»Es ist meine Pflicht«, rief der Rote. »Es ist meine Buße.«
»Das wäre reine Verschwendung. Du lässt dich von der Scheibe zu leicht beeinflussen. Außerdem wirst du für etwas anderes benötigt. Tyran, der jetzt für seine Königin und seinen Wächter kämpft, wird nicht überleben. Alexstrasza wird dich dann benötigen, mein lieber Korial.«
»Außerdem ist Deathwing unser Bruder «, stichelte Malygos. Seine Klauen gruben sich tiefer in den Fels. »Es gehört sich für uns, mit ihm zu spielen. Mit ihm zu spielen.«
»Und was wollt ihr von mir?«, fragte Rhonin gespannt und auch ein wenig nervös. Er wollte schließlich nichts mehr, als zu Vereesa zurückzukehren.
Ysera sah ihn an – und ihre Augen öffneten sich. Für einen kurzen Moment wurde der Mensch von Schwindel ergriffen. Die traumartigen Augen, die ihn anstarrten, erinnerten ihn an jeden, den er je gekannt, geliebt oder gehasst hatte. » Du , Sterblicher, musst dem Ork die Dämonenseele entreißen. Ohne sie kann er uns nicht das antun, was er unserer Schwester angetan hat. Wenn dir die Scheibe gehört, kannst du sie vielleicht befreien.«
»Aber das hilft uns nicht gegen Deathwing«, beharrte Korialstrasz. »Und wegen der verfluchten Scheibe ist er stärker als ihr alle zusammen.«
»Eine Tatsache, die uns bekannt ist«, fauchte Nozdormu. »Und auch du wusstest das, als du zu uns kamst. Jetzt hast du uns. Sei damit zufrieden.« Er sah seine Begleiter an. »Genug geredet. Lasst uns beginnen.«
Ysera, die ihre Augen wieder geschlossen hatte, wandte sich an den Drachen. »Es gibt etwas, das du tun musst, Korialstrasz, aber es ist riskant. Dieser Mensch kann nicht einfach inmitten der Orks auftauchen. Durch die Dämonenseele ist das zu riskant, und es bestünde die Gefahr, dass er sich unter einer Axt wiederfinden würde. Stattdessen musst du ihn dorthin tragen und beten, dass in den wenigen Sekunden, in denen du dem Ork nahe bist, dieser dich nicht mit der Scheibe unter seine Kontrolle bringt.« Sie ging zu dem gefallenen Drachen und berührte die Spitze seiner Schnauze. »Du gehörst nicht zu uns, auch wenn du ihr Begleiter bist, Korialstrasz. Trotzdem hast du der Macht der Scheibe widerstanden und bist geflohen.«
»Ich habe hart gearbeitet, um mich darauf vorzubereiten, Ysera. Ich dachte, meine Schutzzauber seien stark genug, doch letzten Endes habe ich versagt.«
»Wir können das für sich tun.« Plötzlich standen Malygos und Nozdormu neben ihr. Alle drei berührten mit ihrer linken Hand Korialstraszs Schnauze. »Die Dämonenseele hat uns so viel Macht genommen, dass ein wenig mehr Verlust nicht schaden wird.«
Strahlenkränze entstanden um die erhobenen Hände der drei und leuchteten in den Farben der Beteiligten. Die drei Kränze verbanden sich und erstreckten sich von den Aspekten bis zu der Schnauze des Drachen und darüber hinaus. Sekunden später war Korialstraszs gesamter Körper eingehüllt in eine magische Aureole.
Ysera und die anderen wichen zurück. Der rote Drache blinzelte und erhob sich. »Ich fühle mich wie neu geboren.«
»Du wirst diese Stärke brauchen«, bemerkte Ysera. Zu ihren beiden Begleitern sagte sie: »Wir müssen uns um unseren fehlgeleiteten Bruder kümmern.«
»Das wird auch Zeit!«, fauchte Nozdormu.
Ohne ein weiteres Wort an Rhonin oder den roten Drachen wandten sie sich ab und der weit entfernten Gestalt Deathwings zu. Während sie ihre Arme spreizten, die sich zu immer größer werdenden Flügeln ausbreiteten, gewannen ihre Körper insgesamt an Volumen. Die Gewänder fielen und wurden durch Schuppen ersetzt. Ihre eben noch menschlichen Gesichter wurden härter, länger und wurden ersetzt von den majestätischen Zügen der Drachen.
Die drei erhoben sich in die Lüfte, ein Anblick, so beeindruckend, dass der Zauberer ihn nur stumm auf sich wirken lassen konnte.
