Mit einem Keuchen, in dem sich Schmerz und Überraschung die Waage hielten, knickte sie ein, sank in die Knie und stützte sich mit beiden Armen auf die Griffe ihrer Schwerter, die vor ihr in der hartgefrorenen Erde staken. Beide Schusswunden sandten dumpfe Schmerzen durch ihren Leib, die das siedende Adrenalin in ihren Adern gefrieren ließen wie Eis und dafür sorgten, dass sie wieder halbwegs klar im Kopf wurde.
Plötzlich war der Opiumrausch verfolgen, und alles, was blieb, war die bittere Erkenntnis, dass sie gerade so ziemlich jede Regel gebrochen hatte, die sie sich selbst auferlegt hatte. Dass sie Menschen getötet hatte, war nicht das Problem; es hatte ihr Vergnügen bereitet, diese Leben auszulöschen, und als sie den Kopf hob und den Blick benommen durch den Felskessel gleiten ließ, stieg unbändiger Hass auf sich selbst in ihr auf: Hass und die Erkenntnis, dass die grässliche kleine Stimme in ihrem Kopf am Ende vielleicht doch Recht hatte, so sehr Zara sich auch bemühte, sich selbst das Gegenteil zu beweisen.
Das ist es, was ich bin, dachte sie, und daran wird auch die Ewigkeit nichts ändern ...
Plötzlich fühlte Zara sich unendlich müde, als wäre schlagartig all ihre Energie aus ihr gewichen, und als sie versuchte, aufzustehen, knickte sie mit dem linken Bein wieder ein und fiel mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Schnee zurück. Die Pein war mehr seelisch als körperlich, doch das reichte aus, dass die verbliebenen Männer im Felsenkessel plötzlich ihre Chance wittern, das Blatt doch noch zu ihren Gunsten zu wenden. Innerhalb von Sekunden verwandelten sich Angst und Panik in blinden, rasenden Hass, und plötzlich waren die Männer nur noch von einem Gedanken beseelt: Zara zu töten, ihr all das heimzuzahlen, was sie ihnen angetan hatte!
Zara sah es in den weit aufgerissenen Augen ihrer Häscher, die sie starr und seltsam gläsern fixierten; sie hatte diesen Blick schon oft gesehen, meist bei Rittern, die auf dem Schlachtfeld im Angesicht einer blutigen Niederlage plötzlich zum Angriff übergingen, statt den Rückzug anzutreten. Mit Heldenmut hatte dies nichts zu tun, vielmehr war es, als würde im Verstand dieser Männer irgendetwas zerbrechen und derart dafür sorgte, dass sie sich brüllend und außer sich vor Zorn in die aussichtsloseste Schlacht stürzten. Ähnliches ging nun auch mit den überlebenden Banditen vor, die angesichts der am Boden knienden Frau ihren „Mut“ zurückgewannen, und unversehens stürzte sich die Meute wie auf ein unhörbares Signal hin auf Zara.
Heulend vor Wut, wüste Verwünschungen auf den Lippen, fielen die Männer wie ein Rudel wilder, ausgehungerter Wölfe über ihre Beute her, und schlagartig fand sich Zara in einem Käfig aus Beinen wieder, die rings um sie herum aufragten wie Gitterstäbe. Dann prasselte ein brutales Stakkato von Stöcken und Keulen und Knüppeln und Fäusten auf sie ein, doch statt sich zur Wehr zu setzen, versuchte Zara lediglich, ihren Kopf vor den Schlägen zu schützen, so gut es ging, und fügte sich in ihr Schicksal.
Auf einmal war ihr alles gleichgültig, und ihr Verstand leerte sich wie ein Badezuber, aus dem man das Wasser abfließen lässt. Schließlich waren in ihrem Kopf nur mehr die Gesichter jener Männer, die gerade durch ihre Hand ihr Leben verloren hatten; nein, sie hatten nicht nur ihr Leben verloren, sie waren daraus herausgerissen worden, wie blühende Blumen, die man aus einem Beet zupfte. Zara versuchte sich einzureden, dass sie nur getan hatte, was sie tun musste, dass es Selbstverteidigung gewesen war und sie gar keine andere Wahl gehabt hatte. Doch selbst in ihren eigenen Ohren klang dies wie eine Lüge, und die kleine fiese Stimme in ihrem Hinterkopf begann zu lachen, sie lachte immer lauter, während die Männer mit ihren Knüppeln und Keulen und Stöcken auf Zara einprügelten und nach ihr traten.
