King duckte sich, als eine Kugel sein Ohr nur knapp verfehlte. „Wir sitzen in der Falle!“ Frustriert wandte er sich zu Blade um. Er hoffte, dass er irgend etwas unternehmen würde. Schließlich sollte dieser Kerl doch ein Superheld sein, aber stattdessen stand er nur da wie eine Schaufensterpuppe für Ledermoden. „Kannst du denn gar nichts machen?“
Blade hob hilflos seine Waffe. „Ich kann nicht um die Ecke schießen.“
„Ich aber.“
Beide starrten zu Abigail und sahen den Blick in ihren Augen. Wie ein Mann traten Blade und King mit einem Mal in den Korridor und belegten ihn mit einem Sperrfeuer, um ihr Deckung zu geben. Während sich die Polizei angesichts dieser Gegenwehr zurückzog und im Treppenhaus Schutz suchte, zog Abigail ein seltsam geformtes Objekt aus einem Beutel, den sie auf dem Rücken trug. Sie drehte einmal kurz mit dem Handgelenk; das Objekt schnappte auf und nahm die Form eines Verbundbogens an. Die Waffe war aus geschwärzten Aluminium gefertigt, in die beiden Glieder waren an den kritischen Punkten Module eingearbeitet, die Vibrationen dämpfen sollten. So sah die Waffe aus, als sei sie mit metallischen Wirbeln überzogen. Blade hatte so etwas noch nie zu Gesicht bekommen.
Dann zog sie einen silbernen Pfeil mit einem Aufsatz an der Basis aus ihrem Köcher, legte ihn am Bogen an und zielte auf einen Feuerlöscher, der am Ende des Korridors an der Wand hing. Im rauchverhangenen Gang war das Ziel nur mit Mühe zu erkennen, doch das musste genügen.
Mit einer fließenden Bewegung zog sie die Sehne zurück und ließ los.
Der Pfeil traf mit einem Scheppern auf den Feuerlöscher und prallte von ihm ab, um seitlich in den Korridor zu fliegen. Einen Sekundenbruchteil später bohrte er sich in die Schulter eines der heraneilenden Vampire, der aufschrie und instinktiv den Pfeil aus dem Fleisch zog. Ein wenig dümmlich betrachtete er den Bolzen in seiner blutbeschmierten Hand und atmete erleichtert aus.
Das war knapp!
Auf einmal war ein leises ,Klick’ und ein Surren zu hören, als das winzige Objekt am Ende des Pfeils sich zu drehen begann, nachdem es beim Einschlag in sein Ziel aktiviert worden war. Zwei weiße Kerben an der oberen Seite stellten sich auf, dann flammte eine rote Leuchtdiode auf. Mit einem erstaunten Blick betrachtete der Vampir das Ding und streckte neugierig einen Finger aus, um das rote Licht zu berühren…
In diesem Moment explodierte die Pfeilspitze in einem grellblauen UV-Lichtschein und erfasste alle drei Vampire. Grimwood schaffte es trotz seines massigen Körpers, sich rechtzeitig zu ducken, um von dem Lichtschein nicht getroffen zu werden, während zwei der Pfleger ihn zusätzlich abschirmten, da sie das UV-Licht in voller Stärke abfingen. Sie gingen in Flammen auf und zerfielen zu Asche.
Der letzte überlebende Vampirpfleger wollte sich in einem Büro verstecken und schlug gerade die Tür hinter sich zu, doch Abigail schoss bereits den nächsten Pfeil ab, der die Tür durchbohrte und im rauchenden Körper des Vampirs stecken blieb. Als er explodierte, war unter der Tür ein kurzes, schmutzig-orangefarbenes Aufflammen zu sehen.
Dann war es an Blade, den nächsten Zug zu machen. Er stürmte durch den Korridor auf die Polizisten zu, die sich im Treppenhaus verschanzt hatten. Abigail und King liefen dicht hinter ihm. Blade packte den Griff der Stahltür zum Treppenhaus und hob sie mühelos aus den Angeln. Dann warf er sie die Treppe hinab, auf der weitere Polizisten als Verstärkung auf dem Weg nach oben waren. Sie wurden von der schweren Tür mitgerissen wie Kegel auf einer Kegelbahn.
Endlich konnten sie das Gebäude verlassen.
Als sie aber die Stufen hinuntereilten, blieb Blade abrupt stehen und rief: „Wartet!“
King und Abigail stockten mitten in ihrer Bewegung und starrten Blade erschrocken an.
