Ich war damals noch nicht geboren, sagte die Wirtin.
In jenen Tagen, sagte Graf Blinden, bin ich niemals in diese Berggegenden gekommen.
Dieser mein Spielkamerad, Franz, fuhr Baron Blomberg fort, erwuchs nicht nur zur Freude seines Vaters, sondern aller Menschen. Er war schön, witzig, beliebt, geschickt als Tänzer und Reiter, und im Fechten konnte sich niemand mit ihm messen. Er hatte sich dem Fürsten vorstellen lassen, dessen Gunst er auch durch sein heiteres Wesen gewann und in dessen Dienst war er nach wenigen Jahren zum Rat emporgestiegen. Wenigen Menschen auf Erden schien ein so glückliches Los bereitet zu sein. Alle Mütter und Tanten in der Nachbarschaft sahen und wünschten in ihm auch den künftigen Mann ihrer Töchter und Nichten, und in der Stadt war er auf den Bällen der vergötterte und verzogene Held der jungen Mädchen sowie der Gegenstand des Neides und der Verfolgung aller männlichen Stutzer. Man begriff es nicht, daß der junge Mann so lange mit seiner Wahl zögerte, und lange wollte man den Gerüchten, die darüber umliefen, keinen Glauben schenken. Es hieß nämlich, es habe sich ein Verständnis mit der Tochter des Fürsten angesponnen. Die beiden Liebenden warteten also, so erzählte man sich im Vertrauen, auf irgendeinen Zufall, auf eine Begebenheit, die ihnen zum Glück ausschlagen möchte, um öffentlich ihre gegenseitige Leidenschaft und ihre Wünsche zu bekennen. Dieser Fall ereignete sich aber nicht, und Jahre um Jahre vergingen, und mit ihnen erloschen die Gerüchte und jene mannigfaltigen Deutungen der vielklugen Politiker.
Plötzlich, als kein Mensch mehr dieser Sache dachte, ward mein Jugendfreund durch die Ungnade seines Fürsten vom Hofe und aus der Stadt verbannt. Alle seine ehemaligen Freunde wichen von ihm zurück. Noch schlimmer, daß ihm die von oben beschützte Schikane einen gefährlichen Prozeß an den Hals warf, der ihn mit dem Verlust seines ganzen Vermögens bedrohte. So sah sich der geschmeichelte, bewunderte und von aller Welt geliebkoste Franz in der schlimmsten Lage und mußte sich gestehen, daß sein Lebenslauf beschlossen und alle glänzenden Aussichten für immer verdunkelt seien.
Ich sah ihn um diese Zeit wieder. Er ertrug sein Unglück wie ein Mann. Noch war er jugendlich schön, und die Heiterkeit seines Humors hatte nur wenig gelitten. Wir bereisten die hiesige Gegend, und da die Klausenburg fast schon eine Ruine geworden war, so hatte er nicht gar weit davon, am Abhänge eines Berges, sich ein niedliches Haus gebaut, von welchem er der schönsten Aussicht genoß. Es ist dasselbe, das eine halbe Meile von hier liegt und jetzt dem alten kranken Förster, dem verarmten Matthias, gehört.
Jenes, rief plötzlich Theodor aus, vor dem sogenannten Eibensteige?
Dasselbe, antwortete Blomberg.
Dasselbe? wiederholte Theodor fast mechanisch und wie in Gedanken verloren.
Aber, warf Anselm lebhaft ein, – was kümmern uns alle diese Dinge? Sorgen wir doch lieber, daß die einleitende Erzählung zu Ende kommt, damit wir nun an den Anfang der Gespenstergeschichte gelangen. Das neue Haus, welches wir, wie ich glaube, alle kennen, ist eben das neue Haus, und jene veraltete Klausenburg ist das Gespensternest. Und von diesem sollten wir etwas mehr erfahren.
Sie machen mich irre, sagte Blomberg verdrießlich, denn wenn ich erst weiter vorgerückt bin und im Namen und der Person meines Freundes Franz erzählen werde, darf ich noch weniger unterbrochen werden und muß mich noch mehr vor Zerstreuung hüten. –
Also, ich fand diesen Franz ziemlich heiter und verständig. Er vermied es, von seinen früheren Verhältnissen zu sprechen, doch war er eines Abends sehr gerührt, als ihm ein Brief den Tod der jungen Fürstin meldete, die am gebrochenen Herzen verschieden war, oder die, wie man später behaupten wollte, willkürlich ihren Tod gesucht hatte, weil sie die Last eines verbitterten Lebens nicht mehr ertragen konnte.
