Er ließ sich nicht irren, und es gelang ihm, wieder einige der Bösewichter zu fangen, die sich grober Missetaten schuldig gemacht hatten. Er befahl, sie gefesselt in einen sichern Kerker zu werfen. Als er, da er alle Leute entfernt hatte, einsam und gedankenvoll nach der Klausenburg zurückritt, empfing ihn am Tore des Schlosses sein alter Kastellan und übergab ihm ein großes Schreiben, welches aus der Stadt und von der Regierung eingelaufen war. Mit ahndendem Verdruß öffnete er das Paket, war aber doch von dem Inhalte desselben überrascht, so daß sich sein Zorn bis zur Wut, ja fast bis zur Raserei steigerte. Die Briefe enthielten nichts weniger als eine peinliche Anklage auf Mord und Hochverrat, indem der Graf sich durch Willkür und Anführung einer bewaffneten Schar, der Regierung als Rebell gegenübergestellt habe. Fast bewußtlos ließ er diese unsinnigen Briefe fallen, sammelte sich dann mit Gewalt und ging nach seinem Zimmer, um nach einiger Zeit diese Anklage ruhiger zu überlesen und zu bedenken, wie er sich ihr entgegenstellen solle. Indem er vor dem Schlafzimmer seiner Gemahlin vorbeiging, hörte er drinnen reden und ihm unbekannte Stimmen. Hastig öffnete er die Tür, und was er jetzt erblickte, darauf war er freilich nicht vorbereitet. Zwei schmutzige, in Lumpen gekleidete alte Zigeunerinnen saßen an dem Bett der Kranken, und prophezeiten dieser ihr Schicksal, indem sie widerlich ihre häßlichen Gesichter verzerrten. Mit Recht entsetzte sich die Wöchnerin, als sie ihren Gemahl eintreten sah, denn was er jetzt tat, war unmenschlich. Wut ergriff ihn, und er wußte nicht, was er tat. Bei den greisen langen Haaren faßte er die Prophetinnen, riß sie zur Tür und warf sie die hohe steile Treppe hinab. Seine Leute liefen zusammen. Diesen befahl er, sie unten an der steinernen Säule festzubinden, ihnen den Rücken zu entblößen und sie so lange und so heftig mit Peitschen zu züchtigen, bis den Dienern seiner Grausamkeit die Kräfte entwichen. So geschah es. Er hatte sich in sein Zimmer eingeschlossen, und als er zu sich kam, erstarrte er selbst über sich, zu welcher Unmenschlichkeit er sich habe hinreißen lassen. Durch ein lautes Pochen an der Tür wurde er aus seinen Gedanken aufgeschreckt. Er öffnete, und mit allen Zeichen der Angst trat ein Diener herein, welcher sagte: O mein gnädiger Graf, ich fürchtete, Sie seien krank, wohl gar tot, denn ich klopfe schon lange, und Sie müssen mich nicht gehört haben. – Was willst du? – Die älteste, antwortete der Diener, von den garstigen Hexen will Sie durchaus auf eine Minute sprechen, bevor sie das Schloß verläßt. Sie läßt sich durchaus nicht abweisen, und die härtesten Drohungen und Flüche fruchten bei dem alten Weibe nichts. – So ließ der Graf denn die Gemißhandelte in sein Zimmer heraufsteigen. Der Anblick der Armen war zum Entsetzen: der Graf selbst schauderte zurück. Ganz mit Blut beronnen, Gesicht und Arme zerschlagen, eine tiefe Wunde am Kopfe, die man noch nicht verbunden hatte: so trat sie vor ihn. Ich danke dir, so fing sie an zu sprechen, mein gütiger Bruder, für deine christliche Freundlichkeit, die ich in deinem Schlosse genossen habe. Ja wohl bist du ein tugendhafter Mann, ein Verfolger des Lasters, ein unparteiischer Richter und Bestrafer der Untaten. Nicht wahr, ein Racheengel im Dienst deines Gottes? Ist es dir denn bekannt, weichherziger Mensch, weshalb wir am Bette deines Weibes saßen? Ja, wir hatten ihr gewahrsagt, aber eigentlich wollten wir dich sprechen, und du warst nicht in deinem gastlichen Hause. Wir hatten den Wunsch, uns von der Bande zu trennen, und ein bescheidenes ehrliches Unterkommen zu suchen. Wir kennen den Schlupfwinkel, wo sich der Haupt-Anführer versteckt hält, jener so weit berüchtigte Mordbrenner, den du so lange vergeblich gesucht hast: den wollten wir dir verraten. Aber du bist ärger, als der Verruchteste in unserer Bande, und da du uns so viele Liebe heute bewiesen hast, so wird auch dafür der Fluch auf dich und deine Familie fallen, und auf deine Nachkommen bis in das dritte und vierte Glied hinab! –
Der Graf, der schon längst seinen Jähzorn und seine Übereilung bereute, wollte die furchtbare Alte besänftigen, er sprach ihr gütlich zu und reichte ihr, um sie zu versöhnen, seine Börse, die mit Gold angefüllt war. Einen giftigen Blick tat die Alte wie gierig auf das Gold, und warf dann mit den Zähnen knirschend den Beutel dem Grafen vor die Füße. Der Mammon da, schrie sie, hätte mich und meine arme Schwester glücklich gemacht, aber jetzt nach dem Mittagsmahle, das du uns gegeben hast, will ich lieber die Rinde der Bäume nagen, als von deiner vermaledeiten Hand diesen Reichtum nehmen. – So fuhr sie fort und war sinnreich und erfinderisch in Flüchen, die sie aussprach, und in Qualen und Unglücksfällen, die sie ihm und seinem Hause verkündigte. Als sie geendigt hatte, ging sie wankend die steinerne Treppe wieder hinunter, und alles Gesinde floh vor ihr wie vor einem Gespenst.
