Der Greif erhob sich in den Himmel und kreiste einmal über ihnen, sodass Falstad sich ein letztes Mal verabschieden konnte. Dann wandte sich das Tier nach Westen, und der kleinwüchsige Krieger verschwand mit ihm in der Ferne.
Rhonin winkte der kleiner werdenden Gestalt nach und erinnerte sich mit einigen Schuldgefühlen der Vorurteile, die er gegen den Zwerg gehegt hatte. Falstad hatte sie endgültig widerlegt.
Zärtliche Finger nahmen seine verletzte Hand und hoben sie hoch.
»Darum hätte sich schon längst jemand kümmern müssen«, mahnte ihn Vereesa. »Ich habe geschworen für deine Sicherheit zu sorgen, und das hier würde kein gutes Licht auf mich werfen …«
Sie duzte ihn zum ersten Mal.
»Endete dein Schwur denn nicht«, ging er darauf ein, »als wir die Küste von Khaz Modan erreichten?«
»Vielleicht, aber es scheint so, als müsste dich jemand zu jeder Stunde eines Tages vor dir selbst schützen. Was wirst du dir wohl als nächstes zufügen?« Auch die Elfe erlaubte sich ein leichtes Lächeln.
Rhonin ließ zu, dass sie sich um seinen gebrochenen Finger kümmerte und fragte sich, wie er den Kontakt zu Vereesa halten sollte, nachdem die Drachen sie nach Lordaeron zurückgebracht hatten. Sicherlich war es für ihre Auftraggeber besser, wenn sie ihnen die Ereignisse gemeinsam schilderten, sodass sie nachprüfbar waren. Er würde es Vereesa vorschlagen, um zu sehen, wie sie darauf reagierte.
Seltsam , machte er sich bewusst, wie schnell ich die Sehnsucht nach dem Tod, die ich anfangs gespürt habe, abgelegt und begonnen habe, das Leben wieder zu genießen – und das obwohl ich beinahe zerquetscht, aufgespießt, geköpft oder verschlungen wurde.
Er würde die Ereignisse auf seiner vorherigen Mission stets bedauern, fühlte sich aber nicht mehr von ihnen verfolgt.
»So«, sagte Vereesa. »Lass es so, bis ich dir Besseres zu bieten habe. Dann sollte es bald verheilt sein.«
Sie hatte etwas Stoff von ihrem Umhang abgerissen und aus dem Holz einer zerbrochenen Streitaxt eine Schiene angefertigt. Rhonin betrachtete ihre gelungene Arbeit.
Er ließ unerwähnt, dass er nach einer Ruhepause in der Lage gewesen wäre, die Hand selbst zu heilen. Schließlich hatte sie ihm so gerne helfen wollen …
»Danke.«
Er hoffte, dass sich die Drachen Zeit lassen würden. Nun, da die Orks besiegt waren, hatte es Rhonin nicht sonderlich eilig, nach Hause zurückzukehren.
Als die Nachricht über den Fall von Grim Batol und den Verlust der Drachen für die schrumpfende Horde die Allianz erreichte, feierte das Volk auf den Straßen. Jetzt musste der Krieg doch endlich vorbei sein und der Friede vor der Tür stehen …
Alle großen Königreiche bestanden darauf, die Worte des Zauberers und der Elfe aus deren eigenen Mündern zu hören und sie befragten die beiden langwierig zu alledem. Eine Nachricht, die sie von einem der Greifenreiter aus den Aeries erreichte, dem gefeierten Helden Falstad, bestätigte deren Geschichte.
Während Rhonin und Vereesa ihre Reise durch die Königreiche fortsetzten und sich dabei näher kamen, legte derjenige, der sich einst als der Zauberer Krasus getarnt hatte, in der Halle der Lüfte seinen eigenen Bericht vor. Anfangs wurde er von den anderen feindlich aufgenommen, vor allem von denen, die wussten, dass er sie alle belogen hatte. Allerdings konnte niemand das Resultat anfechten, und Zauberer waren sehr pragmatisch, wenn es um Ergebnisse ging.
Drenden schüttelte seinen in den Schatten liegenden Kopf und sah den gesichtslosen Magier an. »Ihr hättet beinahe alles vernichtet, was wir aufgebaut haben!«, rief er. Der Sturm, der plötzlich durch die Kammer fegte, unterstrich seine Worte. »Alles!«
»Jetzt verstehe ich das. Wenn Ihr es wünscht, werde ich meinen Rücktritt aus dem Rat erklären und selbst das Exil akzeptieren.«
»Einige hielten mehr als nur das Exil für angebracht«, kommentierte Modera. »Viel mehr …«
»Aber wir haben darüber beraten und entschieden, dass der Erfolg des jungen Rhonin Dalaran nur Gutes eingebracht hat, sogar von unseren Verbündeten, die sich kurz über die mangelnde Information, diese unmögliche Mission betreffend, beschwerten. Besonders die Elfen sind zufrieden, weil eine der ihren beteiligt war.« Drenden hob die Schultern. »Es gibt wohl keinen Grund, noch weiter über dieses Thema zu sprechen. Krasus, Ihr seid hiermit offiziell verwarnt, doch persönlich gratuliere ich Euch!«
»Drenden!«, fauchte Modera.
