»Die ganze Schule spricht darüber«, sagte Ron. »Was ist denn wirklich passiert?«
Es war eine jener seltenen Gelegenheiten, bei denen die wahre Geschichte noch unerhörter und aufregender ist als die wildesten Gerüchte. Harry erzählte ihnen alles: von Quirrell, vom Spiegel, vom Stein und von Voldemort. Ron und Hermine waren sehr gute Zuhörer; sie rissen an den richtigen Stellen Mund und Augen auf, und als Harry ihnen erzählte, was unter Quirrells Turban zum Vorschein gekommen war, schrie Hermine laut auf
»Der Stein ist also vernichtet?«, sagte Ron schließlich. »Flamel wird einfach sterben?«
»Das habe ich gesagt, aber Dumbledore glaubt, daß – wie war es noch mal? – ›für den gut vorbereiteten Geist der Tod nur das nächste große Abenteuer ist‹.«
»Ich hab ja immer gesagt, daß er völlig von der Rolle ist«, sagte Ron und schien recht beeindruckt davon, wie verrückt sein großes Vorbild war.
»Und was ist mit euch geschehen?«, sagte Harry.
»Nun, ich bin rausgekommen«, sagte Hermine. »Ich habe Ron aufgepäppelt – das hat eine Weile gedauert
wir sind zur Eulerei hochgerast, um Dumbledore zu benachrichtigen, und da laufen wir ihm in der Eingangshalle über den Weg – er wußte schon Bescheid und sagte nur: Harry ist hinter ihm her, nicht wahr?, und ist losgesaust in den dritten Stock.«
»Glaubst du, er wollte, daß du es tust?«, sagte Ron. »Wo er dir doch den Umhang deines Vaters geschickt hat und alles?«
»Also«, platzte Hermine los,»wenn das stimmt – möchte ich doch sagen – das ist schrecklich, du hättest umgebracht werden können.«
»Nein, ist es nicht«, sagte Harry nachdenklich. »Er ist ein merkwürdiger Mensch, dieser Dumbledore. Ich glaube, er wollte mir eine Chance geben. Er weiß wohl mehr oder weniger alles, was hier vor sich geht. Ich wette, er hat recht gut geahnt, was wir vorhatten, und anstatt uns aufzuhalten, hat er uns gerade genug beigebracht, um uns zu helfen. Daß er mich herausfinden ließ, wie der Spiegel wirkt, war wohl kein Zufall. Mir kommt es fast so vor, als meinte er, ich hätte das Recht, mich Voldemort zu stellen, wenn ich konnte… «
»Ja, Dumbledore ist auf Draht, allerdings«, sagte Ron stolz. »Hör mal, du mußt für die Jahresabschlußfeier morgen wieder auf den Beinen sein. Die Punkte sind alle gezählt und Slytherin hat natürlich gewonnen – du warst beim letzten Quidditch-Spiel nicht dabei, Ravenclaw hat uns weggeputzt ohne dich – aber das Essen ist sicher gut.«
In diesem Moment kam Madam Pomfrey herübergewirbelt.
»Ihr habt jetzt fast fünfzehn Minuten gehabt, nun aber RAUS«, sagte sie bestimmt.
Nachdem er die Nacht gut geschlafen hatte, fühlte sich Harry fast wieder bei Kräften.
»Ich möchte zum Fest«, erklärte er Madam Pomfrey, die gerade seine vielen Schachteln mit Süßigkeiten aufstapelte. »Ich kann doch, oder?«
»Professor Dumbledore sagt, es sei dir erlaubt zu gehen«, sagte sie spitz, als ob ihrer Meinung nach Professor Dumbledore nicht erkannte, wie gesundheitsgefährdend Feste sein konnten. »Und du hast noch einen Besucher.«
»Oh, gut«, sagte Harry. »Wer ist es?«
Kaum hatte er gefragt, schlüpfte Hagrid durch die Tür. Wie immer, wenn er sich in Räumen aufhielt, sah er verboten groß aus. Er setzte sich neben Harry, warf ihm einen Blick zu und brach in Tränen aus.