»Ich hoffe, dass ihre Macht ausreicht«, murmelte Korialstrasz. »Aber ich befürchte, das wird sie nicht.« Er sah zu der kleinen Gestalt neben sich. »Was meinst du, Rhonin? Wirst du tun, was sie verlangen?«
Schon allein um Vereesas willen hätte er sich dafür entschieden. »Das werde ich.«
Tyran hatte schnell die Kraft zum Kämpfen verloren, und sein Leben verlor er kurz darauf. Deathwing brüllte triumphierend, als er seine Krallen in die leblose Gestalt des anderen Drachen schlug. Blut floss immer noch aus tiefen Wunden, die er größtenteils in die Brust des Roten gerissen hatte, und Tyrans Klauen waren verätzt von der starken Säure, die durch die Adern des Schwarzen floss. Jeder, der Deathwing berührte, musste leiden.
Der dunkle Herrscher brüllte erneut und ließ die leblose Gestalt fallen. Eigentlich hatte er dem kranken Drachen einen Gefallen erwiesen, denn er hätte sicherlich stärker gelitten, wenn er langsam an seiner Krankheit verendet wäre. Zumindest hatte Deathwing ihm den Tod eines Kriegers geschenkt, auch wenn der Kampf nur kurz gewesen war.
Trotzdem brüllte er ein drittes Mal, um alle von seinem Triumph wissen zu lassen.
Von Westen her wurde brüllend geantwortet.
»Welcher Narr wagt es …?«, zischte er.
Nicht ein Narr, erkannte Deathwing gleich darauf, sondern drei . Und nicht irgendwelche drei.
»Ysera«, grüßte er sie kalt. »Und Nozdormu und sogar mein guter Freund Malygos.«
»Die Zeit ist gekommen, um deinen Wahnsinn zu beenden, Bruder«, sagte der schlanke grüne Drache ruhig.
»Ich bin in keinster Weise dein Bruder, Ysera. Begreif das endlich und erkenne, dass mich nichts von der Erschaffung eines neuen Zeitalter für unsere Art abhalten wird.«
»Du planst nur ein Zeitalter für deine eigene Herrschaft, nichts anderes.«
Der Schwarze neigte den Kopf. »Für mich gibt es da keinen Unterschied. Wie ist es mit dir, Nozdormu? Hast du endlich den Kopf aus dem Sand gezogen? Weißt du nicht mehr, wer hier die größte Macht besitzt? Selbst zu dritt werde ich euch besiegen.«
»Deine Zeit ist abgelaufen«, stieß der glitzernde braune Drache hervor. Seine Augen leuchteten. »Komm her und nimm deinen Platz in meiner Sammlung vergangener Dinge ein.«
Deathwing schnaufte herablassend. »Und du, Malygos? Hast du deinem alten Kameraden nichts zu sagen?«
Als Antwort öffnete der kalt wirkende, silberblaue Drache das Maul. Eine eisige Welle schlug Deathwing entgegen und hüllte ihn mit tödlicher Genauigkeit ein. Als das Eis den Leviathan berührte, zerplatzte es und wurde zu Tausenden krebsartiger Wesen, die sich auf die Schuppen und das Fleisch ihres Opfers stürzten.
Deathwing fauchte, und aus seinen roten Adern lief Säure. Malygos' Kreaturen starben hundertfach, bis nur noch wenige übrig blieben.
Mit zwei Krallen griff der schwarze Drache nach einem dieser Wesen und verschluckte es. Er grinste seine Gegner an und bleckte tückische Reißzähne. »Wenn ihr es so möchtet …«
Mit donnergleichem Brüllen stürmte er ihnen entgegen.
»Sie werden ihn nicht besiegen«, murmelte Korialstrasz, als sie sich der belagerten Ork-Karawane näherten. »Das schaffen nicht einmal sie.«
»Und warum versuchen sie es dann?«
»Weil sie wissen, dass die Zeit gekommen ist, sich gegen ihn zu stellen, egal, wie es ausgeht. Sie würden eher diese Welt verlassen, als zuzusehen, wie sie unter Deathwings Schreckensherrschaft ihr Antlitz wandelt.«
»Gibt es keine Möglichkeit, ihnen zu helfen?«
Das Schweigen des Drachen war Antwort genug.
Rhonin betrachtete die Orks vor sich und dachte an seine eigene Sterblichkeit. Selbst wenn es ihm gelang, Nekros das Artefakt zu entreißen, wie lange würde er es behalten können? Und würde es ihm überhaupt etwas nützen? Konnte er es verwenden?
»Kras … Korialstrasz, enthält die Scheibe die Macht der großen Drachen?«
»Nur nicht die von Deathwing, deshalb kann ihre Macht ihm nichts anhaben.«
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