»Wie viel?« fragte Sonja.
»Genug jedenfalls, um einen Thron zu kaufen – oder eine Söldnerarmee zu bezahlen.«
»Großartig!« freute sich Sonja. »Bei Mitra, Ban-Itos, für einen Weisen und Zauberer seid Ihr wahrhaftig praktisch veranlagt.«
»Ich schreite mit beiden Füßen fest auf der Erde«, erinnerte er sie.
»Wenn wir mit solchen Schätzen locken, können wir jeden Söldner weit und breit anwerben!«
»In der Nähe ist eine kleine Ortschaft«, sagte Ban-Itos. »Wir könnten dort mit dem Anwerben anfangen. Und nicht ganz zwei Tagesreisen weiter ist die Handelsstadt Ikrahad …«
»Ihr scheint diesen Plan sehr gut durchdacht zu haben, Meister Ban-Itos. Wahrscheinlich schon, bevor Sonja und ich Eure Bekanntschaft gemacht hatten?« erkundigte sich Daron.
»Ja«, bestätigte der Greis. »Das stimmt. Für Magier gibt es nie ein Morgen, sondern immer nur ein Heute voll endloser Möglichkeiten. Heute also, und viele Gestern – unentwegt, wie mir nun scheint – studierte ich meine Spiegel und Edelsteine und Weinschalen, um zu ergründen, wie Thotas unschädlich gemacht werden könnte. Ich sagte euch, dass es uns vom Schicksal bestimmt war zusammenzukommen. Es war unvermeidlich.«
»Ihr wusstet demnach, dass wir es sein würden?« fragte Sonja leicht beunruhigt. »Ihr wusstet, dass wir kommen würden, lange ehe wir …«
»Nein!« verbesserte Ban-Itos sie. »Wie ich Euch sagte, gibt es kein Morgen – nur die ständigen Möglichkeiten eines immer wieder neuen Heute. Ich wusste, dass jemand kommen würde, mir zu helfen. Ich wusste nicht, ob dieser Jemand rechtzeitig käme, um mein gebrechliches Leben zu retten. Ich wusste nicht, was die Bestimmung war, und auch nicht, ob ich einen Platz in ihr hatte. Aber ich wusste, dass sie unausbleiblich war – und für mich günstig, so hoffte ich.«
Schweigend setzten sie ihren Weg fort, und Sonja grübelte über Ban-Itos’ Worte nach.
Am Abend schlugen sie ihr Lager auf einem kleinen Hügel auf, und unter ihnen, in einem weiten bewaldeten Tal entdeckten sie die Ortschaft.
Nach dem Nachtmahl zog Ban-Itos sich in den Wald, der sie umgab, zurück, um zu meditieren und Kraft zu schöpfen. Sonja blieb am Feuer sitzen und gähnte hin und wieder. Daron kauerte neben ihr. Der Mond ging auf, und Daron blickte zu ihm hoch.
Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann sagte Daron mit schwerer, ahnungsvoller Stimme leise: »Mir ist wahrhaftig eine Bestimmung auferlegt, Sonja, nicht wahr?«
»Ja …«
»Genau wie dir.«
»Ja, Daron.«
»Innerhalb eines Monats werden wir zurück sein in Bo-ugans Dorf, zurück im Tempel der Roten Sonne. Mit einer Armee. Und mit der Asche eines – Zauberers.«
»Ja, Daron.«
»Und ich bin ein Zauberer, Sonja.«
»Ja …« Sie blickte ihn an, beobachtete ihn nachdenklich.
Er wandte sich ihr zu. »Aber mein Herz gehört mir, Sonja. Und ich liebe dich. Verzeih mir, was ich bin, was ich getan habe, aber – ich liebe dich, Sonja.«
Sie antwortete mit ihrer Hand, die sich in seine legte. Und im Schein des Feuers beugte sich Daron zu ihr, und sie kam ihm entgegen. Sie küssten sich – wie Liebende sich küssen, lang und sanft und inbrünstig –, bis die Schwermut über das, was sie waren, sie wieder trennte. Dann saßen sie Hand in Hand beisammen, starrten ins Feuer, lauschten dem Schlag ihrer trommelnden Herzen und hielten sich an ihre Bestimmung, ohne dass sie von ihr freikamen, wie die Liebe es Liebenden manchmal gewährt.
Von der Grenzstadt Ikrahad kommend, ritt an einem frischen kühlen Herbstmorgen eine gewaltige Söldnerarmee dahin, voll Eifer, endlich auf dem Weg zu Eroberung und Reichtum zu sein – auf dem Weg in den Krieg.
