»Aber er kann sie auch selbst nicht mehr wegen eines Zaubers der anderen Drachen einsetzen?«
»So scheint es«, wich der Drache aus.
»Weißt du, über welche Fähigkeiten die Scheibe verfügt?«
»Über viele, aber keine vermag direkten oder indirekten Einfluss auf den dunklen Herrscher auszuüben.«
Rhonin stutzte. »Aber wie ist das möglich?«
»Wie lange übst du dich bereits in der Kunst der Magie, mein Freund?«
Der Zauberer verzog das Gesicht. Von allen Künsten war die Magie die Widersprüchlichste. Sie wurde von ganz eigenen Gesetzen regiert, die sich im schlimmsten Fall sogar ändern konnten. »Ich verstehe.«
»Die großen Kräfte haben sich entschieden, Rhonin. Wenn es dir gelingen sollte, die Dämonenseele in deinen Besitz zu bringen, wirst du nicht nur meine Königin befreien, die ihnen zweifellos zu Hilfe kommen wird, sondern auch die Gelegenheit erhalten, die Überreste der Horde zu vernichten. Die Dämonenseele vermag das – wenn du sie richtig einsetzt.«
Darüber hatte er noch gar nicht nachgedacht gehabt, dabei lag es auf der Hand, dass ein solches Relikt eine wertvolle Waffe gegen die Orks darstellte. »Aber ich habe nicht genügend Zeit, ihre Handhabung zu erlernen.«
»Die Orks hatten keine Lehrer, die sie darin unterwiesen. Ich gehöre zwar nicht zu den fünf Aspekten, Rhonin, dennoch kann ich, denke ich, dich ausreichend in ihrem Gebrauch unterrichten.«
»Sollten wir beide überleben …«, flüsterte der Magier, nur für sich selbst.
»Womit du natürlich Recht hast.« Offenbar besaßen Drachen ein hervorragendes Gehör. »Und dort ist der Ork, den wir suchen … Mach dich bereit!«
Rhonin traf seine Vorbereitungen. Korialstrasz wagte es wegen der Dämonenseele nicht, Nekros zu nahe zu kommen, was bedeutete, dass der Magier trotz des Talismans Magie einsetzen musste, um den Ork-Kommandanten endgültig zu erreichen. Er hatte schon häufig in Schlachten Zauber gewoben, war aber dennoch nicht auf einen solchen Einsatz vorbereitet. Der Drache hätte versuchen können, seine eigene Magie einzusetzen, aber in der Nähe des Relikts wären seine Chancen noch geringer als die des Zauberers gewesen.
»Gleich …«
Korialstrasz ging tiefer.
» Jetzt! «
Rhonin stieß den Befehl keuchend hervor und schwebte plötzlich in der Luft, unmittelbar über einem der Wagen.
Ein Ork-Fahrer sah überrascht auf, als er des Zauberers gewahr wurde.
Rhonin ließ sich auf ihn fallen.
Der Ork dämpfte seinen Aufprall und die Wucht raubte dem Krieger das Bewusstsein. Rhonin stieß ihn von sich und begann die Umgebung nach Nekros abzusuchen.
Der einbeinige Kommandant saß auf seinem Pferd und blickte auf Korialstrasz. Dabei hob er die glitzernde Dämonenseele …
»Nekros!«, schrie Rhonin.
Der Ork sah zu ihm herüber, genau so, wie der Zauberer es beabsichtigt hatte. Der Drache gelangte unbehelligt aus Nekros' Reichweite.
»Mensch! Zauberer! Du bist doch tot …« Die breiten Augenbrauen zogen sich zusammen, und Nekros' Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Nun gut, dann wirst du es eben es bald sein!«
Er zeigte richtete das Artefakt auf Rhonin.
Der Zauberer erschuf einen magischen Schild und hoffte, dass das, was Nekros vorhatte, ihm entgegenzuschleudern, nicht so entsetzlich sein würde wie die Flammen des Golems. Die Großen Drachen hatten ihm, anders als Korialstrasz, keine Kraft geschenkt – aber er hatte sich auch nicht am Rande des totalen Zusammenbruchs befunden. Außerdem hatten sie ihre entbehrlichen Kräfte für Deathwing benötigt. Rhonins Hoffnungen stützten sich in diesem Moment also ausschließlich auf seine eigenen, schwer einschätzbaren Fähigkeiten.
Eine riesige Flammenhand versuchte nach dem Magier zu greifen und ihn zu umschließen. Rhonins Zauber hielt jedoch stand, und die Hand, die von seinem fast unsichtbaren Schild abprallte, verschlang stattdessen einen Ork-Krieger, der gerade einen Zwerg enthaupten wollte. Der Ork schrie kurz auf, bevor er brennend zusammenbrach.
