Blade beobachtete die Menge mit geschultem Blick. Dann senkte er die Schultern und rannte durch eine Mauer aus einem halben Dutzend Agenten, die in alle Richtungen geschleudert wurden. Da er sein Schwert nicht einsetzen wollte, packte er den erstbesten Agenten und schlug ihn mit einer Kopfnuss bewusstlos, wobei er dem Mann zugleich die Nase brach und das Blut bis an die Wand spritzte. Er hob den schlaffen Körper hoch und warf ihn zwei Männern in den Weg, die ihn von der Seite überrennen wollten. Dann griff er hinter sich, bekam die Kleidung eines anderen Agenten zu fassen und schleuderte ihn durch ein Fenster. Das Platschen des Wassers, als der Mann im Fluss landete, hatte für Blade etwas Befriedigendes, doch schon im nächsten Moment versperrten vier weitere Agenten ihm den Weg.
Blade knurrte ungeduldig. Zu viele Leute hinderten ihn am Vorankommen. Er musste zu Whistler gelangen, aber er konnte nicht so weiterkämpfen, wenn er kein allzu großes Blutvergießen riskieren wollte.
Er wich langsam zurück und schlug und schubste sich den Weg frei. Er hatte diese Situation heraufbeschworen, er würde sie auch bereinigen. Er konnte nur hoffen, dass der alte Mann schlau genug war, sich aus der Schusslinie zu halten.
Nebenan im Computerraum erkannte Whistler rasch die zentralen Arbeitsstationen und fuhr die Rechner hoch, während sich der Raum allmählich mit Tränengas füllte. Hustend und halbblind hastete er zu einer Reihe altmodischer Computer und gab unbeholfen Befehle ein. Ein halbes Dutzend Monitore um ihn herum erwachte zum Leben, als sich die Arbeitsstationen mit den Servern abstimmten und auf jedem Monitor die gleichen Textzeilen zu lesen waren:
- Server 1 Schutz AKTIV
- Server 1 Schutz AKTIV
> Datenschutzroutine aktivieren J/N?
Whistler tippte auf das „J“ und duckte sich hinter eine Werkbank.
Ein Surren war zu hören, das schnell höher wurde, als die Festplatten des Computers ein letztes Backup der Daten aus der letzten Nacht vornahmen. Ein rotes Licht an der Vorderseite der Netzwerk-Speichereinheit leuchtete konstant auf.
Einen Augenblick später leuchtete ein Päckchen Semtex, das mit Klebeband seitlich an der Einheit befestigt war, orangerot auf und explodierte beinahe sofort. Sekunden später ging auch der zweite vernetzte Server in die Luft und ließ einen Regen aus verkohlten Kabeln und Trümmern im Raum niedergehen.
Mit Bedauern betrachtete Whistler das Ausmaß der Zerstörung, dann presste er sich einen ölverschmierten Lappen vor Nase und Mund und stürmte in die Rauchwand aus Tränengas hinein.
Draußen sprang Cumberland erschrocken hinter einem Polizeiwagen in Deckung, als es im Bootshaus zu einer dritten Explosion kam. Rauch quoll aus den Fenstern und sank langsam nach unten auf den Parkplatz. Hektisch rief Cumberland ins Funkgerät: „Was ist denn da drinnen los?“
Die Stimme eines Agenten drang krachend aus dem Lautsprecher: „Irgendeine Art von Selbstzerstörung. Die rösten ihre Festplatten!“
Cumberland biss sich nervös auf die Lippen und stellte das Funkgerät ab. Kriminelle mit Computern? Das war ja noch schlimmer als erwartet.
Im Bootshaus wurde Whistler allmählich müde. Der Rauch war noch dicker geworden, nachdem die Agenten eine zweite Granate durch die Tür geschleudert hatten, um ihn nach draußen zu treiben. Bevor sie jedoch hochgegangen war, hatte er es geschafft, ein Fenster einzuschlagen, so dass ein Teil der Rauchschwaden abziehen konnte. Doch der Qualm war nach wie vor praktisch nicht zu durchdringen.
Whistler konnte kaum die Hand vor Augen erkennen und bediente die Computer nur noch nach Gefühl. Er wusste, dass der Rauch seinen Lungen schwere Schäden zufügte, doch es kümmerte ihn nicht. Ein Leben lang hatte er fünfzig Zigaretten am Tag geraucht, da kam es auf das bisschen Qualm auch nicht mehr an.
