»Dann hast du vielleicht etwas gehört, Agion. Zum Beispiel, was man mit jemandem macht, der in solchen Sachen auspackt. Angenommen, jemand würde einen Spionagering aufdecken – von Spähern und Agenten unter den Pächtern ringsherum bis hin zu den Anführern des Rings, von denen ihr vielleicht schon einen gefangen habt? Und angenommen, diese sehr kooperative Person täte das gegen das Versprechen, daß ihr Kopf nicht rollt, wenn die Köpfe rollen, oder ertrinkt, wenn andere ertrinken, wenn du verstehst, was ich meine?«
»Ich bin sicher, wenn Er ein solches Versprechen von den Ältesten bekäme, wäre Er in Sicherheit«, verkündete Agion ernsthaft. »Aber wenn Er einen Spionagering aufdecken würde, würde Er doch einige Seiner Freunde verraten, nicht wahr?«
Er hielt inne, legte den Kopf schief und sah mich neugierig an.
»Das heißt natürlich, wenn die anderen beiden Freunde von Ihm sind.«
Die anderen beiden? Freunde? Ich kniete mich hin und gab vor, etwas vom Boden aufzuheben, einen Grashalm oder einen Stein. Ich tat so, als wäre mir alles egal, obwohl meine Neugier groß war und ich blind meine Netze auswarf in der Hoffnung, Agion würde sich irgendwie darin verfangen.
»Ihr habt also uns alle gefangen? Ich meine, alle drei?«
Der Mund des Zentauren ging auf, bevor sich sein Hirn einschaltete.
»Bis jetzt nur zwei. Ihn und den Ritter, dem Er dient, auch wenn der viel schwieriger zu besiegen war, wie man aus der Tatsache schließen kann, daß meine Gefährten so spät kommen. Was den dritten angeht, der ist uns an der Straße entkommen. Den haben wir als ersten gesehen, aber auf freiem Feld. Zu nah an der solamnischen Wasserburg und so weit weg, daß keine Aussichten bestanden, ihn zu erwischen. Dann fanden wir euch beide und hatten gehofft, daß ihr vielleicht alle drei zusammen sein würdet, als wir den Ritter angriffen – daß der Späher, den ihr so schlau eine Meile hinter euch aufgestellt habt, bei einem eiligen Versuch, euch zu warnen, vielleicht euren Aufenthaltsort verraten würde.«
Agion sah mich fragend an. Ich nickte ihm aufmunternd zu. Die Nachricht von einem dritten Spion hatte mich umgehauen, aber ich war fest entschlossen, das nicht zu zeigen.
»Sonst wäre die Rüstung vielleicht gut versteckt geblieben«, sagte er, »denn wir hatten vor, euch nur zu beobachten, bis wir den Solamnier mit der Miliz reden hörten. Dann mußten wir näher kommen, um euch nach dem zu durchsuchen, was wir bei euch vermuteten – und fanden.«
Jetzt war ich sicher, daß uns jemand folgte.
Ich erinnerte mich an die dunklen Ecken in der Bücherei und die Bewegung schwarzer Flügel.
Wer sonst sollte der dritte Mann aus Agions Geschichte sein?
Wenn ich also diesen vierbeinigen Kidnappern entkam, was dann? Wer weiß, was für anderes Unheil mich erwartete?
Wäre in diesem Moment nicht Bayard mit einer Eskorte von einem halben Dutzend Zentauren auf die Lichtung getreten, hätte ich bestimmt versucht, mit Agion zu handeln, hätte ihm Geld, Land und die halbe Wasserburg angeboten, wenn er mich nur sicher zurück zu Vaters Ungnade und einem Ehrenplatz in seinem Kerker brachte – feucht und dunkel und voller mieser Kerle, aber wenigstens sicher vor Skorpionen.
Bayard war anscheinend nicht freiwillig mitgekommen. Einer der Zentauren trug einen Arm in einer Schlinge, ein anderer hatte eine blutige Nase. Bayard selbst sah nicht viel besser aus. Die rechte Seite seines Gesichts war geschwollen und verfärbt, seine linke Hand blutete und umklammerte seine rechte, die auch nichts anderes machen konnte, weil die Zentauren seine Hände gefesselt hatten. Von den straff gezogenen Seilen waren seine Handgelenke aufgescheuert.
Wenig zeremoniell warfen ihn die Zentauren auf der Lichtung auf den Boden und bildeten dann einen Kreis um uns. Bayard lag als geschlagenes Häufchen auf dem Boden, lächelte mich reumütig an und stand taumelnd auf.
