»Ja, Omeron ist ein guter, edler Mann«, murmelte Sonja, die sich an einen anderen erinnerte, der ihm ein wenig ähnlich gewesen war.
Und Elath, der die Erinnerung an Liebe und Schmerz in ihren Augen las, drehte sich taktvoll um, denn er spürte, dass sie sie mit niemandem teilen wollte.
Am schwarzen Teich hatte Ilura gebetet. Wieder und immer wieder war die Verwandlung über sie gekommen. Der Wechsel in ihren Kräften pulsierte durch Wind und Luft, durch Stein und Erde, um alle unterirdischen Wesen wachzurütteln, die Elementargeister und den Geist aller Adepten – um sie alle wissen zu lassen, dass die Zeit gekommen war, rückgängig zu machen, was getan worden war. Nachtvögel waren herabgestoßen, um sie anzugreifen, während sie am Teich gebetet und sich verwandelt hatte. Schutzschlangen hatten sie mit bedrohlichen Fängen abgewehrt, doch immer noch kreisten die Vögel auf lautlosen Schwingen unter dem Mond um sie.
»Ich bin Ilura!« sagte sie zum Wind und zu den Sternen. »Hört mich, o Sithra und Ixcatl! Bald werde ich aus den nächtlichen Wäldern ins beleuchtete Lager der Menschen zurückkehren. Nacht und Vergangenheit haben uns lange verborgen, doch nun steht unsere Wiederauferstehung bevor. Hört mich, o ihr wilden Wesen unter der Erde, ihr schuppigen Wesen, ihr kriechenden Wesen! Erinnert euch eurer alten Gebieter, eurer Treue zu ihnen! Hört auf eure Priesterin, die aus eurem lange vergessenen Tempel kam, und folgt ihrem Ruf! Hört auf mich, und erinnert euch eures alten Hasses. Nehmt den Kampf gegen jene wieder auf, die euch vor langer Zeit die Herrschaft über die Welt wegnahmen!«
So betete sie und wob ihren Zauber – Ilura, Schlange und Frau. Und so wiegelte sie die Geschöpfe der Natur auf, die wilden, unduldsamen Wesen, die aus alter Zeit an dunklen Orten in entarteter Form überlebt hatten.
»Vollende deinen Pakt, o Ixcatl! Verflucht sei die Menschheit, möge sie schnell untergehen! O Sithra, lass die lang ersehnte Gerechtigkeit walten!«
Die Nachtvögel heulten vor Furcht, und nun flogen sie hastig von hinnen. Plötzlich herrschte gespenstisches Leben im Unterholz des Waldes. Ein Gleiten und Kriechen war zu hören. Wahre Legionen von Schlangen und Echsen eilten durch Gras und Steine, bewegten sich im Rhythmus von Iluras Gebet.
»Ihr Opfer der Menschheit, bald werdet ihr aus den Menschen Opfer machen!« rief Ilura. Und lautlos, nur für sich, fügte sie hinzu: Und du, mein Vater Du-jum, wirst bald am eigenen Leib und an eigener Seele erfahren, welche Qualen ein Opfer erleidet!
Als das Gebet beendet war, machte eine völlig erschöpfte Ilura sich mit dem Traum von Rache im Herzen auf den Weg zurück zum Lager am Berghang.
Der Morgen graute im Lager, und mit dem jungen Tag kam die Ahnung neuer Gefahr, die alle Hoffnung dämpfte. Zwischen den Schlachten stellen sich derlei quälende Gefühle häufig ein, doch tragen sie nicht immer dazu bei, die Dinge klarer und genauer zu sehen.
Was das lähmende Gefühl erhöhte, waren die kriechenden und raschelnden Kreaturen im Gras rings um das Lager.
»Mitra hilf!« schrie ein Wächter und schlug in dem Dämmerlicht wild um sich. »Schlangen! Es wimmelt nur so von Schlangen!«
Auch andere Soldaten brüllten jetzt und schlugen auf das Gras ein, ehe sie sich ekelerfüllt tiefer ins Lager zurückzogen. Dann bemühten die Soldaten sich um Ruhe. Angespannt und furchterfüllt beobachteten sie das schwach glitzernde Schlangenmeer rings um das gesamte Lager.
»Sie haben uns umzingelt!« schrie ein junger Soldat panikerfüllt.
»Sie haben es nicht auf uns abgesehen«, beruhigte ihn ein Kamerad. »Sieh selbst, sie kriechen nur um uns herum den Berg hinunter!«
»Mitra beschütze uns!« betete ein dritter. .
Als das Tageslicht den Flammen der Lagerfeuer die Leuchtkraft raubte, trat Ilura aus dem Buschwerk und näherte sich dem Lager. Die Schlangen und Echsen öffneten eine Gasse für sie. Misstrauische und wütende Augen blickten ihr entgegen. Fester umklammerten die Männer ihre Waffen.
