stillen Zimmer bei mir geschehen müsse, von keinem Diener gestört, denn er könne seiner Frau nicht zumuten, bei der Erzählung zugegen oder nur in der Nähe zu sein.
So ward es auch eingerichtet. Mein Gartenstübchen war so still und einsam, daß keine Störung zu besorgen war, nach dem mäßigen Abendessen sendete ich die Diener fort und befahl, mich jedem möglichen Besuch zu verleugnen. Bei der Kranken blieben ihre Kammerfrauen; und eine Dame war auf mein Gesuch so freundlich, ihr in Abwesenheit des Mannes etwas Leichtes und Erfreuliches vorzulesen.
Nun saßen wir also in meinem trauten Zimmerchen, beim Scheine zweier Kerzen, indessen draußen vor dem Fenster die Bäume im Sommerwinde lieblich säuselten.
Aber jetzt, geehrte Freunde, sagte der Baron Blomberg mit erhöhter Stimme, mache ich von der Freiheit Gebrauch, im Namen meines Freundes selbst und nicht in der dritten Person zu erzählen. Ich schrieb damals jenes seltsame Bekenntnis sogleich nieder, deshalb sind mir noch jetzt alle Umstände gegenwärtig. Ich habe bisher diese Erzählung noch niemand mitgeteilt, jetzt, nach so manchem verfloßnen Jahre, kann sie, in diesem Kreise vorgetragen, keinen Anstoß erregen, oder irgend jemand auch nur einen leichten Verdruß verursachen. –
Theodor stand auf und putzte die Kerzen, Anselm legte Scheite Holz in den Kamin, die Wirtin setzte sich begierig in ihren Lehnsessel zurecht, Sidonie sah erwartend um sich, und der kranke Graf Blinden nahm das Barett vom Haupt, um noch besser hören zu können.
Also denn, begann Blomberg, der kranke Freund saß auf meiner Stube im Sofa, der Arzt und ich waren ihm gegenüber, und langsam, oft pausierend, weil ihm das Sprechen sauer wurde und er mehr wie einmal der Ruhe bedurfte, begann Franz auf folgende Art, denn in seiner Person erzähle ich, und ich ziehe es vor, unmittelbar aus der Erinnerung zu sprechen, statt jene Blätter Ihnen vorzulesen. –
– Ja, mein Freund Blomberg, krank und sterbend siehst Du mich wieder, eben so elend ist meine Gattin, die noch vor zwei Jahren ein Musterbild der Gesundheit und Schönheit war.
Die Klausenburg ist zur wüsten Ruine geworden, die uns einigemal so traut und heimisch bewirtete, Gewitter und Brand haben sie zerstört, und was von Holzwerk und brauchbaren Steinen übrigblieb, haben meine grausamen Gläubiger, mir zum Hohne, herausgerissen und für geringes Geld verkauft. Du weißt es, mein Freund, welcher Glaube oder Aberglaube mich verfolgt, doch braucht davon unser lieber Arzt nichts zu erfahren, denn dies hat äußerlich keinen Einfluß auf mein nächstes Schicksal, auch habe ich von meinen neuesten Begebenheiten so viel Sonderbares vorzutragen, daß es hinreichen wird, den gelehrten Doktor mehr als vollkommen zu überzeugen, daß ich wahnsinnig sei. –
Bei dieser Einleitung begegneten sich meine Blicke mit den forschenden des Arztes, dann betrachteten wir beide wieder prüfend den bleichen Kranken, welcher jetzt mit größerer Lebhaftigkeit also fortfuhr: –
So jung ich auch noch war, so hatte ich mein Leben doch schon aufgegeben, denn ich hielt es für völlig beschlossen. Wie aber zuweilen wohl die Kraft eines schönen Frühlings einen abgestorbenen Baum von neuem belebt, daß seine Zweige wieder grünen, und aus dem Laube eine Blüte wiederum hervorquillt, so begegnete es auch mir. In menschenfeindlicher Stimmung reiste ich im Lande umher und verweilte in einer kleinen Stadt, welche in einer anmutigen Gegend liegt und in welcher ich, als ich meine Briefe abgab, interessante Menschen kennenlernte. Ein freundlicher Mann, ein sehr weitläufiger Verwandter, führte mich in das Haus ein, wo ich meine teure Elisabeth zum ersten Male sah, und schon beim zweiten Besuch mein Herz und meine Ruhe verloren hatte. Wozu Beschreibung von Reizen und Vollkommenheiten, welche verschwunden sind? Ich war bezaubert und schmeichelte mir bald, daß man meine Gefühle verstand, und nach einiger Zeit, daß man sie vielleicht erwidern könne. Elisabeth lebte im Hause einer alten Tante, beide waren nicht wohlhabend, aber von gutem alten Adel. Ich setzte mich über das Geschwätz und die Verwunderung der Kleinstädter hinweg, daß ich so lange in diesem unbedeutenden Orte verweilte, wo es weder ein Theater gab, um mich zu zerstreuen, noch große, glänzende Assembleen oder Feste und Bälle, um mich zu beschäftigen. Ich war so glücklich, daß ich nur den Tag und die Stunde genoß. Die Familie war sehr musikalisch, Elisabeth eine wahre Virtuosin auf dem Fortepiano, ihre Stimme war gebildet, voll und schön, und sie überraschte mich freundlich dadurch, daß sie meinen vielleicht einseitigen Geschmack für ältere Musik mit mir teilte. Wohllaut, Kunst, freundliche Blicke der schönsten Augen, alles bezauberte mich so, daß Wochen wie Tage und Tage wie Stunden in diesem poetischen Taumel verschwanden.