Ich sah wohl, daß eine stille Melancholie meinen Freund in den meisten Stunden beherrschte, indessen war er nicht gemütskrank, es zeigten sich bei ihm keine Spuren von Lebensüberdruß; so daß ich hoffen durfte, sein Unglück und die Schicksale, die er erlebt hatte, würden dazu dienen, seinen Charakter zu läutern und ihm die echte Haltung zu geben, die auch dem Unangefochtenen notwendig ist, wie vielmehr dem, welcher schwere Prüfungen durchzugehen hat.
Es lebte damals ein verwildertes altes Weib in den hiesigen Gegenden und trieb sich bettelnd und halbwahnsinnig in den Dörfern herum. Die Vornehmeren nannten sie scherzend nur die Sibylle, und die gemeinen Leute trugen kein Bedenken, sie geradezu für eine Hexe auszugeben. Man wußte nicht eigentlich, wo sie wohnte, auch mochte sie wohl keine Hütte oder eine ihr zugehörige Einkehr besitzen, weil man sie stets auf den Landstraßen traf und sie allenthalben in der Provinz umherschwärmte. Einige alte Jägersleute wollten behaupten, sie sei noch ein Nachkomme jener berüchtigten Zigeunerbande, welche Graf Moritz vor Jahren verfolgt und zerstreut hatte.
Indem wir in einem schönen Buchenwalde in Gesprächen wandeln, die uns ganz von der Außenwelt abziehn, steht plötzlich, bei einer Wendung des Fußsteiges, diese alte häßliche Sibylle vor uns. Wir waren verwundert, aber auf keine Weise erschreckt, denn wir waren beide in einer heitern Stimmung. Als wir die freche Bettlerin lachend mit einigen Münzen beschenkt hatten, kam sie, nachdem sie schon fortgesprungen war, in Eile zurück, indem sie sagte: Wollt ihr denn für euer Geld nichts prophezeit haben? – Wenn es was Gutes ist, erwiderte ich, so kannst du dir noch einige Groschen verdienen. Ich hielt ihr die Hand hin, die sie mit Aufmerksamkeit betrachtete und dann höhnisch sagte: Ihr habt, guter Gesell, eine ganz miserable Hand, an der jeder, auch der beste Prophet, zuschanden werden muß. So ein mittelmäßiges Geschöpf, wie Ihr es seid, ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen: weder klug noch dumm, weder böse noch gut, weder glücklich noch unglücklich. Ohne Leidenschaften, Geist, Tugend oder Bosheit, seid Ihr so recht einer der ABC-Schüler von unsers Herrgotts dummen Jungen, und Ihr werdet nicht einmal das kleine Verdienst haben, jemals in Eurem Leben Eure eigene Erbärmlichkeit einzusehen. Aus der elenden Hand und dem nichtssagenden Gesicht ist gar nichts zu prophezeien, denn ein solcher trockner Baumschwamm, wenn er nicht erst präpariert und gebeizt ist, kann keinen Funken in sich aufnehmen: so könnt Ihr, Hans von Unbedeutend, in Eurer stumpfen Natur auch nichts erleben. –
Hier erhob sich im Saale von allen Zuhörenden ein lautes Gelächter. Daß Sie diese Rezension so auswendig behalten haben, sagte Anselm, macht Ihnen alle Ehre. – Nun, ist denn diese Prophezeiung in Erfüllung gegangen?
Der gutmütige Blomberg hatte mit den übrigen gelacht und sagte nun etwas empfindlich: Jetzt, Herr Baron, sind bei uns diese Wahrsager ausgestorben, sonst könnten sich unsere jungen Leute auch Rat holen, um an Selbstkenntnis zuzunehmen. Ich trage diese unbedeutende Begebenheit als Geschichtsschreiber mit der gehörigen Treue vor, und es kann dabei von der Kritik meines eignen Selbst nicht die Rede sein.
Sehr wahr, sagte die freundliche Wirtin: Sie, Baron, sind die Güte selbst; und wenn man so über sich selbst zu scherzen versteht, so haben die jungen Leute keine Ursach, aus diesem Scherz Ernst machen zu wollen.
Ich glaube gar nicht, sagte Sidonie mit gespitztem Tone, daß das alte Weib so zu unserm Freunde gesprochen hat, sondern ich meine vielmehr, er improvisiert diesen Panegyrikus, damit wir ihm alle widersprechen und sein Lob in den lautesten Tönen singen sollen.
Dann hat er sich aber über die Maßen verrechnet, meine schnippische Schönheit, sagte Graf Blinden, denn ein solches beifälliges Lachen, wie er es erregt hat, kann gewiß nicht für Widerspruch gelten. Fahren Sie fort, Freund.
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