Donnerndes Gebrüll erschütterte die Kämpfer. Eine riesige Gestalt schoss halb unsichtbar durch die dunklen Wolken, befreite sich davon und raste den Orks entgegen.
»Endlich! Endlich bist du gekommen, du schwarze …!« Nekros Skullcrusher erstarrte in vollkommener Überraschung. Er hielt die Dämonenseele umklammert, dachte jedoch in diesem Moment nicht daran, sie einzusetzen.
Der Drache, der ihnen entgegenschoss, hatte nicht die Farbe der Dunkelheit, sondern die des Feuers.
»Wir müssen nach unten gelangen«, murmelte Rhonin. »Ich muss wissen, was geschieht.«
»Kannst du nicht deinen Spruch aus der Höhle wiederholen?«, fragte Falstad.
»Wenn ich das tue, habe ich keine Kraft mehr, um uns nach der Landung eine Hilfe zu sein … Außerdem weiß ich nicht, wo ich uns absetzen sollte. Würdest du gerne genau vor einem axtschwingenden Ork landen?«
Vereesa blickte in die Tiefe. »Es sieht auch nicht so aus, als könnten wir hinunter klettern.«
»Nun, wir können nicht für immer hier oben bleiben!« Der Zwerg ging auf und ab und sah dann so plötzlich auf, als sei er in etwas Unangenehmes getreten. »Hestras Flügel! Wieso bin ich so dumm? Er könnte noch hier sein!«
Rhonin sah den Zwerg an, als hätte dieser den Verstand verloren. »Wovon redest du? Wer soll noch hier sein?«
Anstelle einer Antwort griff Falstad in eine Tasche. »Die verdammten Trolle haben es sich anfangs geschnappt, aber Gimmel hat es zurückgegeben … ah, hier ist es!«
Er zog etwas hervor, das wie eine kleine Pfeife aussah. Rhonin und Vereesa sahen zu, als der Zwerg die Pfeife an die Lippen hielt und so kräftig er konnte hineinblies.
»Ich höre nichts«, bemerkte der Zauberer.
»Es hätte mich auch gewundert, wenn du etwas gehört hättest. Warte ab. Er ist gut ausgebildet. Das beste Tier, das ich je hatte. Als wir von den Trollen verschleppt wurden, waren wir nicht weit von hier entfernt. Er hat sicherlich eine Weile gewartet …« Falstad wirkte leicht verunsichert. »Es ist noch nicht viel Zeit seit unserer Trennung vergangen …«
»Wollt Ihr Euren Greif herbei befehlen?«, fragte die Waldläuferin mit deutlicher Skepsis.
»Besser, als wenn wir darauf warten, dass uns Flügel wachsen, oder?«
Sie warteten; warteten für eine Zeitspanne, die Rhonin unendlich erschien. Trotz der Kälte spürte er, wie seine Stärke langsam zurückkehrte, aber er befürchtete immer noch, ihre Dreiergruppe an einen Ort zu versetzen, der ihren sofortigen Tod bedeutet hätte.
Trotzdem schien es so, als müsse er es versuchen. Der Zauberer richtete sich auf. »Ich tue, was ich kann. Ich erinnere mich an ein Gebiet, nicht weit vom Berg entfernt. Ich glaube, Deathwing zeigte es mir während der Vision. Vielleicht kann ich uns dorthin bringen.«
Vereesa ergriff seinen Arm. »Seid Ihr sicher? Ihr seht nicht aus, als wäret Ihr bereit.« Ihre Augen waren voller Sorge. »Ich weiß, was Euch der Einsatz in der Kammer gekostet haben muss, Rhonin. Das war kein einfacher Spruch, den Ihr gewoben habt und mit dem ihr sogar Falstads und mein Leben erhalten konntet …«
Ihm gefiel der Dank, der aus ihren Worten sprach, aber ihnen blieb keine andere Wahl. »Wenn ich nicht …«
Eine große geflügelte Gestalt stieß plötzlich durch die Wolken. Rhonin und die Elfe zuckten zusammen, fürchteten einen Angriff Deathwings.
Nur Falstad, der alles beobachtete, verhielt sich nicht, als sei der Untergang nah. Er lachte und zeigte mit der Hand auf die herannahende Gestalt.
»Ich wusste, er würde mich hören. Seht doch, ich wusste es!«
Der Greif stieß einen Schrei aus, der, so hätte der Magier geschworen, voller Freude war. Das große Tier flog rasch auf sie zu – auf seinen Herrn, um genau zu sein. Es landete buchstäblich auf Falstad, und nur die schlagenden Flügel verhinderten, dass das volle Gewicht des Greifen den Zwerg zerquetschte.