Das Anwerben war erfolgreich gewesen in Ikrahad und den umliegenden Ortschaften, denn die Stadt lag an der nördlichen Haupthandelsroute zwischen den hyrkanischen Königreichen und den Landen, die im Osten an die Vilayetsee anschlossen. In ihren schmalen Straßen fanden sich Reisende und Abenteurer aus vielen Ländern: hochgewachsene, selbstbewusste Turaner in feingeschmiedeter Rüstung, dunkle Zamorier mit Dolchen unter den Gewändern, dunkelblonde hyborische Krieger aus Brythunien und Hyperborea, hellhäutige Barbaren von riesenhafter Statur aus dem fernen Nordheim und selbst vereinzelte Wanderer aus Landen so weit westlich wie Cimmerien, Argos und Zingara. Ban-Itos’ Verheißung von reicher Beute zog sie alle an: freie Schwertkämpfer, Söldner, käufliche Meuchler; die Guten und Bösen, die Schuldlosen und Schuldigen, die Gelegenheitsgauner, die zu allem bereit waren, und die ehrlichen Männer, die wegen schlechter Ernten oder Barbarenüberfällen ihr Zuhause verloren hatten. Mehr als einmal mussten Sonja, Daron und Ban-Itos Männer abweisen, die von früher Händel mit bereits Angeworbenen hatten, damit nicht plötzlich zwischen den Leuten sinnlose Streitigkeiten ausbrachen.
Doch wenn dies dennoch geschah, ließ es sich recht bald zum Guten wenden. Daron staunte immer wieder über den Mut und die Weisheit Ban-Itos’, denn der kleine, zerbrechliche Greis hielt Abend um Abend seine Bataillone rauer Gesellen in Bann.
»Wir ziehen in den Krieg!« sagte er zu ihnen. »Doch wer von euch befürchtet, dass sein Schwert zaudern könnte, verlasse uns lieber jetzt gleich und plündere anderswo.«
Dann ließ er durch eine einfache Handbewegung die Flammen des Lagerfeuers hoch auflodern oder fast erlöschen, oder das Fackellicht plötzlich heftig flackern. So verschaffte er sich bei den leichtgläubigen Soldaten genug Ehrfurcht und Achtung, dass sie ihm gehorchten. »Wir ziehen gegen eine Tempelfestung voll Männer, die Zauber wie diese bewirken können. Ich kann euch nicht versprechen, dass meine Magie imstande ist, euch stets zu schützen. Ihr müsst schon selbst etwas dazu tun, auf welche Weise ihr auch immer gelernt habt zu kämpfen und zu überleben. Und wenn wir siegen – und wir werden siegen, selbst wenn einige von euch fallen –, findet ihr genug Gold und anderen Reichtum, dass ihr euer Leben lang nichts mehr zu tun braucht, oder ihr könnt euch einen eigenen Söldnertrupp aufbauen, oder eben tun, was euch beliebt. Dafür, dass ihr gegen das Unirdische kämpft, verspreche ich euch irdische Belohnung!«
Bei diesen Worten hob er goldene Kelche oder Händevoll Münzen. Und manchmal las er in den Augen einiger und rief sie zu sich, damit sie das Gold und Silber berührten, und ihre sichtliche Befriedigung überzeugte so manchen Zweifler in der Menge.
»Es interessiert mich nicht, wer ihr seid, oder weshalb ihr euch uns angeschlossen habt, auch nicht, was ihr gutmachen wollt oder mit welcher Schlechtigkeit in eurem Herzen ihr leben müsst«, sagte Ban-Itos zu ihnen. »Ich habe euch angeworben – ich, dieser Mann Daron und diese Frau Sonja –, und ihr werdet unsere Befehle ausführen. Wenn ihr dazu nicht bereit seid, dann geht jetzt. Täuscht ihr uns etwas vor, wird meine Magie es entlarven und euch dafür zerschmettern. So ist unsere Gerechtigkeit hier. Ich bin ein Zauberer. Eure Schwerter sind tödlich, doch sie können mir nichts anhaben. Euer Ärger mag brennen, doch ist er nicht imstande, mich zu versengen. Eure Arme mögen stark sein, doch gegen mich sind sie schwach. Denkt daran! Doch wenn ihr wirklich mit uns kämpfen wollt, so werden unsere vereinten Kräfte Thotas und seinen Tempel der Ungeheuer schlagen. Danach könnt ihr alle eures eigenes Weges ziehen, und ihr seid reich, weil ihr mit uns gefochten habt. Doch solange ihr mir untersteht, werdet ihr tun, was ich befehle – oder ich töte euch! Vielleicht seht ihr in mir einen schwachen Greis, doch ihr dürft mir glauben, ich verfüge über die Macht eines Dämons, und meine Rache gegenüber Verrätern ist tödlich!«
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