Als Zara kurz den Kopf hob, gänzlich erfüllt von diesem süßen Gefühl der Freiheit, bemerkte sie, dass der Anführer der Bande sie mit schreckweiten Augen anstarrte. Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand des Felskessels, sein Schwert mit beiden Händen vor seine Brust gepresst wie einen Schutzschild, und zitterte wie Espenlaub.
„O ihr Götter“, raunte er fassungslos, als ihn Zaras Blick traf, brennend und durchdringend wie Feuer. „O ihr Götter ...“
Zara kümmerte es nicht, sie vergrub ihre Zähne erneut im Hals ihres Opfers und saugte den Mann mit gierigen, schmatzenden, irgendwie feuchten Lauten aus, bis kein einziger Tropfen Blut mehr in seinen Adern pulste. Dann packte sie mit beiden Händen seinen Kopf und brach ihm mit einer ruckartigen Bewegung das Genick, damit er nicht als Vampir wieder auferstand. Sie ließ die Leiche achtlos zu Boden fallen, richtete sich zu voller Größe auf und seufzte zufrieden. Ihre Blässe war einem sanften Zartrosa gewichen, das ihre Wagen mit Leben füllte, und ihre Lippen schimmerten voll und blutrot. Ihre Augen glühten vor Energie, und wenn die langen Fangzähne nicht gewesen wären und das blutverschmierte Maul, hätte ihre einnehmende Schönheit einen unbeteiligten Betrachter blenden können.
Über der ausgesaugten Leiche ihres letzten Opfers stehend, ließ sie den Blick voller Zufriedenheit durch den Felskessel gleiten. Überall lagen zusammengekrümmte Leiber, und mit einer Mischung aus Genugtuung und Enttäuschung stellte Zara fest, dass außer ihr nur noch der Kerl mit dem Glubschauge auf den Beinen war; sonst war keiner ihrer Angreifer mehr am Leben.
Zaras Blick richtete sich auf den Mann, der sich mit dem Rücken gegen den Fels presste, als wolle er darin verschwinden. Er stank vor Furcht, die ihn umgab wie eine übel riechende gelbe Schwefelwolke und nicht nur seinen Verstand, sondern auch seinen Körper lähmte wie ein schleichendes Gift. Er versuchte gar nicht erst, zu einem der beiden Ausgänge aus dem Felskessel zu laufen, entweder, weil die Angst ihn lähmte oder weil er wusste, dass sie ihn sowieso einholen würde. Vielleicht glaubte er auch, dass das hier nur ein Traum war, ein Albtraum, aus dem er jeden Moment erwachen würde, doch das hier war die Wirklichkeit, und das einzige Erwachen, das ihm bevorstand, würde ein böses werden.
Der beißende Gestank von verbranntem Schwarzpulver waberte über dem Schnee; der Rauch teilte sich vor ihr wie Bodennebel, als Zara langsam, ohne Hast, auf den Mann zuschritt.
„Nun zu uns beiden“, raunte sie und schürzte verführerisch die Lippen. „Der letzte Tanz des Abends ...“
Der Bandit bekam keinen Laut heraus; er stand einfach nur schreckensstarr da, die Augen groß wie Taubeneier. Er war leichenblass, und all die überhebliche Arroganz, die er noch vor zwei Minuten an den Tag gelegt hatte, war verflogen, ebenso tot wie all seine Kameraden, die nun nie wieder zusammen mit ihm durch die Wälder streifen und unschuldigen jungen Frauen auflauern würden.
Zara blieb unmittelbar vor ihm stehen, riss ihm mit übermenschlicher Schnelligkeit das Schwert aus der Hand, schleuderte es achtlos weg, packte den Mann am Kragen seines Rocks und riss ihn mit der linken Hand so leicht hoch, als wöge er nicht mehr als ein Bündel Stoff. Ihre Gesichter waren nur eine Handbreit voneinander entfernt, und als Zara sprach, schlug dem Mann ihr Atem entgegen, bittersüß und schwer vom Kupfergeschmack des Blutes, das sie getrunken hatte.
„Jetzt“, sagte sie mit leuchtenden, rot geäderten Augen, in denen ein dunkles, unseliges Feuer glomm, „sind wir ganz unter uns, du und ich! Keiner deiner Schergen ist mehr am Leben, der etwas über unser Gespräch verraten könnte, deshalb wird es dir wohl nichts ausmachen, mir zu verraten, wem ich die Ehre eurer Aufmerksamkeit verdanke?“ Sie sah ihm direkt ins Gesicht, und ihre langen Fangzähne schimmerten bleich. Blutspritzer glänzten auf ihrer Haut wie makabre Sommersprossen. „Wer will mich tot sehen – oder zumindest noch toter, als ich ohnehin schon bin?“
Der Mann starrte sie an, und sie bemerkte, dass sein Blick auf einmal seltsam glasig wurde. Als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, quoll blutiger Schaum über seine Lippen. Jetzt erst fiel Zara die tiefe, blutende Wunde auf, die er an seiner rechten Seite hatte. Offenbar hatte sie ihm diese schlimme Verletzung beigebracht, als sie mit ihren beiden Schwertern ihren tödlichen Tanz aufgeführt hatte. Die Lunge war von einer ihrer Klingen durchbohrt worden, Blut nässte an der Seite seine Kleidung, und jetzt rann es auch gurgelnd aus seinem Mund.
