Cressen preßte die Lippen aufeinander und rang seinen Zorn nieder. Sie hielt ihn für schwächlich und hilflos, aber er würde sie eines Besseren belehren, ehe die Nacht vorüber war. Mochte er auch alt sein, so war er dennoch ein Maester der Citadel.»Ich brauche keine Krone außer der Wahrheit«, entgegnete er und nahm sich den Narrenhelm vom Kopf.
«In dieser Welt gibt es Wahrheiten, die in Oldtown nicht gelehrt werden. «Melisandre drehte sich um, die rote Seide ihres Kleides wirbelte wie ein Strudel, und sie trat an den hohen Tisch zurück, wo König Stannis und seine Königin saßen. Cressen reichte Flickenfratz den gehörnten Blecheimer und wollte ihr folgen.
Maester Pylos saß auf seinem Platz.
Der alte Mann blieb stehen und starrte ihn an.»Maester Pylos«, sagte er schließlich,»Ihr… habt mich nicht geweckt.«
«Seine Gnaden befahl mir, Euch ruhen zu lassen. «Pylos hatte wenigstens den Anstand zu erröten.»Er sagte mir, Ihr würdet hier nicht gebraucht.«
Cressen ließ den Blick über die schweigenden Ritter und Hauptmänner und Lords schweifen. Lord Celtigar, alt und griesgrämig, trug einen Umhang, der mit roten Krebsen verziert war, die mit Granaten aufgestickt waren. Der stattliche Lord Velaryon hatte meergrüne Seide gewählt, und das weißgoldene Seepferdchen an seinem Hals paßte zu seinem langen blonden Haar. Lord Bar Emmon, der plumpe Vierzehnjährige, hatte sich in purpurnen Samt gehüllt, der mit weißem Seehundfell abgesetzt war, Ser Axell Florent wirkte eher bescheiden in Rotbraun und Fuchsfell, der fromme Lord Sunglass trug Mondsteine um Hals und Handgelenk und Finger, und der Kapitän aus Lys, Salladhor Saan, leuchtete wie ein Sonnenaufgang aus scharlachrotem Satin, Gold und Edelsteinen. Nur Ser Davos hatte ein einfaches Gewand angelegt, ein braunes Wams und einen grünen Wollmantel, und nur Ser Davos hielt seinem Blick voller Mitleid stand.
«Ihr seid zu gebrechlich und verwirrt, um mir noch länger von Nutzen zu sein, alter Mann. «Es klang nach Lord Stannis' Stimme, doch konnte das nicht sein, nein, das konnte einfach nicht sein.»Pylos wird mir von nun an mit seinem Rat zur Seite stehen. Er betreut die Raben ja bereits, da Ihr nicht mehr in den Schlag hinaufklettern könnt. Ich will schließlich nicht, daß Ihr in meinen Diensten zu Tode stürzt.«
Maester Cressen blinzelte. Stannis, mein Lord, mein trauriger, verdrossener Junge, du mein Sohn, den ich niemals hatte, das kannst du nicht tun, weißt du denn nicht, wie ich stets für dich gesorgt habe, für dich gelebt habe, dich allem zum Trotz geliebt habe? Ja, ich habe dich geliebt, mehr als Robert und Renly, denn du warst der Ungeliebte, derjenige, welche der Liebe am meisten bedurfte. Dennoch erwiderte er lediglich:»Wie Ihr befehlt, Mylord, aber… aber ich bin hungrig. Dürfte ich mich an Euerer Tafel niederlassen?« An
deiner Seite, ich gehöre an deine Seite…
Ser Davos erhob sich von der Bank.»Ich würde mich geehrt fühlen, wenn der Maester neben mir säße, Euer Gnaden.«
«Wie Ihr wünscht. «Lord Stannis wandte sich ab und sagte etwas zu Melisandre, die sich an seiner rechten Seite niedergelassen hatte, auf dem Platz, der die größte Ehre bedeutete. Lady Selyse saß zu seiner Linken und hatte ein grelles Lächeln aufgesetzt, das blitzte wie ihre Edelsteine.
Zu weit entfernt, dachte Cressen benommen und sah hinüber zu Ser Davos. Zwischen dem vormaligen Schmuggler und der hohen Tafel saß ein halbes Dutzend Vasallen. Ich muß näher an sie herangelangen, wenn ich den Würger in ihren Kelch geben will, doch wie bloß?
