1 ...8 9 10 12 13 14 ...66 Dieser Riese zwängte sich in die Hütte, den Rücken gebeugt, so daß sein Kopf die Decke nur streifte. Er bückte sich, stellte die Tür aufrecht und setzte sie mit leichter Hand wieder in den Rahmen ein. Der Lärm des Sturms draußen ließ etwas nach. Er wandte sich um und blickte sie an.
»Könnte 'ne Tasse Tee vertragen. War keine leichte Reise…«
Er schritt hinüber zum Sofa, auf dem der vor Angst versteinerte Dudley saß.
»Beweg dich, Klops«, sagte der Fremde.
Dudley quiekte und rannte hinter den Rücken seiner Mutter, die sich voller Angst hinter Onkel Vernon zusammenkauerte.
»Und hier ist Harry«, sagte der Riese.
Harry blickte hinauf in sein grimmiges, wildes Gesicht und sah, daß sich die Fältchen um seine Käferaugen zu einem Lächeln gekräuselt hatten.
»Letztes Mal, als ich dich gesehen hab, warst du noch 'n Baby«, sagte der Riese. »Du siehst deinem Vater mächtig ähnlich, aber die Augen hast du von deiner Mum.«
Onkel Vernon gab ein merkwürdig rasselndes Geräusch von sich. »Ich verlange, daß Sie auf der Stelle verschwinden!«. sagte er. »Das ist Hausfriedensbruch!«
»Aach, halt den Mund, Dursley, du Oberpflaume«, sagte der Riese. Er streckte den Arm über die Sofalehne hinweg, riß das Gewehr aus Onkel Vernons Händen, verdrehte den Lauf – als wäre er aus Gummi – zu einem Knoten und warf es in die Ecke.
Onkel Vernon gab abermals ein merkwürdiges Geräusch von sich, wie eine getretene Maus.
»Dir jedenfalls, Harry«, sagte der Riese und kehrte den Dursleys den Rücken zu,»einen sehr herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Hab hier was für dich – vielleicht hab ich zwischendurch mal draufgesessen, aber er schmeckt sicher noch gut.«
Aus der Innentasche seines schwarzen Umhangs zog er eine etwas eingedellte Schachtel. Harry öffnete sie mit zitternden Fingern. Ein großer, klebriger Schokoladenkuchen kam zum Vorschein, auf dem mit grünem Zuckerguß Herzlichen Glückwunsch, Harry geschrieben stand.
Harry sah zu dem Riesen auf Er wollte eigentlich danke sagen, aber auf dem Weg zum Mund gingen ihm die Worte verloren, und statt dessen sagte er:»Wer bist du?«
Der Riese gluckste.
»Wohl wahr, hab mich nicht vorgestellt. Rubeus Hagrid, Hüter der Schlüssel und Ländereien von Hogwarts.«
Er streckte eine gewaltige Hand aus und schüttelte Harrys ganzen Arm.
»Was ist nun eigentlich mit dem Tee?«, sagte er und rieb sich die Hände. »Würd nicht nein sagen, wenn er 'n bißchen stärker wär, wenn du verstehst, was ich meine.«
Sein Blick fiel auf einen Korb mit den zusammengeschrumpften Kräcker-Schachteln und er schnaubte. Er beugte sich zur Feuerstelle hinunter; sie konnten nicht sehen, was er tat, doch als er sich einen Moment später aufrichtete, prasselte dort ein Feuer. Es erfüllte die ganze feuchte Hütte mit flackerndem Licht, und Harry fühlte die Wärme über sein Gesicht fließen, als ob er in ein heißes Bad getaucht wäre.
Der Riese setzte sich wieder auf das Sofa das unter seinem Gewicht einknickte, und begann dann alle möglichen Dinge aus den Taschen seines Umhangs zu ziehen: einen Kupferkessel, eine platt gedrückte Packung Würstchen, einen Schürhaken, eine Teekanne, einige ineinander gesteckte Becher und eine Flasche mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, aus der er sich einen Schluck genehmigte, bevor der Tee zu kochen begann. Bald war die Hütte erfüllt von dem Duft der brutzelnden Würste. Während der Riese arbeitete, sagte niemand ein Wort, doch als er die ersten sechs fetten, saftigen, leicht angekokelten Würste vom Rost nahm, zappelte Dudley ein wenig. Onkel Vernon fauchte ihn an:»Dudley, du rührst nichts von dem an, was er dir gibt.«
Der Riese gab ein dunkles Glucksen von sich.