»Hier und jetzt wird Er sich für Sein Verhalten verantworten, Solamnier«, verkündete einer der Zentauren, eine vierschrötige Gestalt, deren Haut dunkel und verwittert wie eine Zypresse war. Sein Haar war ebenfalls weiß, aber im Unterschied zu Agions kam das von Alter und Weisheit oder zumindest einer gewissen Bauernschläue. Man könnte auch sagen, Sumpfschläue.
Der Alte war anscheinend der Anführer. Er sah aus, als wäre er es gewohnt, daß man ihm Rede und Antwort stand.
Nur Bayard war vielleicht ein bißchen zu viel herumgeschubst worden. Seine Höflichkeit war nicht mehr die alte, als er sich zu voller Größe aufbaute und den alten Zentauren anstarrte.
»Für mein Verhalten kann ich mich leicht verantworten, mein Herr. Es ist das eines Ritters von Solamnia, wenn er und sein Knappe ohne Vorwarnung – und ich möchte hinzufügen, auch ohne Grund – von sieben Mann angegriffen werden, die angeblich Vertreter des Guten und der Gerechtigkeit sind. Das ist meine Antwort, mein Herr – sehr einfach und direkt, das stimmt, aber als Eure Männer mich überfielen, nahm ich an, daß wir über höfliche Begrüßungen hinaus waren.«
Ich glaube, der alte Zentaur lächelte.
»Er gibt also zu«, sagte der Alte, »daß Er dem solamnischen Orden angehört?«
Trotz meiner warnenden Gesten und meines Räusperns und meines Ellbogens zwischen seinen Rippen antwortete Bayard wie zuvor – völlig aufrichtig.
»Zugeben? Nein, ich bin sogar stolz darauf, mein Herr! Denn trotz allem, was Ihr gehört habt, steht der Orden in solch prinzipienlosen Zeiten immer noch für edle und wahre Grundsätze. Hör auf, mich zu stoßen, Galen!«
»Und die Rüstung?« fragte der alte Zentaur, dessen wilde, grüne Augen mich niederrangen, wobei sie wie Smaragde auf Leder glitzerten.
»Die Rüstung gehört mir«, erklärte Bayard, »auch wenn sie mir vor einigen Tagen für kurze Zeit entwendet wurde und von jemandem getragen wurde, für dessen Verbrechen ich nicht verantwortlich gemacht werden kann.« Er kreuzte seine Arme über der Brust und erwartete die Antwort des Zentauren.
Die so ausfiel, wie ich befürchtet hatte.
»Herr Ritter, wenn Seine Aussage nur gegen das stünde, was ich gehört habe, so wäre ich wahrlich zu Milde geneigt. Aber da ist die Sache mit den Satyren, und in dieser Sache steht das Zeugnis meiner Augen gegen Seins, und auch die Augen meiner Brüder haben Seine Untaten gesehen.«
»Satyre?«
Bayard sah mich verwundert an. Ich zuckte mit den Achseln. Was wußte ich schon von Satyren?
»Die Satyre!« fuhr der alte Zentaur fort. »Die Ziegenmenschen!«
Mehrere seiner Kameraden nickten deutlich zustimmend und schüttelten höchst bedrohlich ihre Mähnen. Bayard wartete einen Augenblick, um dann offen zu reden.
»Ich schwöre Euch, mein Herr, daß ich das nicht kenne, was Ihr ›Satyre‹ nennt. Und ich schwöre, daß ich nie meine Hand gegen Euch oder Euer Volk erhoben habe, bis Ihr vor kurzer Zeit aus dem Hinterhalt auf die Straße gestürmt seid.«
Der alte Zentaur neigte seinen riesigen, zotteligen Kopf und flüsterte dem Hauptmann mit der blutigen Nase rechts von ihm etwas zu. Dann galoppierten die beiden ans andere Ende der Lichtung. Zwei andere schlossen sich ihnen kurz darauf an – zu meiner Erleichterung war der, dessen Arm Bayard gerade ausgekugelt hatte, nicht dabei. Ich war nämlich davon überzeugt, daß bald abgestimmt werden würde, was mit uns zu geschehen hatte. Es begann eine lebhafte Diskussion, doch von meinem Platz aus konnte ich nichts verstehen.
Ich konnte von dort aus auch nichts tun. Also griff ich in die Tasche, hockte mich hin und warf die Calantina. Das Gras war mittlerweile knöchelhoch, und ich mußte es beiseite fegen, um die Zahl erkennen zu können.
Sechs und zwölf: Zeichen der Ziege. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß die Ziege das Talent hatte, praktisch überall und unter allen Umständen zu überleben. Ich hoffte, das galt auch für Sümpfe und Gefangenschaft, denn ich sah uns schon eine Weile hier festsitzen.
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