Die Drachenkönigin schrie unablässig weiter, und ihre Flügel peitschten vor und zurück. Die Halterung der Drachenlanze bog sich beträchtlich. Huma versuchte vergeblich, die Lanze gerade zu halten. Plötzlich schnellte das hintere Ende der Waffe nach oben und traf ihn kräftig am Kopf. Huma sackte benommen und blutend zusammen.
Er hörte etwas knacken.
Mit übergroßer Anstrengung zog er sich nach vorn und stellte dort fest, daß von der Halterung nur noch Splitter geblieben waren. Takhisis hatte ihnen die Lanze entrissen.
Wo war sie?
»Hu-uma.«
»Gwyneth!« Er beugte sich vor. Sie atmete unregelmäßig. Bei jeder Mundbewegung tropfte Blut heraus.
»Sie – ich – runter. Ich – kann nicht – «
Ihre Flügel blieben mitten in der Bewegung stehen.
Sie begannen, auf die Bergflanke zuzurasen. Er schrie einmal ihren Namen, bevor sie aufschlugen. Dann merkte er, daß sein Körper aus dem Sattel geworfen wurde. Um ihn herum wurde es dunkel.
Als er aufwachte, war die Welt rot. Blut. Blut und Schmerz. Es kam ihm vor, als läge er seit Stunden da. Seine Augen brannten und er konnte nichts genau erkennen. Alles, was er überhaupt erkennen konnte, waren Schemen. Immer noch heulte der Wind.
Er konnte nichts gegen den Schmerz tun. Er raste durch seinen Körper. Sein verwundetes Bein war taub.
Mit großer Anstrengung richtete sich Huma zum Sitzen auf.
Danach versuchte er aufzustehen, aber er fiel wieder aufs Gesicht, auf die kühle Erde des Berghangs. Wieder benebelte der Schmerz seinen Verstand.
Dann kroch er vorwärts. Von Gwyneth oder der Drachenkönigin gab es keine Spur. Es gelang dem Ritter, Stückchen für Stückchen weiter zu kriechen.
Als er damit kämpfte, erregte etwas an der Bergspitze seine Aufmerksamkeit.
Eine Hand. Eine menschliche Hand.
Er war nicht ganz sicher, wo die Energiereserven herkamen, aber er schaffte es, sich zu der Gestalt zu ziehen, die an einem Felsvorsprung lag.
»Gwyneth.«
Sie hatte ihre menschliche Gestalt angenommen. Die Wunden, die ihren nackten Körper bedeckten, waren nicht weniger schrecklich als seine. Ihr Gesicht war jetzt so bleich wie ihr silbernes Haar. Ihr Atem kam in kurzen Zügen. Hin und wieder zuckte sie unvermittelt, und leise Wimmerlaute wie die eines Tieres entrangen sich ihren aufgesprungenen, blutigen Lippen. Ihr ganzer Körper war mit blutenden Wunden und dunklen Blutergüssen bedeckt. Es war ein Wunder, daß sie lebte.
Während sein Mund sich zu einem unhörbaren Schrei öffnete, zog Huma sich an ihre Seite, wobei er seine aufgerissenen, blutigen Hände und den Schmerz, der ständig in ihm tobte, nicht beachtete.
Als er sie berührte, merkte er zu guter Letzt, daß sie mit ihrem unversehrten Arm die Drachenlanze des Fußsoldaten umklammert hielt, als wäre sie das Leben selbst. Trotz ihrer Verletzungen hatte Gwyneth die kleinere Drachenlanze gerettet, weil sie wußte, daß es die einzige Waffe war, die sie retten konnte, falls die Drachenkönigin zurückkam.
Er wiederholte ihren Namen.
Etwas brüllte. Gwyneth öffnete weit die Augen, und sie starrte ins Leere.
»Huma?«
»Bleib still liegen. Kaz oder irgend jemand wird kommen.«
»Nein!« Ihre Augen tränten. »Takhisis! Du darfst sie nicht fortlassen!«
Der Ritter sah nach oben. Hinter der Felsnase tobte etwas. Etwas Riesiges, das schreckliche Schmerzen litt. Das Gebrüll ertönte wieder.
»Sie – «, Gwyneth hustete Blut. »Früher oder später wird sie die Drachenlanze überwunden haben. Du mußt etwas tun – bevor ihr das gelingt.«
»Was kann ich denn tun?« Huma konnte sich kaum hochstützen.
