Er schnaubte gereizt und fühlte, wie er allmählich wütend wurde. „Nur damit ich das richtig verstehe: Ihr Amateure sollt mir helfen?“
Blade legte die Waffe wieder hin. Dann baute er sich vor King auf und nahm zum ersten Mal seit seinem Eintreffen seine getönte Brille ab, um King einen Furcht erregenden Blick zuzuwerfen. „Ihr seid Kinder.“ Mit einer Handbewegung deutete er auf Kings Kleidung. „Sieh dir doch nur was du trägst. Soll das taktisch klug sein?“ Er las Kings Namensschild. „Und was soll das? Findest du, dass das alle; nur ein großartiger Witz ist? Meinst du, du spielst hier in irgendeiner beschissenen Sitcom?“
King setzte eine beleidigte Miene auf. „Entschuldige, aber wenn ich mich nicht irre, dann haben wir doch vorhin deinen Arsch gerettet.“
Abigail trat vor. Sie hatte mit einer solchen Situation gerechnet. „Hör zu, Blade, mein Vater wollte, dass wir dir helfen. Ob es dir gefällt oder nicht – wir sind alles, was du hast.“
„Als Whistler starb“, mischte sich Sommerfield ein und zeigte auf die bis zum Rand vollgepackte Werkstatt, „aktivierte er ein Notfallprotokoll. Sein gesamtes Wissen wurde auf unsere Server hier übertragen.“
Blades Blick ruhte noch immer auf King. Er starrte ihn kühl an, dann fragte er mit sanfter Stimme: „Und wieso glaubst du, dass du so viel darüber weißt, wie man Vampire tötet?“
King stellte sich ins Licht und klappte den Kragen seiner Jacke nach unten. Zum Vorschein kam vernarbtes Gewebe, das die typische Form eines Vampirbisses aufwies. Zum ersten Mal sah Blade ihn nicht lächeln. „Nun, ein Grund wäre, dass ich selbst mal einer war.“ King sah zu Blade auf, tiefe Schatten überzogen sein Gesicht. „Habe ich damit das Vorstellungsgespräch erfolgreich hinter mich gebracht?“
„Dieser verdammte Hannibal King!“
Im luxuriösen Penthouse der Phoenix Towers schlug Danica mit der bloßen Faust gegen die Wand und rammte ein Loch in das Mauerwerk aus massiven Ziegelsteinen. Als sie die Faust mit einem Aufschrei wieder zurückzog, bildeten sich über und unter dem Loch Risse im Verputz. Ihre Hand war völlig unversehrt geblieben.
Das ganze Zimmer war auf eine beeindruckende Weise möbliert worden. Das Dekor verriet Macht, Geld und einen gewissen perversen Sinn für Ästhetik. Doch es war eindeutig kein Ort für einen Vampir mit einem Wutanfall.
Aber Danica gehörte das alles, und ihr war es völlig egal.
Außer sich vor Zorn schlug sie ein zweites Loch gleich neben dem ersten in die Wand. Dieser Kretin! Wie konnte er einen solchen Auftritt wagen? Monate sorgfältigster Planung waren dahin, und jetzt standen sie mit weniger da als zu Beginn. Schlimmer noch! Blade hatte ihre Gesichter gesehen, so dass es nur noch eine Frage der Zeit war, ehe er beschloss, herzukommen und ihrer Existenz ein Ende zu setzen.
Danica erinnerte sich nur zu gut an die Miene des Daywalkers, als sie ihm sagte, was sie getan hatte. Der unausgesprochene Vorwurf war praktisch zu hören gewesen: Sie hatte Whistler getötet. Blade würde dafür sorgen, dass sie für den Tod des alten Mannes bezahlte.
Und mit King an seiner Seite würde der Daywalker so gut wie unaufhaltbar sein.
Danica wirbelte herum, eine Wolke aus Gips und Verputz folgte ihr. Hinter ihr saßen Asher und Grimwood steif auf Samtkissen, während ihre Wunden versorgt wurden. Grimwood versuchte, nicht zusammenzuzucken, als der Arzt sich bemühte, den Pfeil aus der geschwollenen und geschwärzten Augenhöhle zu ziehen.
Die beiden zu sehen, machte Danica nur noch wütender. Sie ließ ihren Blick schweifen auf der Suche nach weiteren kostbaren Dingen, die sie zerschmettern konnte. Es war so gut wie nichts übrig, doch dann entdeckte sie ein paar zerschlagene chinesische Vasen, die auf dem Boden lagen, aber die nur in wenige Stücke zerbrochen waren. Vor Wut rasend trampelte sie darauf herum, bis nur noch kleine Scherben übrig blieben.
