»Du hast deine wahre Bestimmung verpaßt, Lazaril«, sagte sich der Fischer mit stolzem Kichern. »Du hättest die Heilkunst erlernen sollen.«
Der Fischer griff nach den Rudern und legte sich in die Riemen. Er ruderte kräftig gegen den leichten Wind an und war nach einer Stunde in Sichtweite des kleinen Hafens von Atossa.
Keiner der beiden Gefährten war wieder zu Bewußtsein gekommen. Das wäre auch zuviel erwartet gewesen. Als sie sich dem Hafen näherten, zog Lazaril eine Plane über die beiden reglosen Gestalten, damit keiner seiner Konkurrenten seine ungewöhnliche Fracht mitbekam. Am Hauptpier entdeckte der alte Fischer einen Gassenjungen, dem er ein Kupferstück versprach, wenn er losrannte und den Minotaurus holte, der als Hafenmeister angestellt war.
In dem kleinen Hafen war jede Menge los. Menschliche Piraten und Söldner machten mit den bulligen Stiermenschen Geschäfte, die die Insel regierten. Armselige Sklaven – zumeist Menschen, aber auch ein Häuflein aus anderen Rassen – schulterten ihre Lasten unter der Aufsicht von Minotauren, die herrisch über die Docks stolzierten und bei der erstbesten Gelegenheit boshaft die Peitsche schwangen.
Ein eindrucksvoller Minotaurus mit wilden Augen und spitzen Hörnern kam zum Steg, während der Gassenjunge hinter ihm sich sputen mußte, um mitzuhalten. Lazaril gab dem Jungen sein Kupferstück und scheuchte ihn geschäftig fort. Der Minotaurus verschränkte die Arme und wartete mit strengem, ungeduldigem Blick auf seinem tierhaften Gesicht. Lazaril bedachte ihn mit einem schlauen, offenen Grinsen.
Diesen Minotaurus kannte Lazaril vom Sehen, obwohl er sich bisher immer Mühe gegeben hatte, um den Hafenmeister von Atossa einen großen Bogen zu machen. Er hieß Vigila und war vom König selbst eingesetzt. Alle Fischer und anderen, regelmäßigen Hafenbesucher kannten seine Brutalität und die eiserne Hand, mit der er den kleinen Hafen führte. Er war es, der auf den Docks Recht sprach, den Zoll für den König kassierte – von dem er einen Teil für sich behielt – und für das erforderliche Kontingent Sklaven sorgte. Mit ihm mußte Lazaril verhandeln.
Mit bescheidener Geste zog der Fischer die Plane weg und enthüllte die beiden Menschen. Erwartungsvoll sah er Vigila an.
»Was?« fragte Vigila höhnisch. »Du hast zwei Menschenkarpfen gefangen, alter Fischer. Warum sollten die mich interessieren?«
Lazaril schluckte und zwang sich zu einem Grinsen. »Eure Exzellenz«, fing er an, denn er wußte nicht, wie man einen Hafenmeister ansprach, »ihre Wunden sind nur oberflächlich. Ich glaube, das sind zwei sehr starke Menschen, die ausgezeichnete Sklaven abgeben, wenn sie erst wieder gesund sind. Jetzt sind sie schwach, aber sie brauchen nur zu essen und zu trinken, dann werden sie wieder stark. Dann können sie gute Arbeit leisten – hart arbeiten bis zum Tod. Das würde Euch doch interessieren, oder nicht?«
Vigila schnaubte zornig, während seine Augen Lazaril zu durchbohren schienen. »Schmeiß sie wieder ins Wasser, alter Fischer. Fang dir etwas, das du dir wenigstens am Abend auf den Teller legen kannst.« Das leise Grollen aus seiner Kehle hätte ein Glucksen sein können.
Lazaril nahm all seinen Mut zusammen und setzte nochmals sein gerissenes Grinsen auf. »Ich glaube, der hier«, der Fischer tätschelte Caramons Schulter, »ließe sich für die Spiele trainieren. Er könnte Gladiator werden; er hätte das Zeug dazu. Trotzdem würde ich ihn Euch als Gladiator günstig verkaufen. Denkt doch, wie erfreut der König reagieren würde, wenn Ihr ihm einen Gladiator übergeben könntet, der aus dem Meer gefischt wurde.«
Vigila schaute nachdenklich drein. Der Hafenmeister fand sichtlich Gefallen an dieser Vorstellung, das sah Lazaril.
»Menschen halten in den Spielen nie lange durch«, sagte der Minotaurus verächtlich.