»Deine Tricks werden dich nicht lange vor dem Tod bewahren!«, knurrte Nekros.
Der Boden unter dem Wagen begann zu erbeben und einzubrechen. Rhonin stieß sich von dem entstehenden Loch weg, während Wagen und Zugtiere hinabgerissen wurden. Während der Schildzauber erlosch, fand der Magier hilflos strampelnd gerade noch Halt am Rand des Kraters.
Nekros lenkte sein Pferd näher zu ihm heran. »Was auch immer an diesem Tag noch geschehen mag, zumindest bin ich dich los, Mensch!«
Rhonin stieß einen schwachen Spruch hervor. Ein einzelner Dreckklumpen landete im Gesicht des Orks und widerstand allen Versuchen ihn zu entfernen. Nekros fluchte und kämpfte darum, wieder sehen zu können.
Der Zauberer stemmte sich über den Rand, bekam Boden unter die Füße und warf sich gegen den Ork.
Der Sprung war jedoch etwas zu kurz bemessen, und so bekam er zwar den Arm zu fassen, dessen Hand die Dämonenseele hielt, nicht aber das Relikt selbst. Obwohl Nekros immer noch nicht wieder zu sehen vermochte, packte er Rhonin am Kragen und versuchte seine Pranke um die Kehle des Magiers zu legen.
»Ich bring dich um, verdammter Abschaum!«
Riesige Finger krümmten sich um Rhonins Hals. Gleichzeitig versuchte der Zauberer nach dem Talisman zu greifen und sich selbst zu befreien, erreichte jedoch beides nicht. Nekros presste das Leben gnadenlos aus ihm heraus; der überragenden Körperkraft eines Orks hatte der Mensch nichts entgegenzusetzen. Rhonin setzte zu einem Spruch an …
… als eine geflügelte Gestalt an Nekros vorbeischoss. Etwas stieß gegen den Rücken des Orks und schleuderte ihn samt dem Zauberer vom Pferd zu Boden.
Sie schlugen hart auf. Die tödliche Hand löst sich von Rhonins Kehle, als sie beide in unterschiedliche Richtungen rollten.
Jemand griff nach den Schultern des Magiers.
»Steht auf, Rhonin, bevor er sich erholt!«
»Vereesa?« Er blickte in ihr Gesicht und war ebenso überrascht wie erfreut, sie wiederzusehen.
»Wir beobachteten, wie der Drache Euch fallen ließ und wie Ihr Euch mittels Magie in Sicherheit brachtet. Falstad und ich kamen so schnell wir konnten, weil wir dachten, dass Ihr vielleicht Hilfe gebrauchen könntet …«
»Falstad?«
Rhonin schaute zum Himmel, wo der Greifenreiter und sein Tier ihre Kreise zogen. Falstad hatte keine Waffe, brüllte jedoch, als wollte er jeden Ork im Umkreis herausfordern.
»Beeilt Euch!«, rief die Waldläuferin. »Wir müssen weg von hier!«
»Nein!« Zögernd blieb er zurück. »Nicht bevor … Passt auf!«
Er stieß sie zur Seite. Eine große Kriegsaxt, die sie sonst in zwei Hälften gespalten hätte, schlug ins Leere. Der kraftstrotzende Ork, dessen Gesicht von rituellen Narben übersät war, hob die Axt erneut und konzentrierte sich ganz auf Vereesa, die vor ihm lag.
Rhonin vollführte eine Geste, und der Axtgriff wurde plötzlich lang und wand sich wie eine Schlange. Der Ork versuchte dennoch, seine Waffe weiter festzuhalten, aber nun wandte sie sich gegen ihn. Da ließ der Krieger sie doch fallen und rannte voller Panik davon.
Der Zauberer streckte eine Hand nach Vereesa aus …
… und stürzte zu Boden, als ihn eine Faust in den Rücken traf.
»Wo ist sie?«, schrie Nekros Skullcrusher. »Wo ist die Dämonenseele ?«
Rhonin war noch zu benommen, um zu begreifen. War nicht noch immer Nekros im Besitz des Talismans …?
Ein schweres Gewicht drückte auf seinen Rücken. Er hörte, wie Nekros sagte: »Bleib, wo du bist, Elfe. Wenn ich noch etwas stärker zudrücke, wird dein Freund hier wie eine überreife Frucht zerplatzen!« Rhonin spürte kaltes Metall an seiner Wange. »Auch du, Magier, keine faulen Tricks! Gib mir die Scheibe zurück, und ich schenke dir vielleicht dein Leben!«
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