„Mein Schwert“, sagte er und hob die Hände. „Es ist noch hier.“
„Bist du verrückt?“ gab King zurück. „Wir sind so gut wie durch. Wir können nicht noch nach deinem Scheißbuttermesser suchen!“
Doch Blade war bereits auf dem Weg zurück nach oben, entschlossen, sein Schwert zu finden. „Hey, hey! Komm gefälligst zurück! Das sollte eine Rettungsaktion sein!“
Abigail packte King an der Schulter und zog ihn nach unten. „Vergiss es, King. Lass uns abhauen.“
Eine vielstimmiges Geheul von Polizeisirenen gellte den beiden entgegen, als sie aus dem Haupteingang der Wache stürmten. Die Metalltore rund um die Wache waren bis auf eines alle geschlossen, und ein Streifenwagen nach dem anderen jagte durch die verbliebene Öffnung und hielt geradewegs auf sie zu. Offenbar war Verstärkung eingetroffen.
Abermals saßen sie in der Falle.
Rasch zogen sich die beiden in die trügerische Sicherheit des Gebäudes zurück. Doch ehe sie die Tür erreicht hatten, hörten sie, wie weiter oben eine Scheibe zerbrochen wurde. Ein Fenster im zweiten Stock wurde förmlich aus dem Rahmen gesprengt, und einen Augenblick später landete Blade vor den beiden am Eingang zur Wache. Er war zwei Stockwerke in die Tiefe gesprungen und in einer katzengleichen Haltung gelandet, als sei es eine Selbstverständlichkeit.
King starrte Blade verblüfft an.
Dieser Hurensohn hielt sein Schwert in der Hand.
Blade grinste King breit an, streckte ihm den Mittelfinger entgegen und sagte: „Jetzt können wir gehen.“
„Ist der irre oder was?“ fragte King fassungslos und stieß Abigail leicht an.
Die Polizisten sprangen hastig aus ihren Wagen und liefen mit den Waffen im Anschlag in ihre Richtung. Dieses Mal wirkten Abigail und King deutlich gelassener. Sie blickten erwartungsvoll an den Polizisten vorbei zur Straße. Auch Blade sah nun gebannt auf die Straße.
Auf einmal tauchte ein aufgemotzter Land Cruiser aus den siebziger Jahren auf, dessen grelle Scheinwerfer den Eingang zur Wache beleuchteten. Mit quietschenden Reifen wechselte er von der Fahrbahn auf den Fußweg und zersprengte die Menschenmenge, die sich nahe der Wache eingefunden hatte. Dann raste er geradewegs durch die Mauer mitsamt Zaun, die das Gebäude umgab, wobei die zusätzlich montierten Stoßstangen den größten Teil des Aufpralls schluckten. Sekunden später kam der Wagen mit kreischenden Bremsen zwischen Blade und den Streifenwagen zum Stehen. Ein kompakter, mürrisch aussehender Mann beugte sich aus dem Seitenfenster und winkte Blade zu, während sich die hinteren Türen automatisch öffneten. „Gestatten, mein Name ist Dex. Ich rette heute Abend Ihren Arsch.“
Blade und seine beiden Begleiter sprangen in den Land Cruiser, ohne sich um die nervösen Rufe der Polizisten ringsum zu kümmern. Dex legte den Rückwärtsgang ein und fuhr durch das Loch in der Mauer hinaus, das er eben selbst noch geschaffen hatte. Die Polizisten eröffneten das Feuer, doch die Kugeln prallten wirkungslos von den gepanzerten Seiten des Cruisers ab. Sie rannten zu ihren Fahrzeugen, als der Wagen mit qualmenden Reifen eine halbe Umdrehung beschrieb und dann in Richtung Freiheit davonraste.
Abigail spähte durch das Heckfenster des Cruisers, als sie durch die nächtlichen Straßen der Stadt fuhren. Sie hatten einen Vorsprung von vielleicht zehn Sekunden, was für eine erfolgreiche Flucht genügen sollte. Sie kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit irgendein Anzeichen dafür zu finden, dass sie verfolgt wurden.
Von der Polizei war nichts zu sehen, doch stattdessen sah sie etwas Erschreckendes: Grimwood rannte hinter ihnen her, seine kleinen Glubschaugen auf das Heck des Cruisers fixiert wie ein Pitbull, der einen Postboten im Visier hatte.
Schlimmer aber war, dass der große Blutsauger sie nicht nur verfolgte, sondern sogar aufholte.
Sie griff nach ihrem Bogen und lehnte sich aus dem Seitenfenster, legte einen ihrer UV-Pfeile an und zielte auf Grimwoods Kopf. Während sie sich gegen den Wagen drückte, um Halt zu finden, ließ sie die Sehne los.
Читать дальше