Bald gab es keine Stelle ihres Körpers mehr, die nicht schmerzte, doch Zara registrierte es kaum; je mehr die Männer ihr zusetzten, desto mehr zog sie sich in sich selbst zurück, und je mehr sie sich in sich zurückzog, desto lauter und deutlicher wurde die Stimme in ihrem Verstand, die gleichzeitig so fremd und doch so vertraut klang. Ein Stockhieb traf Zara am Ohr, und ein schriller pfeifender Schmerz zuckte durch ihren Schädel, und als das Pfeifen nachließ, war es plötzlich ganz still geworden.
Im ersten Moment glaubte Zara, die Männer hätten aufgehört, zu jaulen und zu schreien und auf sie einzuprügeln, doch als sie mühsam die Augen verdrehte, sah sie über sich dieselben vor Wut verzerrten Männergesichter, dieselben schreienden Münder wie zuvor, doch die Welt um sie herum war verstummt; alles, was sie hörte, war das vielstimmige dumpfe Pochen der Herzen ihrer Peiniger, ein wirres Durcheinander wild schlagender Herzen, das sich anhörte, als würde ein halbes Dutzend Musiker gleichzeitig ihre Trommeln schlagen – Ba-bock, Ba-bock, Ba-bock –, und mit jeder Sekunde wurde das Schlagen der Trommeln lauter, immer lauter, bis sich die wild pochenden Herzschläge der Männer in ihrem Kopf zu einem ohrenbetäubenden Crescendo vereinten, das ihren Schädel bis in den letzten Winkel ausfüllte. Selbst da schwoll der Lärm ihrer Herzen noch weiter an – Ba-bock, Ba-bock, Ba-BOCK! –, doch jetzt klang ihr Herzschlag nicht mehr wie Trommeln, er klang wie das Dröhnen der Kirchenglocke von Moorbruch, wie acht dieser Glocken, die immer schneller gegen den Klöppel schlugen, und mit jedem Schlag des Klöppels hatte Zara das Gefühl, ihr Kopf würde stetig weiter und immer weiter anschwellen. Sie riss auf einmal den Mund auf, bäumte sich unter den Schlägen ihrer Häscher auf und schrie ihren Schmerz, ihren Zorn und ihre Verzweiflung hinaus, so laut, dass man es noch eine Meile entfernt hören konnte. Doch keiner, der den durch den nächtlichen Wald hallenden Schrei vernahm, hätte geglaubt, dass es der Schrei eines Menschen war.
Zaras Häscher hielten erschrocken inne; die Stöcke und Knüppel erstarrten über ihrem Opfer, und ein oder zwei der Kerle rissen sogar die Hände an die Ohren, so laut war Zaras Schrei. Und Zara hörte nicht auf zu schreien. Sie schrie alles Elend und Leid heraus, das sich in ihr angesammelt hatte, ein ansteigender, ohrenbetäubender gequälter Schrei, der – auch wenn das kaum möglich schien – noch lauter wurde, immer lauter, bevor er sich auf einmal in Gelächter verwandelte, und plötzlich schrie Zara nicht mehr, sondern lachte, ein hohles, schallendes Gelächter bar jeder Fröhlichkeit, das von den Wänden des Felskessels wiederhallte wie ein Echo zwischen Berghängen. Und spätestens jetzt bekamen es auch all jene, die bei Zaras Schrei nicht vor Schreck erstarrt waren, mit der Angst zu tun, denn dieses Lachen war Grauen erregender als der schlimmste Schrei, so höhnisch und schallend und dunkel, so bar jeder Menschlichkeit, als entstamme es der Hölle selbst, und wie auf einen unhörbaren Befehl hin wichen die Männer ängstlich zwei, drei, vier Schritte vor der Frau zurück. Und Zara kauerte im Schnee, noch immer aus voller Kehle lachend, das Gesicht gesenkt und von einem Schwall dunklen Haars verhüllt wie von einem Schleier.
Zara lachte, während die Männer sie ängstlich anstarrten, unfähig, sich zu rühren, und nach und nach wurde Zaras Gelächter leiser, abgehakter, klang zu einem spöttischen Kichern ab, um schließlich ganz zu verstummen, und wieder legte sich Stille über den Wald, eine unheilvolle Stille, die alle anderen Geräusche unterdrückte. Im ersten Moment waren die meisten Männer froh, dass das diabolische Gelächter endlich verstummt war, doch wie zuvor das Gelächter schlimmer gewesen war als der Schrei, so war die Stille nun furchteinflößender als das grauenvolle Gelächter. Mit ängstlich zusammengekniffenen Augen standen die Männer im Kreis um Zara herum, ein paar Schritte dahinter die Kerle mit den Musketen, und alle starrten die in ihrer Mitte kauernde Frau furchtsam an. Niemand sagte ein Wort.
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