Wieder von dem Gefühl erfasst, er müsse sich beeilen, wandte er sich um und lief weiter.
In gemäßigtem Tempo trabte er durch die Schwärze, alle Sinne aufs Äußerste angespannt, da er sich darauf konzentrierte, auch das leiseste Geräusch wahrnehmen zu können.
Plötzlich blendete ihn ein Blitz, der unerwartet durch die Dunkelheit zuckte. Blade geriet ins Taumeln, fiel nach hinten und drehte sich in Zeitlupe um seine eigene Achse. Mit einem schmerzhaften dumpfen Knall landete er auf dem Boden. Keuchend krallte Blade die Hände auf die Augen. In sein Gehirn eingebrannt war das Abbild eines Schwerts – seines Schwerts? –, das auf ihn herabfuhr und dessen diamantgeschliffene Klinge beim Kontakt mit seinen Sehnerven Funken sprühte, als sie sich wie eine Guillotine durch seinen Schädel fraß.
Blade hob den Kopf und sah auf seine Finger, da er erwartete, an ihnen Blut zu entdecken.
Nichts. Seine Hände waren völlig sauber.
Aus der Dunkelheit drang ein langgedehntes, tiefes Knurren an seine Ohren. Es kam von sehr weit weg, doch das Echo klang unnatürlich nah und verursachte in seinen Knochen seltsame Schwingungen. Blade merkte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten, als ein warnender Schauder seinen Körper durchfuhr. Er atmete tief durch, um zur Ruhe zu kommen, während er fühlte, wie Hitze und Adrenalin sich in ihm ausbreiteten, um ihn kampfbereit zu machen. Sein Zahnfleisch schmerzte, als seine Reißzähne zu wachsen begannen und so spitz wurden, dass sie ihn ins Fleisch stachen.
Das Heulen verstummte, zurück blieb eine Stille, die zur Eile antrieb. Vorsichtig stand Blade auf und hielt sich in der kalten Nachtluft nur schwankend auf den Beinen. Die Atmosphäre rings um ihn knisterte, so greifbar schien die Bedrohung zu sein, fast wie eine bösartige Präsenz. Blade sah sich um und bemerkte, dass in der samtenen Schwärze, die sich vor ihm erstreckte, eine Bewegung auszumachen war, so als würde eine steife Brise einen schwarzen Ozean peitschen.
Blade stand reglos da und atmete tief und gleichmäßig. Seine Arme baumelten entspannt herunter, bereit, sofort einen Pflock oder Dolch zu zücken, um das, was da so heulte, in blutenden, kreischenden Staub zu verwandeln. Er war noch nie hier gewesen, dennoch wusste er aus irgendeinem Grund, was kommen würde. Es war ein unausweichliches Schicksal.
Etwas war da draußen, etwas Übles, und er musste es finden, bevor es ihn fand. Wenn er es nicht überraschen konnte, würde er es niemals besiegen können.
Blade strengte alle seine Sinne an und versuchte festzustellen, aus welcher Richtung das Geräusch kam.
Auf einmal tropfte etwas Kaltes auf sein Kinn. Blade hob eine Hand und wischte es beiläufig fort. Regnete es etwa?
Nein, diese Flüssigkeit war zäh und ein wenig klebrig. Er roch daran. Es war auch kein Blut. Die Flüssigkeit roch scharf und stechend, fast so wie Ammoniak, aber doch etwas süßlicher und nicht ganz so aggressiv. Eigenartig.
Der Wind wurde stärker und wehte ihm heftig entgegen. Blade sah auf und bemerkte, wie seine Kleidung hinter ihm im Wind flatterte. Die Luft war kalt und roch sehr intensiv nach Meer. Er musste sich irgendwo in der Nähe des Flusses befinden, aber wo genau war er? Er konnte die Landschaft nicht erkennen.
Plötzlich musste er husten. In seiner Kehle stieg ein gallenbitterer Geschmack auf. Er hustete erneut, diesmal jedoch stärker, um den Geschmack wieder loszuwerden. Als er nach unten sah, bemerkte er, dass seine Hand mit einer schwarzen Flüssigkeit bespritzt worden war. Er betrachtete entsetzt seine Hand, als er merkte, dass diese Flüssigkeit aus seiner Nase und seinen Augen tropfte und wie dicke schwarze Tränen über seine Wangen lief. Angewidert wischte er sie weg, aber sofort quoll mehr davon aus ihm heraus.