»Nimm das hier.« Sie zeigte auf die kleine Drachenlanze. »Ich – es ist mir gelungen, sie zu retten.« Gwyneth klammerte sich plötzlich an ihn. »Bist du schwer verletzt? Laß mich dir helfen!«
»Vergiß mich. Vergiß die Drachenkönigin. Was ist mit dir? Warum bist du Mensch? Heilst du dich selber?«
»Das – das ist egal. Der Fall hat – den Schaden nur verschlimmert. Ich danke nur Paladin, daß – du noch lebst.«
»Sag jetzt nichts mehr.«
Sie konnte doch nicht sterben, dachte Huma erschüttert.
Ich – ich kann sie retten, Sterblicher!
Plötzlich war der Wind eisig. Huma schwieg regungslos, als die Worte in ihn eindrangen. ›Wie?‹ dachte er.
Sie – der Schmerz! Ich kann sie noch erreichen! Befreie mich von – von dieser Pein, dann werde ich euch gern beide heilen! Ich schwöre es bei – beim Allerhöchsten! Ich schwöre es, Gott der Götter!
Als Huma hinunter sah, merkte er, daß Gwyneth ihn durchdringend anschaute. Ihr Atem ging flach.
»Was ist los?«
»Sie bietet uns – dir – dein Leben an.«
»Wogegen?«
Er zögerte. »Ihre Freiheit.«
»Hu—« Gwyneth hustete krampfhaft. Sie schloß die Augen. Einen Augenblick lang befürchtete der Ritter, sie wäre tot. Dann aber machte sie die Augen wieder auf und sah ihm fest in die Augen. »Du kannst sie nicht töten – das ist unmöglich. Aber du kannst sie auch nicht freilassen. Ganz Krynn wird ihre Marter büßen. Mein Leben ist das – nicht wert.«
Sie hielt inne. Die Anstrengung des Sprechens brauchte die letzte Kraft auf, die ihr geblieben war.
Huma schützte sie mit seinem Körper, damit der rauhe Wind sie nicht mit seiner ganzen Härte treffen konnte. »Ich lasse dich nicht sterben.«
»Du hast keine Wahl.« Sie lächelte gequält.
»Das kannst du nicht tun«, stammelte Huma, um dann endlich die Worte auszusprechen, die er sich vor langer Zeit schon eingestanden hatte. »Ich liebe dich. Ich schäme mich, daß ich es dir nicht früher sagen konnte. Ich will dich nicht verlieren.«
Ihr Gesicht strahlte trotz der grauenhaften Wunden.
»Ich will – will –, daß du dich so an mich erinnerst, wie ich jetzt – jetzt bin, denn das ist mein wahres Selbst. Als Mensch habe ich zum ersten Mal wirklich gelebt.« Sie holte tief Luft. »Als Mensch habe ich geliebt.«
Ihre Hand glitt aus seiner. »Ich will als Mensch sterben – im Wissen, daß du doch – «, Gwyneth schloß die Augen, weil der Schmerz sie peinigte. Huma hielt sie fest, als sie erzitterte. » – daß du – «
Das Zittern ließ nach. Der Ritter lockerte seinen Griff. Gwyneth hatte die Augen geschlossen, und auf ihrem todesblassen Gesicht lag jetzt eine seltsame Gelassenheit.
»Gwyneth?«
Steerbliicherr! Es isss nicht zu spät!
Huma legte ihren Kopf hin.
Ein Schwanz kam kurz in Sicht und verschwand dann wieder hinter der Anhöhe. Der Himmel war wieder düster. Das anfangs so bösartig majestätische Portal, Takhisis’ Zugang zum Abgrund, war zu einem Schatten seiner selbst verblaßt – doch es war noch da.
Huma ergriff die Drachenlanze und begann, den Abhang hinaufzuklettern. Er bewegte sich automatisch; sein Verstand hatte nur eine vage Vorstellung von dem, was wohl geschehen war. Er war gar nicht mehr richtig anwesend. Ihm wurde noch nicht einmal bewußt, daß er die Anhöhe erreicht hatte, bevor er sich der Drachenkönigin gegenübersah.
Sie lag etwas weiter weg in einem von ihrem Aufprall verursachten Krater.
Huma lag lange einfach nur da. Das Atmen fiel ihm schwer, und er merkte, daß er sich die Rippen gebrochen haben mußte. Immer wieder verschwamm die Szene vor seinen Augen.
Irgendwie brachte er es fertig, die Drachenlanze an den Rand des Kraters zu ziehen und sie mit der Spitze nach vorn darüber zu legen. Der kalte Wind machte ihm nichts mehr aus. Er diente nur dazu, ihm einen klaren Kopf für sein Vorhaben zu verschaffen.
Was – was tust du?
Die Gedanken der Drachenkönigin flimmerten plötzlich durch seinen Kopf. Er war so überrascht, daß die Lanze beinahe über den Kraterrand fiel. Statt dessen zog er sie zurück, um sich damit in eine wacklige, aufrechte Haltung hinzustellen.
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