»Wo warst du, Hexe?« fragte der junge Offizier, der in Stellvertretung von Lord Omeron den Befehl über das Lager hatte.
»Im Wald. Ich bereitete einen Zauber vor, um Lord Omeron zu unterstützen.«
»Vergangene Nacht kam es hier zum Kampf … ein Kampf von Zauberkräften. Wo warst du während dieses Kampfes?«
»Zauberkräfte?«
»Ja … ein riesiger Vogel, den dieser Hexer geschickt hatte! Und du warst nirgendwo zu finden!«
Ilura blickte ihn kühl an. »Ich hielt mich im Wald auf. Nun kehre ich zurück, um Lord Omeron zu helfen.«
»Helfen? Du? Eine Hexe will uns helfen?«
Sie umringten sie, und die Finger um die Schwertgriffe zuckten. Diese fremdartige Frau, diese Hexe, die aus dem Unbekannten kam und behauptete, helfen zu wollen, aber verursachte, dass Riesenvögel erschienen und ein wogendes Meer von Schlangen!
»Omeron war ein Narr, ihr zu trauen!« schrie ein Soldat.
»Ich bin derselben Meinung«, sagte der Offizier. »Aber vergesst nicht, was Omeron sagte!«
»Sie ist nicht hier, um uns zu helfen, verdammt! Sie wurde von diesem Hexer geschickt, der Thesrad eingenommen hat. Uns helfen? Ha! Sie erscheint, und bald darauf greift ein Riesenvogel an, dann ein anderes Ungeheuer – und jetzt kommen all diese Reptilien!«
Ein langes Schweigen setzte ein, während über diese Worte nachgedacht wurde, während die Sonne aufging, während das Gras rings um das Lager raschelte. Feindselige Männeraugen starrten in Iluras gelbe Frauenaugen.
Sie spürte, wie in ihr der Hass auf die Menschen zurückkehrte. Immer diese Menschen, immer der Hass der Menschen – Menschen, die die Welt für alles Leben gefährlich machten.
Da flüsterte einer die Worte, die alle dachten, doch noch nicht ausgesprochen hatten: »Tod der Hexe!«
Ilura zischte und wich zurück, Stiefel scharrten, Schwerter wurden aus den Scheiden gezogen und zum Schlag erhoben.
»Narrren!«
Es war ein Schrei aus Wut geboren, aus Hass, aus Grauen vor einer Spezies, die zu fremdartig für sie war, Verbundenheit mit ihr zu fühlen. Und mit ihrem Schrei begann ihre ungeheuerliche Verwandlung.
Schwerter hieben und stachen nach ihr, doch keines vermochte ihr etwas anzuhaben. Funken knisterten – von der namenlosen Energie, die frei wird, wenn Sterbliche mit Zauberei in Berührung kommen. Die Soldaten schnaubten, knurrten und strengten sich mit der panikartigen Unsicherheit einer Masse von Menschen an, die gleichzeitig dasselbe erreichen wollen.
Dann ein wilder Schrei – ein weiterer – und viele mehr.
Aus der bewegten Menge wütender, von Rache erfüllter Menschen schnellte eine gigantische Schlange empor.
Ilura – mit einem Soldaten zwischen den Kiefern.
Sie peitschte um sich, und die Männer schrien wild und sprangen zur Seite, um den malmenden Windungen ihres Leibes zu entgehen. Der Bursche in ihrem Maul brüllte verzweifelt. Ilura ließ ihn auf die anderen Soldaten fallen, die sie nun mit Schwertern, Steinen, ja selbst brennenden Ästen aus den Lagerfeuern bewarfen. Doch nichts davon vermochte der titanischen Schlange etwas anzuhaben, auch nicht die Pfeile von schnell gespannten Sehnen.
»Narrrren!« Iluras Schlangenstimme war ohrenbetäubend. Zischend hob sie den Kopf noch mehr und war nun höher als die vier größten Soldaten übereinander. Sie schwang die Windungen ihres gewaltigen Körpers nach den törichten Menschen, warf ganze Reihen der nun Verängstigten um und knickte Bäume, die ihr im Weg standen. Schreiend vor Furcht rannten die Männer auseinander. Ilura stürmte zwischen ihnen hindurch und bahnte sich einen breiten Weg durch Lagerfeuer und Schlafdecken.
In wenigen Augenblicken hatte sie das Lager hinter sich. Ein paar zermalmte Leichen blieben zurück. Der von den völlig verängstigten Pferden aufgewirbelte Staub senkte sich wieder, und alsbald war von der Schlange nur noch der dunkle und doch silbrig glänzende Schwanz zu sehen, der schnell bergab verschwand. Das von ihr verursachte Krachen und Bersten war noch eine Weile zu hören, ebenso das Rascheln der kleineren Reptilien, dann wurde es still.
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