Entsetzt wirbelte Blade herum und rannte los. Er musste weg von hier! Was immer es auch sein mochte, es war nichts, was er bekämpfen konnte. Instinktiv wusste er, je länger er blieb, umso schwieriger würde es werden, diesen Ort zu verlassen. Und es gab nichts, was er sich mehr wünschte.
Schritte ertönten hinter ihm, als er durch die Dunkelheit rannte. Zuerst waren es nur die Schritte eines einzigen Läufers, doch dann kamen mehr und mehr dazu, die alle hinter ihm herliefen. Sie hatten ihn gefunden.
Ohne sich umzudrehen, verdoppelte Blade sein Tempo, indem er auf die Kraftreserven seiner übernatürlichen Energie zurückgriff. Doch die Schritte hielten mühelos mit ihm mit.
Er konnte jetzt auch Rufe hören, außerdem bellende Hunde. Aus dem Augenwinkel sah er den Schein greller Fackeln, woraufhin Blade noch einmal schneller wurde, da ihm klar wurde, dass man ihn nicht bloß verfolgte, sondern jagte.
Blade flog förmlich über den Untergrund, die Beine arbeiteten auf Hochtouren, während er versuchte, seinen Verfolgern zu entkommen. Nach einer Weile erkannte er jedoch, dass sie nicht nur problemlos mit seinem Tempo mithalten konnten, sondern ihn auch beängstigend schnell einholten.
Auf einmal bemerkte er zu seinem Entsetzen, dass er langsamer wurde. Die schwarze Flüssigkeit lief in seinem Körper nach unten und sammelte sich in seinen Beinen, die erschreckend taub wurden. Was war das für ein Zeugs? Blade knurrte frustriert, als die tödliche Substanz seine Beinmuskulatur überschwemmte und sich die Kälte in seine Nervenbahnen übertrug, die augenblicklich regelrecht abgeschaltet wurden. Er stolperte und fiel fast hin, konnte sich aber im letzten Moment fangen und weiterlaufen, wobei er die Zähne zusammenbeißen musste, um sich Schritt für Schritt weiterzuquälen.
Die rufenden Stimmen waren nun sehr dicht hinter ihm. Blade zwang sich, in Bewegung zu bleiben, aber sogar das Atmen wurde immer schwieriger. Schwäche erfasste ihn, schwarzer Schweiß trat auf seine Stirn, während er sich weiter vorankämpfte und zudem den immer stärker werdenden Wind ertragen musste.
Es dauerte nicht lang, da war Blade klar, dass er nicht weiterlaufen konnte. Der Wind schlug ihm erschreckend heftig entgegen, und seine Muskeln waren total überanstrengt. Er musste seine Kräfte schonen, um gegen die Menge kämpfen zu können, die ihn verfolgte.
Knurrend fletschte Blade die Zähne und drehte sich zu seinen Jägern um.
Doch da war niemand.
Im nächsten Moment wurde er von einer ganzen Welle von Leibern überrannt, die sich ihm von hinten genähert hatten. Blade merkte, wie Hände nach ihm griffen und seine Arme und Beine auf die trockene Erde unter ihm drückten. Andere Hände zerrten an seiner Kleidung, rissen ihm das Hemd vom Leib und setzten seinen nackten Oberkörper der kalten Nacht aus. Über ihm waren Gesichter zu sehen, die ihn anstarrten, ihn verhöhnten. Gesichter mit scharfen Zähnen und gelben Augen.
Vampire.
Blade versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien.
Doch sie waren anders als die Vampire, die er kannte. Knurrend näherte sich ihm der Anführer, dessen beeindruckende Zähne mehrere Zentimeter lang waren und auf dessen Stirnmitte eine Reihe von Wirbeln verlief, die fast wie ein Kamm wirkten. Wie ein Greifvogel legte der Vampir den Kopf schräg und beugte sich über Blade, um neugierig dessen Gesicht zu berühren…
Mit einem Aufschrei riss sich Blade los, schwang sich zur Seite und kam wieder auf die Beine. Dann senkte er den Kopf und rannte auf die Wand aus spottenden Gestalten los, die ihn umgaben. Mit seinen allerletzten Kraftreserven stürmte er wie ein Rammbock vorwärts, um alles umzurennen, was ihm den Weg in die Freiheit versperrte.
Wamm! Auf einmal schlug sein Kopf gegen ein Objekt, das ihm nicht auswich. Benommen schüttelte Blade den Kopf und sah, dass Whistler vor ihm stand. Sein langes graues Haar und sein Bart flatterten im Wind. Der alte Mann lehnte sich gemächlich an eine zerfallende Lehmziegelmauer, die zu einer gewaltigen Pyramide zu gehören schien.
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