»Dein großer Pudding von einem Sohn muß nicht mehr gemästet werden, Dursley, keine Panik.«
Er reichte die Würstchen Harry, der so hungrig war, daß es ihm vorkam, als hätte er noch nie etwas Wundervolleres gekostet, doch immer noch konnte er den Blick nicht von dem Riesen abwenden. Schließlich, da offenbar niemand etwas zu erklären schien, sagte er:»Tut mir Leid, aber ich weiß immer noch nicht richtig, wer du bist.«
Der Riese nahm einen großen Schluck Tee und wischte sich mit dem Handrücken den Mund.
»Nenn mich Hagrid«, sagte er,»das tun alle. Und wie ich dir schon gesagt hab, bin ich der Schlüsselhüter von Hogwarts – über Hogwarts weißt du natürlich alles.«
»Ähm – nein«, sagte Harry.
Hagrid sah schockiert aus.
»Tut mir Leid«, sagte Harry rasch.
»Tut dir Leid?«, bellte Hagrid und wandte sich zu den Dursleys um mit einem Blick, der sie in die Schatten zurückweichen ließ. »Denen sollte es Leid tun. Ich wußte, daß du deine Briefe nicht kriegst, aber ich hätt nie gedacht, daß du nicht mal von Hogwarts weißt, das is ja zum Heulen! Hast du dich nie gefragt, wo deine Eltern das alles gelernt haben?«
»Alles was?«, fragte Harry.
»ALLES WAS?«, donnerte Hagrid. »Nu mal langsam!«
Er war aufgesprungen. In seinem Zorn schien er die ganze Hütte auszufüllen. Die Dursleys kauerten sich an die Wand.
»Wollt ihr mir etwa sagen«, knurrte er sie an,»daß dieser Junge – dieser Junge! – nichts von – von NICHTS weiß?«
Das ging Harry doch ein wenig zu weit. Immerhin ging er zur Schule und hatte keine schlechten Noten.
»Ich weiß schon einiges«, sagte er. »Ich kann nämlich Mathe und solche Sachen.«
Doch Hagrid tat dies mit einer Handbewegung ab und sagte:»Über unsere Welt, meine ich. Deine Welt. Meine Welt. Die Welt von deinen Eltern.«
»Welche Welt?«
Hagrid sah aus, als würde er gleich explodieren.
»DURSLEY!«, dröhnte er.
Onkel Vernon, der ganz blaß geworden war, flüsterte etwas, das sich anhörte wie »Mimbelwimbel«. Hagrid starrte Harry mit wildem Blick an.
»Aber du mußt doch von Mum und Dad wissen«, sagte er. »Ich meine, sie sind berühmt. Du bist berühmt.«
»Was? Mum und Dad waren doch nicht berühmt!«
»Du weißt es nicht… du weißt es nicht… «Hagrid fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und fixierte Harry mit einem bestürzten Blick.
»Du weißt nicht, was du bist?«, sagte er schließlich.
Onkel Vernon fand plötzlich seine Stimme wieder.
»Aufhören«, befahl er,»hören Sie sofort auf, Sir! Ich verbiete Ihnen, dem Jungen irgendetwas zu sagen!«
Auch ein mutigerer Mann als Vernon Dursley wäre unter dem zornigen Blick Hagrids zusammengebrochen; als Hagrid sprach, zitterte jede Silbe vor Entrüstung.
»Du hast es ihm nie gesagt? Ihm nie gesagt, was in dem Brief stand, den Dumbledore für ihn dagelassen hat? Ich war auch dabei! Ich hab gesehen, wie Dumbledore ihn dort hingelegt hat, Dursley! Und du hast ihn Harry all die Jahre vorenthalten?«
»Was vorenthalten?«, fragte Harry begierig.
»AUFHÖREN! ICH VERBIETE ES IHNEN!«, schrie Onkel Vernon in Panik.
Tante Petunia schnappte vor Schreck nach Luft.
»Aach, kocht eure Köpfe doch im eigenen Saft, ihr beiden«. sagte Hagrid. »Harry, du bist ein Zauberer.«
In der Hütte herrschte mit einem Mal Stille. Nur das Meer und das Pfeifen des Winds waren noch zu hören.
»Ich bin ein was?«
»Ein Zauberer, natürlich«, sagte Hagrid und setzte sich wieder auf das Sofa, das unter Ächzen noch tiefer einsank. »Und ein verdammt guter noch dazu, würde ich sagen, sobald du mal 'n bißchen Übung hast. Was solltest du auch anders sein, mit solchen Eltern wie deinen? Und ich denk, 's ist an der Zeit, daß du deinen Brief liest.«
Harry streckte die Hand aus und nahm endlich den gelblichen Umschlag, der in smaragdgrüner Schrift adressiert war an Mr. H. Potter, Der Fußboden, Hütte-auf-dem-Fels, Das Meer. Er zog den Brief aus dem Umschlag und las:
HOGWARTS-SCHULE FÜR HEXEREI UND ZAUBEREI
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