Egal was kam, die Polizei durfte niemals auf seine Datenbanken Zugriff erhalten. Das Video, das zeigte, wie Blade einen Menschen tötete, war schon belastend genug. Doch wenn die Cops seine Aufzeichnungen in die Finger bekamen, die von den Grundrissen der Tresorräume örtlicher Banken bis hin zu Blades täglicher Quote an getöteten Vampiren reichte… nun, er wollte nicht derjenige sein, der Blade vor der ersten und einzigen öffentlichen Hinrichtung in dieser Stadt retten musste.
Whistler war so in seine Arbeit vertieft, dass er den Agenten nicht bemerkte, der hinter ihm lautlos aus dem Rauch trat.
Der Agent sah, dass er freie Schussbahn hatte, und das nutzte er auch aus.
Whistler drehte sich herum, als er das Rascheln von Kleidung wahrnahm, doch es war bereits zu spät. Die Kugel traf ihn mitten in die Brust.
„Whistler!“ Blade befand sich im Raum nebenan, als er seinen Mentor vor Schmerzen aufschreien hörte, doch immer noch waren zu viele Agenten im Weg, als dass er zu ihm hätte gelangen können. Brüllend bewegte er sich durch die feindselige Menge zurück zum Waffenraum und bahnte sich seinen Weg, ohne davon Notiz zu nehmen, dass man ihn mit Fäusten und Gewehrkolben traktierte.
Ein Agent hob sein Gewehr und zielte auf Blade, doch in seinem verzweifelten Versuch, zu Whistler zu gelangen, ließ er sich von nichts aufhalten. Er verpasste dem Mann einen Schlag seitlich gegen den Kopf. Der Agent wurde zu Boden geworfen, noch bevor er den Abzug hatte berühren können Nebenan wankte Whistler durch den Einschlag der Kugel, blieb aber stehen. Die Lippen hatte er entschlossen zusammengepresst, während das Blut in seine Kleidung sickerte. Er verzog das Gesicht und presste einen Handballen auf das Einschussloch, um den Blutverlust in Maßen zu halten.
Whistler wusste, dass er schwer verletzt worden war, aber er musste weitermachen. Diese Hurensöhne würden ihm schon eine Kugel durch den Kopf jagen müssen, um ihn aufzuhalten. Er musste um jeden Preis seines und Blades Geheimnis wahren. Und das war seine einzige Chance dazu. Vielleicht würde er nicht überleben, aber er wollte verdammt sein, wenn er zuließ, dass sie Blade auch erledigen konnten.
Er kämpfte gegen die Schwärze an, die begann, sein Blickfeld einzuengen, ging zu einer anderen Arbeitsstation, löste das Notfallprotokoll aus und gab den Code zur Selbstzerstörung ein. Farbenprächtige Warnungen auf den Monitoren machten auf den drohenden Datenverlust aufmerksam, während sich die Speicher auf Hochtouren löschten, ehe sie einer nach dem anderen explodierten.
In dem Moment spähte ein zweiter Agent vorsichtig um die Ecke, sah Whistler und feuerte eine Salve auf seinen Oberschenkel ab, um den Mann am Weiterkommen zu hindern.
Gegen seinen Willen schrie Whistler auf.
Als er den zweiten Schuss hörte, schüttelte Blade die Agenten von sich ab, die sich auf ihn gestürzt hatten. Wut verzerrte sein Gesicht zu einer Grimasse, während sich Hände, Ellbogen, Knie und Füße so schnell bewegten, dass sie nur noch als verwischte Schemen wahrzunehmen waren. Mit einer unglaublichen Schnelligkeit ließ Blade seine Gliedmaßen wirbeln, um sich den Weg zu Whistler freizukämpfen. Arme und Beine wurden gebrochen, Blut spritzte, doch Blade scherte sich nicht darum.
Er durfte Whistler nicht sterben lassen.
Aber die Polizei war noch längst nicht zum Aufgeben bereit. Während sich Blade der Waffenkammer näherte, stürzten sich zwei Mann gleichzeitig auf ihn und rammten ihm ihre Gewehrkolben gegen Brust und Rippen. Dabei gingen sie mit solcher Entschlossenheit vor, dass Blade tatsächlich das Gleichgewicht verlor. Sein Stiefel blieb an einem dicken Kabelstrang hängen, so dass er nach hinten fiel, dabei aber die Uniformen der Agenten zu fassen bekam und sie mit sich zu Boden zog.
Ehe er seinen Fall bremsen konnte, explodierte der Computer gleich neben ihm und schleuderte ihn und die beiden Angreifer durch die Luft. Von einem Regen aus Holz- und Glassplittern begleitet flogen die drei durch eine Tür und landeten auf einem Stapel Holzreste gleich neben dem Bootshaus.
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