»Wir sind hier unter uns. Ich kann sagen, was mir gefällt.« Er knetete seine Finger. »Nun, wenn sonst niemand einen Beitrag leisten möchte, würde ich gerne über einen gewissen Lord Prestor sprechen, dem angeblich gewählten Monarchen von Alterac, der wie vom Erdboden verschwunden zu sein scheint.«
»Das Schloss steht leer, die Diener sind geflohen«, fügte Modera hinzu, der sich immer noch über das Verhalten seines Kollegen in Bezug auf Krasus ärgerte.
Ein dicklicher anderer Zauberer erhob die Stimme: »Die Zauber, die das Gebäude umgaben, sind ebenfalls vergangen.
Und es gibt Anzeichen dafür, dass Goblins für den geflohenen Magier gearbeitet haben.«
Der gesamte Rat sah Korialstrasz an.
Er spreizte die Hände ab, als wäre er so überrascht wie die anderen. »Lord Prestor« hatte sich anscheinend auf dem Weg ganz nach oben befunden. Warum hatte er, wollten die anderen wissen, all dies aufgegeben? »Es ist mir ebenso ein Rätsel wie euch. Aber vielleicht hat er einfach nur eingesehen, dass er unserer vereinten Kraft auf Dauer nicht widerstehen könnte. Davon muss man fast ausgehen, denn nichts anderes würde erklären, wie er so viel aufgeben konnte …«
Diese Aussage gefiel den anderen Zauberern. Wie die meisten Wesen, die Korialstrasz kannte, waren sie anfällig für Schmeicheleien.
»Sein Einfluss weicht bereits«, fuhr er fort. »Wie Ihr alle sicherlich wisst, hat Genn Greymane bereits Protest gegen Prestors Thronfolge eingelegt, und Lordadmiral Proudmoore unterstützt ihn darin. König Terenas hat sogar bekannt gegeben, dass Nachforschungen über die Herkunft des angeblichen Adligen viele Ungereimtheiten ergeben hätten. Die Gerüchte über Prestors bevorstehende Eheschließung sind verstummt.«
» Ihr habt diese Nachforschungen über seine Herkunft angestellt«, kommentierte Modera.
»Ich habe Seiner Majestät vielleicht einige Informationen zugespielt … ja.«
Drenden nickte zufrieden. »Rhonins Mission hat unseren Wert in Terenas' Augen und denen der anderen erhöht, und wir werden dies zu nutzen wissen. In weniger als zwei Wochen wird Lord Prestor nirgends in der gesamten Allianz mehr willkommen sein.«
Korialstrasz hob warnend eine Hand. »Wir sollten subtiler vorgehen. Wir haben genügend Zeit. Schon bald werden sie vergessen haben, dass es ihn je gegeben hat.«
»Vielleicht habt Ihr Recht.« Der bärtige Magier sah die anderen an, die zustimmend nickten. »Einstimmig angenommen und beschlossen! Sehr schön.« Er hob die Hand, um die Versammlung aufzulösen. »Wenn das dann soweit alles …«
»Eigentlich nicht«, unterbrach ihn der Drachenmagier. Die Wolke eines vergehenden Sturms trieb durch ihn hindurch.
»Worum geht es noch?«
»Obwohl Ihr mir mein fragwürdiges Handeln vergeben habt, muss ich mich doch für geraume Zeit aus den Aktivitäten des Rats zurückziehen.«
Sie waren überrascht. Er hatte noch nie eine Ratssitzung verpasst, geschweige denn sich aus dem Rat zurückgezogen.
»Wie lange?«, fragte Modera.
»Ich weiß es nicht. Sie und ich waren so lange getrennt, dass es Zeit braucht, bis wir uns wiedergefunden haben.«
Trotz des Schattenzaubers glaubte Korialstrasz Drenden blinzeln zu sehen. »Ihr habt eine … Frau? «
»Ja. Vergebt mir, wenn ich nie über sie sprach. Wie ich bereits sagte, wir waren lange Zeit getrennt.« Er lächelte, obwohl sie das nicht sehen konnten. »Aber jetzt ist sie zu mir zurückgekehrt.«
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