»Aber«, blieb der Fischer am Ball, der sich insgeheim zu seinem Takt und seinen Verhandlungskünsten beglückwünschte, »sie sind sehr unterhaltsam für die Zuschauer, selbst wenn sie verlieren.«
Caramon und Sturm regten sich und hoben dann beide den Kopf. Nicht zum ersten Mal in den letzten paar Tagen fragten sie sich, wo sie waren. Nach den Tagen, die sie in der rauhen See getrieben waren, konnte sich keiner von ihnen einen Reim auf die Szene machen, die sie vor sich sahen.
Ein alter Fischer mit karottenrotem Haar stand krummbeinig in seinem Boot und redete mit leiser Stimme mit einem riesigen Minotaurus, der vor ihm aufragte. Der Minotaurus trug einen Lederrock und eine ganze Reihe Gurte und Riemen. Er hatte einen riesigen, grobbehauenen Stock dabei. Wie eine Autoritätsperson stand er am Pier, schien jedoch mit dem Fischer zu verhandeln.
Doch ihr Hirn war so vernebelt und das Gespräch zwischen Fischer und Minotaurus wurde so gedämpft geführt, daß Caramon und Sturm nichts verstehen konnten.
Der Hafenmeister warf einen Blick auf die zwei Gefährten, die ihre Köpfe jämmerlich in seine Richtung hoben und dann wieder zurückfielen. Der alte Fischer nickte und strahlte ermutigend.
»Hier, alter Fischer«, grollte Vigila, der in eine Tasche griff und Lazaril eine Handvoll Münzen hinwarf. »Ich nehme dir diese menschlichen Wracks ab. Vielleicht kann ich sie aufpäppeln. Vielleicht auch nicht.« Der Hafenmeister drehte sich um und winkte nach einem Karren.
Ein anderer Minotaurus weit unten am Pier knallte mit der Peitsche. Zwei Menschensklaven begannen, einen großen Karren mit Holzrädern zu dem Hafenmeister zu ziehen.
Lazaril sammelte eifrig seine Münzen auf, von denen einige zu seinem Unglück in das brackige Hafenwasser gefallen waren und auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren.
Während Lazaril herumsuchte, spannte Vigila seine Muskeln an, beugte sich vor und hob Caramon und Sturm aus dem Boot, indem er jedem einen kräftigen Arm um die Brust legte. Da sie zu verwirrt waren, um zu zappeln, bekamen die beiden nur mit, wie sie durch die Luft flogen, als Vigila sie hochhob und auf den Karren warf. Sie landeten quer übereinander.
Eine Peitsche knallte, die Menschensklaven drehten um und zogen den Karren vom Pier.
»He! Das sind alles Kupferstücke!« beschwerte sich Lazaril, als der alte Fischer die Münzen zählte, die er aufgesammelt hatte, und bemerkte, daß er betrogen worden war. »Das ist der Sklavenpreis, nicht der Gladiatorenpreis!«
Der alte Fischer stieg eine Sprosse zum Pier hoch. Das war sein zweiter Fehler. Der erste war gewesen, daß er seine Stimme zornig erhoben hatte.
Vigila drehte sich zu ihm um. Seine Augen quollen vor Wut hervor.
Lazaril erstarrte. »Aber das ist nicht der Gladiatorenpreis«, jammerte der Fischer leise. Er wollte zurück in sein Boot. Er wollte hinaus in den Ozean und Aale fangen wie jeden Tag. Doch sein Fuß baumelte nutzlos in der Luft, als er die Leitersprosse verfehlte.
Vigila senkte den Kopf und stürmte auf den Fischer los, um den alten Mann auf seinen spitzen Hörnern aufzuspießen. Als er den Kopf wieder hob, bellte der Hafenmeister wütend und drehte sich dann mehrmals herum, ehe er den Kopf schließlich wieder senkte und den Körper abschüttelte, so daß er weit hinaus aufs Wasser flog.
Lazaril zuckte und schlug um sich, als er durch die Luft segelte. Dann landete er im Wasser, wo er sich nicht mehr rührte. Möwen schossen hinunter, um am Körper des alten Fischers zu picken.
Der Gassenjunge, der hinter einem Faß Schutz gesucht hatte, kroch vor, um ein paar der Kupfermünzen aufzusammeln, die der Fischer hatte fallen lassen. Er warf Lazarus Leiche keinen Blick mehr zu. Solche Gewaltausbrüche waren im Hafen von Atossa nichts Ungewöhnliches. Vor Vigila mußte man sich hüten. Diejenigen, die es überhaupt mitbekamen, hielten nur kurz inne und fuhren dann mit Kauf und Verkauf, Streit und Kampf fort, als wäre nichts geschehen. Keiner beachtete den Vorfall weiter.
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