»Ha! Guter Junge, guter Junge! Aus jetzt!«
Mit wedelndem Schwanz, der mehr an einen Hund als an eine teilweise Raubkatze erinnerte, kam der Greif schließlich vor Falstad zum Stehen.
»Nun?«, fragte der kleine Krieger seine Begleiter. »Ist es nicht Zeit, von hier Abschied zu nehmen?«
Sie stiegen so rasch auf, wie sie konnten. Rhonin, der immer noch am geschwächtesten war, saß zwischen dem Zwerg und Vereesa. Zunächst bezweifelte er, dass der Greif sie alle tragen konnte, aber dem Tier gelang dies mühelos. Auf einer längeren Reise, das gab Falstad freimütig zu, wäre es ein größeres Problem gewesen, aber auf einem so kurzen Flug kam der Greif mit der zusätzlichen Bürde zurecht.
Wenige Augenblicke später brachen sie durch die Wolkendecke und sahen etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatten.
Rhonin hatte geglaubt, die Kampfgeräusche kämen von den Hügelzwergen, die versuchten den Wagenzug der Orks zu stürmen, aber er hätte niemals damit gerechnet, einen anderen Drachen als Deathwing über der Schlacht kreisen zu sehen.
»Ein Roter!«, rief die Waldläuferin. »Ein älteres Männchen! Und keines, das im Berg aufgewachsen ist!«
Das fiel ihm ebenfalls auf. Die Orks hielten die Königin noch nicht so lange gefangen, dass ein solch riesiger Leviathan hätte entstehen können. Außerdem hatte sich die Horde angewöhnt, die Drachen zu töten, bevor sie zu groß und unabhängig wurden. Nur die Jungen konnten von ihren Reitern sicher kontrolliert werden.
Woher also stammte dieser rote Leviathan, und was wollte er hier?
»Wo sollen wir landen?«, rief Falstad und erinnerte ihn an ihre momentane Lage.
Rhonin warf einen Blick auf das Gelände hinab. Die Schlacht schien sich auf die Kolonne zu konzentrieren. Er bemerkte Nekros Skullcrusher, der auf einem Pferd saß und etwas in der Hand hielt, das trotz des wolkenverhangenen Himmels hell strahlte. Der Zauberer vergaß Falstads Frage, als er versuchte den Gegenstand zu erkennen. Nekros schien ihn auf den unbekannten Drachen zu richten.
»Und?«, drängte der Zwerg.
Rhonin riss seinen Blick von dem Ork los und konzentrierte sich. »Da!« Er zeigte auf einen Hügel, der ein Stück weit vom Ende der Ork-Kolonne entfernt lag. »Ich glaube, dort wäre es am besten.«
»Sieht aus wie jeder andere Platz.«
Das Tier brachte sie dank des Könnens seines Reiters rasch zu ihrem Ziel. Rhonin glitt sofort vom Rücken des Greifen und lief zum Rand der Erhebung, um die Lage zu sondieren.
Was er sah, ergab nicht den geringsten Sinn.
Der Drache, der eben noch Nekros anzugreifen schien, flatterte jetzt mühsam in der Luft und brüllte, als sei er in einen erbarmungslosen Kampf mit einem unsichtbaren Feind verstrickt. Der Zauberer fasste erneut den Ork-Kommandanten ins Auge und bemerkte, wie der glitzernde Gegenstand in dessen Hand mit jeder vergehenden Sekunde heller zu leuchten schien.
Es war eine Art Artefakt, und seine Macht war so groß, dass jetzt selbst er die Aura wahrnahm, die von ihm ausging. Rhonins Blick wechselte von dem Gegenstand zu dem roten Riesen.
Wie kontrollieren die Orks die Drachenkönigin? Das war die Frage, die er sich in der Vergangenheit mehr als einmal gestellt hatte – und jetzt erkannte Rhonin die Antwort, weil er es mit eigenen Augen sah, worüber Nekros gebot.
Der rote Drache kämpfte dagegen an, kämpfte härter als je ein Wesen gekämpft hatte – zumindest konnte Rhonin sich keinen härteren vorstellen. Die Dreiergruppe hörte das schmerzerfüllte Brüllen und wusste, dass nur wenige Wesen so hatten leiden müssen.
Und dann, mit einem letzten heiseren Aufschrei, sackte der Leviathan in sich zusammen. Für einen Moment schien er zu schweben, dann stürzte er in einiger Entfernung von der Schlacht dem Boden entgegen.
»Ist er tot?«, fragte Vereesa.
»Ich weiß es nicht.« Wenn das Artefakt den Drachen noch nicht getötet hatte, so drohte der tiefe Sturz das begonnene Werk zu vollenden. Rhonin wandte sich von dem Anblick ab, wollte ein so mutiges Wesen nicht elend verenden sehen …
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