Von diesem Augenblicke war der Graf ein verwandelter Mann. Seine Kraft war gebrochen. Er lebte seitdem wie ein Träumender, der keinen Willen hat oder einen Entschluß fassen kann. Seine Umgebung konnte nicht erfahren, ob es ihn tief erschütterte, als seine Gemahlin in der Mitternacht nach diesem verhängnisvollen Tage starb. Selten hörte man ihn von jetzt an sprechen oder einen Laut, selbst Seufzer oder Klagen ausstoßen. Er kümmerte sich um nichts mehr, und es schien ihm gleichgültig, als die Regierung sein größtes Gut einzog, um ihn als Rebellen und Übeltäter zu bestrafen. In dieser Stimmung seines Gemütes gab er sich ganz in die Hände jener Priester, die er vorher so auffallend vermieden hatte; er besuchte die Kirche fleißig und betete mit Inbrunst. Er sah sich nicht um, wenn die andern hinter ihm herriefen: Da kriecht der alte Bösewicht, der Landesverräter, der Mörder und Rebell wieder in das Gotteshaus hinein! So benutzten denn einige Verwandte seinen Blödsinn, um ihm in einem Prozeß ein zweites großes Gut zu entreißen, und es hatte fast den Anschein, als wenn seinem einzigen Erben, einem schönen Knaben, nichts von den großen Besitzungen seiner Vorfahren übrigbleiben würde, wenn sich nicht ein verständiger Vormund des Kindes mit aller Kraft angenommen hätte.
Soweit, beschloß Theodor seinen Bericht, hat uns Freund Blomberg vorher die Geschichte vorgetragen, als er von Gesprächen, und später durch Ihre Ankunft, Graf Blinden, unterbrochen wurde.
Man hatte unterdessen Erfrischungen umhergegeben, und der Alte sagte: Wollen wir die Fortsetzung nicht doch auf morgen versparen? Die Wirtin stimmte am lautesten diesem Vorschlage bei, indem sie ausrief: Mir ist es lieber, denn da noch die Rede von Gespenstern sein soll, so brauche ich mich wenigstens heut nicht mehr zu fürchten.
Man trennte sich, und Theodor und Anselm bestiegen ihre Pferde, um noch in der Nacht in verschiedenen Richtungen nach ihrer Heimat zu kehren.
Am folgenden Tage war die schöne Sidonie wirklich angelangt. So wie ihr Charakter sich immer zeigte, blieb sie sich auch hier getreu, denn sie sagte ihren älteren Verwandten keine Entschuldigung darüber, weshalb sie nicht früher erschienen sei; man nahm nur aus ihren Erzählungen ab, daß Launen und Eigensinn sie unterwegs länger aufgehalten hatten. Diese zufälligen Mitteilungen mußten der ehemalige Vormund sowie die Tante für Rechtfertigung ihres Betragens gelten lassen.
Es ist eine ausgemachte Sache, fing der Freiherr Blomberg nach Tische an, daß wir auf Reisen eigentlich niemals wissen können, wohin wir geraten werden. Es sind nicht immer die Pferde allein, welche keine Vernunft annehmen, sondern Postillone, ja Postmeister sind zuweilen noch schlimmer, des Wetters, der verdorbenen Wege und zerbrochenen Räder gar nicht einmal zu gedenken. Und wie es Unglück gibt, so oft auch im Elend selbst ein unbegreifliches Glück. Es ist noch nicht so lange her, daß ein Vetter von mir mit seiner jungen Frau und einem kleinen Kinde drüben auf meinem kleinen Gute ankam, und der Wagen fiel im Hofe sogleich um, indem sie absteigen wollten. Aber kein Wunder, denn er hatte nur drei Räder. Wir erstaunten nur, daß die Reisenden nicht früher umgeworfen hatten, und noch unbegreiflicher wurde die Sache, als die Diener im Walde, eine Viertelmeile hinein, das fehlende Rad an einem Baume ganz nachlässig angelehnt fanden. So hatte sich also der Wagen, ohne daß irgendwer den Mangel bemerkte, von selbst im Gleichgewichte gehalten, und die Freunde waren unbeschädigt angelangt. Und doch dürfte keiner deshalb ein viertes Rad am Wagen für so überflüssig halten, wie jenes berüchtigte fünfte. In meiner Jugend war ich einmal gezwungen, in den kürzesten Wintertagen eine ziemlich weite Reise beim abscheulichsten Wetter zu machen. Einen eigenen Wagen besaß ich nicht, und so mußte ich mich mit jenen Fuhrwerken behelfen, die mir die Postmeister gaben, und die oft nichts weniger als bequem waren und ein seltsames Aussehen hatten. Solange ich in der wohlhabenden menschenvollen Gegend reiste, war es noch erträglich. Aber nun geriet ich in Heidegegenden, wo Dörfer und Städte fehlten und Mangel vollauf war. Mit der zunehmenden Kälte verwandelte sich nun der Regen in Schnee, welcher in Ungeheuern Massen aus den Wolken niederfiel, und Wege, Gesträuche, Gräben und alle Kennzeichen, an denen man sich orientieren konnte, verdeckte. Weil es in diesem Landstriche keine Chausseen und große Heerstraßen gab, war das Fortkommen mit tausend Schwierigkeiten verknüpft und Geduld war das notwendigste Talent, um weiterzugelangen und auszuhalten.
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