»Es war – alles – mein – verfluchter – Fehler«, schluchzte er, das Gesicht in den Händen vergraben. »Ich hab dem bösen Wicht gesagt, wie er an Fluffy vorbeikommen kann! Ausgerechnet ich! Es war das Einzige, was er nicht wußte, und ich hab's ihm gesagt. Du hättest sterben können! Und alles für ein Drachenei! Ich rühr kein Glas mehr an! Man sollte mich rausschmeißen und mich zwingen, als Muggel zu leben«
»Hagrid!«, sagte Harry, entsetzt darüber, daß es Hagrid vor Gram und Reue schüttelte und große Tränen an seinem Bart herunterkullerten. »Hagrid, er hätte es schon irgendwie herausgefunden, wir sprechen immerhin von Voldemort, er hätte es rausgefunden, auch wenn du es ihm nicht gesagt hättest.«
»Du hättest sterben können!«, wiederholte Hagrid. »Und nenn ja nicht den Namen!«
»VOLDEMORT«, brüllte Harry und Hagrid bekam einen solchen Schreck, daß ihm das Weinen verging. »Ich hab ihn gesehen und ich nenne ihn bei seinem Namen. – Bitte krieg dich wieder ein, wir hatten den Stein, er ist zerstört, er kann ihn nicht benutzen. Nimm einen Schokofrosch, ich hab ganze Wagenladungen davon… «
Hagrid wischte sich mit dem Handrücken die Nase und sagte:»Da fällt mir ein – ich hab ein Geschenk für dich.«
»Kein Wiesel-Sandwich, oder?«, sagte Harry mit besorgter Miene, und endlich ließ Hagrid ein leises Glucksen hören.
»Nee. Dumbledore hat mir gestern dafür freigegeben. Hätt mich natürlich statt dessen rausschmeißen sollen – jedenfalls, das ist für dich… «
Es sah aus wie ein schönes, in Leder gebundenes Buch. Harry öffnete es neugierig. Es war voller Zaubererfotos. Von jeder Seite des Buches lächelten und winkten ihm seine Mutter und sein Vater entgegen.
»Hab Eulen an alle alten Schulfreunde deiner Eltern geschickt und sie um Fotos gebeten… Wußte, daß du keine hast… Magst du es?«
Harry brachte kein Wort hervor, doch Hagrid verstand ihn.
An diesem Abend ging Harry allein den Weg hinunter zum Jahresabschlußfest. Madam Pomfrey, die noch einigen Wirbel veranstaltet hatte, weil sie ihn noch ein letztes Mal untersuchen wollte, hatte ihn aufgehalten, und so war die Große Halle schon voller Schüler. Sie war in den Farben der Slytherins, Grün und Silber, ausgeschmückt, denn sie hatten den Hauspokal nun im siebten Jahr in Folge gewonnen. Ein riesiges Transparent mit der Slytherin-Schlange bedeckte die Wand hinter dem Hohen Tisch.
Als Harry hereinkam, trat ein kurzes Schweigen ein und dann begannen alle auf einmal laut durcheinander zu reden. Er rutschte auf einen Platz am Gryffindor-Tisch zwischen Ron und Hermine und versuchte die Schüler nicht zu beachten, die aufstanden, um ihn zu sehen.
Glücklicherweise kam nur wenige Augenblicke später Dumbledore herein. Das Geplapper erstarb.
»Wieder ein Jahr vorbei!«, rief Dumbledore ausgelassen. »Und bevor wir die Zähne in unser köstliches Festessen versenken, muß ich euch mit dem schwefligen Geschwafel eines alten Mannes belästigen. Was für ein Jahr! Hoffentlich sind eure Köpfe ein wenig voller als zuvor… ihr habt jetzt den ganzen Sommer vor euch, um sie wieder hübsch leer zu räumen, bevor das nächste Schuljahr anfängt…
Nun, wie ich es verstehe, muß jetzt dieser Hauspokal überreicht werden, und auf der Tabelle sieht es wie folgt aus: an vierter Stelle Gryffindor mit dreihundertundzwölf Punkten; an dritter Hufflepuff mit dreihundertundzweiundfünfzig; Ravenclaw hat vierhundertundsechsundzwanzig und Slytherin vierhundertundzweiundsiebzig Punkte.«
Vom Tisch der Slytherins brach ein Sturm aus Jubelrufen und Fußgetrappel los. Harry sah Draco Malfoy mit dem Becher auf den Tisch hauen. Von dem Anblick wurde ihm fast schlecht.
»ja, ja, gut gemacht, Slytherin«, sagte Dumbledore. »Allerdings müssen auch die jüngsten Ereignisse berücksichtigt werden.«
In der Halle wurde es sehr leise. Das Lächeln auf den Gesichtern der Slytherins verblaßte.
»Ähem«, sagte Dumbledore. »Ich habe hier noch ein paar letzte Punkte zu vergeben. Schauen wir mal. ja…
Zuerst – an Mr. Ronald Weasley… «
Ron lief purpurrot an; er sah aus wie ein Radieschen mit einem schlimmen Sonnenbrand.
»… für die beste Schachpartie, die in Hogwarts seit vielen Jahren gespielt wurde, verleihe ich Gryffindor fünfzig Punkte.«
Fast hoben die Jubelschreie der Gryffindors die verzauberte Decke noch höher in die Lüfte; die Sterne über ihren Köpfen schienen zu erzittern. Nicht zu überhören war Percy, der den anderen Vertrauensschülern mitteilte:»Mein Bruder, müßt ihr wissen! Mein jüngster Bruder! Ist durch McGonagalls riesiges Schachspiel gekommen!«
Читать дальше
Конец ознакомительного отрывка
Купить книгу