Ich sprach von der Familie. Auch die Tante war musikalisch und accompagnierte uns auf dem Instrument, wenn wir beide sangen. Es tat mir nebenher auch wohl, mich meiner Talente wieder bewußt zu werden, welche zu üben ich seit langer Zeit vernachlässigt hatte.
Jawohl, Talente, Liebenswürdigkeit, gesellige Gaben, Feinheit des Betragens usw. – so fuhr Franz nach einer Pause fort, in welcher er ganz in sich versunken schien – diese Eitelkeit, diese Vorzüge zu besitzen, haben von je mich und andere unglücklich gemacht. – Wenn ich nun von der Familie spreche, so muß ich jetzt von einer älteren Schwester Elisabeths, von Ernestine reden. Die Eltern meiner Geliebten waren schon früh gestorben. Sie hatten, entfernt von jener kleinen Stadt, in einer Residenz gelebt, und, wie man es so nennt, ein großes Haus gemacht. Dies geschah, ohne ihr Vermögen zu Rate zu ziehen, und so waren sie schon früh verschuldet und verarmt. Wo diese Verwirrung einreißt, wo die Not des Augenblicks immer wieder die Sicherheit von Tagen und Wochen verschlingt, da haben die wenigsten Menschen Stärke und Haltung genug, um in dem Sturme des wiederkehrenden Wirbelwindes das Steuer festzuhalten. Und so war denn in diesen zerstörten Haushalt die wildeste und regelloseste Wirtschaft eingerissen. Die Eltern zerstreuten sich nicht nur an Gastmählern, Putz und Schauspielen, sondern gewissermaßen selbst an neuen und sonderbaren Unglücksfällen. Auf diese Weise beschäftigte sie ihre älteste Tochter Ernestine. Das arme Wesen war als dreijähriges Kind bei Gelegenheiten eines wüsten, tobenden Gelages, wo niemand auf die Kleine achtete, über eine Flasche starken Getränkes geraten, hatte die betäubende Flüssigkeit in sich geschlürft und war dann trunken, ohne es zu wissen, eine hohe Treppe hinuntergestürzt. Das Unglück war kaum bemerkt worden, und als man es nachher inne wurde, nahm man die Sache leichtsinnig. Der Arzt, ein lustiger Freund des Hauses, scherzte mehr über den Vorfall, als daß er die richtigen Heilmittel angewendet hätte, und so zeigten sich denn am Kinde die Folgen bald, die es späterhin der Lieblosigkeit seiner Eltern mit Recht zur Last legen konnte. Brustknochen und Rückgrat waren verschoben, so wie die Arme wuchs, wuchs sie immer mehr in die Mißgestalt hinein. Sie war ziemlich groß, aber um so auffallender war ihr doppelter Höcker, die Arme waren übermäßig dürr, so wie die Hände, Finger und Arme von einer erschreckenden Länge. Auch der hoch ausgestreckte Körper war dürr, und das Gesicht vom sonderbarsten Ausdruck. Die kleinen lebhaften und klugen Augen konnten kaum unter der Knochenwölbung der Stirn und der breitgequetschten Nase hervorblicken, das Kinn war lang und die Wangen eingefallen. So war die Unglückselige eine sonderbare Folie für ihre Schwester Elisabeth. Die Tante, als sie von dem gänzlichen Verfall des Hauses hörte, war hinzugetreten und hatte geholfen, soviel ihre beschränkten Kräfte vermochten. So ward die jüngere Tochter gerettet und blieb gesund, indem die Schwester des Mannes schon vor dem Tode der Eltern beide Kinder zu sich nahm, um sie zu erziehen und auszubilden. Die körperliche Pflege kam für Ernestine zu spät, aber ihr Geist ward gebildet, ihre Talente wurden geweckt. Sie zeigte sich verständig, lernte leicht und behielt, was sie gefaßt hatte. Sie übertraf offenbar die Schwester an Witz und Gegenwart des Geistes. Da sie gern philosophische Schriften las, so übte sie ihr Urteil und zeigte einen so durchdringenden scharfen Verstand, daß selbst Männer oft vor ihren kecken und schroffen Urteilen erschraken. Denn da Schönheit und Anmut sie nicht mit ihrem Geschlecht verbanden, so übte sie nicht selten eine Gewalt aus, die mehr als männlich war. Was aber an das Wunderbare grenzte, war ihr großes musikalisches Talent. Niemals hatte ich so das Fortepiano behandeln hören. Alle Schwierigkeiten verschwanden, und sie lachte nur, wenn man ihr von schweren Passagen sprach. Freilich half es der Unglückseligen sehr, daß ihre Hand und Fingerspannung alles übertraf, was gesunden Klavierspielern möglich ist. Sie war aber auch in der Kunst des Satzes erfahren und komponierte mit Leichtigkeit große Musikstücke, die wir dann oft zu ihrem Ergötzen ausführten.
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