Der Mann starb, er hatte nur noch wenige Herzschläge zu leben. Antworten auf ihre Fragen würde sie von ihm nicht mehr erhalten.
Mühsam presste er zwischen den gurgelnden Lauten hervor: „Der Teufel ... soll dich ... holen ...“
„Das“, sagte Zara ungerührt, „hat er bereits!“
Dann biss sie zu, bohrte ihre Blutzähne in den Hals des Mannes. Gierig trank sie seinen roten Lebenssaft, bevor er starb, dann packte sie mit beiden Händen auch seinen Kopf und drehte ihn mit einem brutalen Ruck auf den Rücken.
Schlagartig erschlaffte der Körper in Zaras Griff, und sie ließ den Toten achtlos zu Boden fallen, von vager Enttäuschung erfüllt. Sie hätte liebend gern gewusst, welchem dieser Hinterwäldler sie so sehr auf die Zehen getreten war, dass er meinte, sie aus dem Weg räumen zu müssen. Doch dass sie den Auftraggeber dieser Strolche früher oder später aufspüren würde, daran hegte Zara keinen Zweifel; und wenn sie nicht ihn fand, dann fand er mit Sicherheit sie.
Zara blickte auf – und sah Falk keine zehn Schritte vor sich stehen. Er stand da wie angewurzelt und glotzte sie fassungslos an. Zara erstarrte mitten in der Bewegung, die Fangzähne gebleckt, das Gesicht blutig, unter den Nägeln das Blut ihrer Opfer. Über die Leiche hinweg starrten sie sich geradewegs in die Augen, und das namenlose Entsetzen in Falks Blick bohrte sich wie ein Stachel in Zaras Seele. Als würde sie das daran erinnern, wer sie wirklich war – oder zumindest zu sein versuchte –, bildeten sich ihre Fangzähne innerhalb eines Herzschlags zurück, und als Zara blinzelte, kam es Falk vor, als hätte er plötzlich eine vollkommen andere Kreatur vor sich als noch einen Herzschlag zuvor. Von einem Moment zum anderen veränderte sich ihre ganze Körperhaltung; die Pinselstriche, die der Maler zuvor hinzugefügt hatte, verschwanden wie von Geisterhand. Die herzlose, eisige Arroganz wich aus ihrem Blick, um einem Ausdruck von Resignation, Trauer und Verzweiflung Platz zu machen, der Falk tiefer ging als es das Blut an ihren Händen.
„Zara?“, sagte er unsicher.
Zara senkte den Blick, als könne sie es nicht ertragen, ihm in die Augen zu schauen. „Du hättest das hier nicht sehen sollen“, sagte sie leise.
Falk schluckte. „Was ... was soll das heißen? Willst du mich jetzt auch umbringen wie das arme Schwein da?“ Er wies auf den toten Mann zu ihren Füßen, doch in seiner Stimme schwang mehr Zorn als Angst mit. „Willst du mir vielleicht auch den Hals umdrehen?“
„Du wirst sterben“, sagte Zara ruhig, und ihre Worte trafen Falk mit der Wucht eines Schmiedehammers. „Doch nicht hier, nicht heute – und nicht durch meine Hand.“ Sie warf einen Blick auf die Leiche zu ihren Füßen. „Heute wurde schon genug Blut vergossen.“ Zara verstummte mit hängenden Schultern, den Blick zu Boden gerichtet. Als sie den Kopf schließlich wieder hob, waren ihre Augen schmal und ernst, und als sie sprach, klangen ihre Worte hektisch, als wäre ihr gerade etwas Wichtiges eingefallen. „Wo sind die anderen?“, wollte sie besorgt wissen.
„Bei Drusillas Leichnam“, erklärte Falk. „Keine Sorge; wir sind allein – mal abgesehen von den ganzen Toten hier ...“ Er sah hinüber zu den Leichen, und eine kleine Weile sagte keiner ein Wort. In den letzten Minuten hatte es wieder stärker zu schneien begonnen, und dicke weiße Flocken wirbelten lautlos durch die Schlucht, von eisigen Winden getragen, um sich auf den erkaltenden Leibern der Toten niederzulassen.
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