Nahe der Eingangstür standen drei Vampirwachen, die jedes Mal zusammenzuckten, sobald Danica wieder etwas zerschlug. Jeder von ihnen neigte sich nervös zur Seite, um sich möglichst weit von Danica zu entfernen, ohne sich dabei von der Stelle zu rühren. Ein großer Rottweiler saß vor ihnen und beobachtete sie aufmerksam, und neben ihm stand ein kleiner Spitz, der kläffte und mit dem Schwanz wedelte, wenn Danica wieder etwas zerschlug, als wolle er sie noch anfeuern.
Sie fuhr sich durch ihr völlig zerzaustes Haar, dann nahm sie ein edles, in Leder gebundenes Buch vom Kaminsims und schleuderte es mit aller Kraft aus dem zerbrochenen Fenster. Ein leises Klirren war zu hören, als das Buch eine Scheibe in dem Bürohochhaus gleich nebenan durchschlug. „Wir hatten Blade am Haken!“, schrie sie dem Buch hinterher. „Wir hatten ihn! Ich hätte ihm sein Herz aus dem Leib reißen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte!“ Sie wirbelte wieder herum und zeigte vorwurfsvoll auf ihren Bruder. „Und du kommst besser gar nicht erst auf die Idee, mir zu erzählen: ,Ich hab’s dir ja gesagt.’“
Asher hob stumm seine Hand, da ihm nicht daran gelegen war, seine Schwester noch mehr zu reizen. Mit einem Aufschrei setzte sie ihren Tobsuchtsanfall fort und schleuderte eine unbezahlbare Marmorstatue quer durch den Raum. Sie landete auf einem Tisch und durchbrach die gläserne Tischplatte.
Dann endlich gab Danica auf und ließ sich einen Sessel fallen.
Asher zog eine Augenbraue hoch. „Hast du jetzt umgeräumt, was du umräumen wolltest?“
„Leck mich.“
Der Rottweiler löste sich aus dem Schatten und trottete zu ihr hinüber. Unter seinem glatten schwarzen Fell zeichneten sich seine geschmeidigen Muskeln ab. Er setzte sich vor Danica hin, legte seinen schweren Kopf auf ihr Knie und sah sie traurig an.
Asher fuhr unbeeindruckt fort: „Sieh es ein, Dan. Die haben uns kalt erwischt. Wir haben die Nightstalker unterschätzt.“
„Kalt erwischt?“ fiel Grimwood ihm ins Wort. „Die haben uns in den Arsch gefickt! Das trifft es wohl besser… Autsch!“ Er schrie vor Schmerz auf, als der Pfeil endlich aus seinem Schädel gezogen wurde und ein blutiges Loch zurückblieb.
Es folgte eine bedrückende Stille, bis Asher fragte: „Weiß er schon davon?“
„Von eurem Versagen?“
Die Vampire sprangen abrupt auf und erstarrten förmlich, als ein dunkelhaariger Mann den Raum betrat. Er war zwar nicht sonderlich groß, strahlte aber etwas Gebieterisches aus. In seiner Stimme lagen Stärke und Charisma. Nach dem Aussehen zu urteilen, schien der Mann Mitte dreißig zu sein, doch seine Augen verrieten etwas anderes. Die Wachen gingen in Habachtstellung, sogar der Rottweiler winselte und zog sich mit angelegten Ohren in eine Ecke zurück.
Der kalte Blick des Fremden wanderte über die Suite. Danica betrachtete das Chaos, das sie angerichtet hatte, und schien ein wenig zu schrumpfen.
„Ja, ich weiß davon.“ Der Mann ging zu Danica und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Es war nur eine leichte Berührung, aber sie ließ Danica bis in ihr Innerstes frösteln. Sie sah weg, da sie ihm nicht ins Gesicht blicken konnte.
Der Mann nahm von Danicas Unbehagen nichts wahr, oder aber es kümmerte ihn nicht. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Skyline der Stadt. Die kaputte Fensterscheibe reflektierte funkelnd das Licht.
„Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich ins Geschehen eingreife.“
Im Hauptquartier der Nightstalker knöpfte King den Kragen wieder zu und wurde dabei von Blade und Abigail genau beobachtet.
„Kennst du diesen Typ Frau, bei dem man von vornherein nichts als Schwierigkeiten erwarten kann?“ King sah zu Boden, als er sprach. Offenbar musste er mit sich ringen, um darüber zu reden. „Du siehst so eine Frau nur an, und schon schrillen die Alarmglocken los. Dein Gehirn fordert dich auf, sofort das Weite zu suchen, trotzdem fragst du sie nach ihrer Telefonnummer. Das sind die Frauen, an die ich immer gerate.“ King schwieg kurz und dachte zurück an frühere Zeiten. Mit leiser Stimme und einem verschwörerischen Blick in den Augen sagte er dann: „Aber diese Betty hat alle anderen übertroffen.“
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