Flickenfratz tollte herum, während der Maester um den Tisch herum zu Davos Seaworth schlurfte.»Hier essen wir Fisch«, verkündete der Narr glücklich und winkte mit einem Barsch wie mit einem Zepter.»Unter dem Meer frißt der Fisch uns. Ja, ja, ja, ha, ha, ha.«
Ser Davos machte Platz auf der Bank.»Heute nacht sollten wir alle das Narrenkostüm tragen«, sagte er düster, als Cressen sich neben ihm niederließ,»denn unser Unternehmen ist töricht. Die rote Frau hat in ihren Flammen Siege gesehen, daher will Stannis auf seiner Forderung nach der Krone beharren, gleichgültig, wie viele Soldaten ihm folgen. Ehe sie fertig ist, werden wir wohl alle mit eigenen Augen gesehen haben, was Flickenfratz erschaut hat: den Grund des Meeres.«
Cressen schob die Hände in die Ärmel, als fröstele er. Mit den Fingern ertastete er die harten Kristalle in der Wolle.»Lord Stannis.«
Stannis wandte sich von der roten Frau ab, doch es war Lady Selyse, die antwortete.»König Stannis. Ihr vergeßt Euch, Maester.«
«Er ist alt, seine Gedanken schweifen umher«, fuhr der
König sie schroff an.»Was gibt es, Cressen? Sprecht nur.«
«Da Ihr entschlossen seid, in See zu stechen, ist es wichtig, daß Ihr mit Lord Stark und Lady Arryn zu einer Übereinkunft gelangt… «
«Ich werde mit niemandem eine Übereinkunft treffen«, entgegnete Stannis Baratheon.
«Auch das Licht schließt kein Bündnis mit der Dunkelheit. «Lady Selyse ergriff seine Hand.
Lord Stannis nickte.»Die Starks wollen mich meines halben Königreichs berauben, so wie die Lannisters mir meinen Thron und mein eigener Bruder mir die Männer und die Festungen gestohlen haben, die rechtmäßig mir gehören. Sie alle sind Usurpatoren und damit meine Feinde.«
Ich habe ihn verloren, dachte Cressen verzweifelt. Wenn er sich nur auf irgendeine Weise unbemerkt Melisandre nähern könnte… er brauchte lediglich einen kurzen Augenblick bei ihrem Kelch.»Ihr seid der rechtmäßige Erbe Eures Bruders Robert, der wahre Lord der Sieben Königslande und König der Andalen, der Rhoynar und der Ersten Menschen«, sagte er,»und dennoch dürft Ihr ohne Verbündete nicht hoffen zu obsiegen.«
«Er hat einen Verbündeten«, hielt Lady Selyse dagegen.»R'hllor, den Herrn des Lichts, das Herz des Feuers, den Gott der Flamme und des Schattens.«
«Götter geben allenfalls unsichere Verbündete ab«, beharrte der alte Mann,»und dieser hat hier keine Macht.«
«Glaubt Ihr?«Der Rubin an Melisandres Hals glühte im Licht auf, als sie den Kopf wandte, und einen Moment lang schien er so hell zu leuchten wie der Komet.»Wenn Ihr solche Torheiten sprecht, solltet Ihr Eure Krone wieder aufsetzen.«
«Ja«, stimmte Lady Selyse zu,»Flickenfratz' Helm. Er steht Euch gut, alter Mann. Setzt ihn wieder auf, ich befehle es.«
«Unter dem Meer trägt niemand Hüte«, sagte Flickenfratz,»Ja, ja, ja, ha, ha, ha.«
Lord Stannis' Augen lagen im Schatten seiner schweren Brauen, er hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt, und sein Unterkiefer mahlte stumm. Er knirschte stets mit den Zähnen, wenn sich der Zorn seiner bemächtigt hatte.»Narr«, knurrte er schließlich,»meine Gemahlin hat es befohlen. Gib Cressen deinen Helm.«
Nein, dachte der alte Maester, das bist nicht du, nein, wahrlich nicht, du warst stets gerecht, stets hart, doch niemals grausam, und nie hast du dich auf Spott verstanden, genausowenig wie aufs Lachen.
Flickenfratz tanzte heran, seine Kuhglöckchen klingelten, klingeling, ding ding, klingeling, ding dong. Der Maester saß schweigend da, während der Narr ihm den gehörnten Eimer aufsetzte. Cressen neigte den Kopf ob des Gewichts. Die Glöckchen läuteten.»Vielleicht sollte er seine Ratschläge von nun an singend vortragen«, höhnte Lady Selyse.
«Ihr geht zu weit, Weib«, widersprach Lord Stannis.»Er ist ein alter Mann, und er hat mir gute Dienste geleistet.«
Ich werde Euch bis zum letzten Atemzug dienen, mein geliebter Lord, mein armer, einsamer Sohn, dachte Cressen, denn plötzlich sah er seine Chance. Ser Davos' Kelch stand vor ihm und war halb mit rotem Wein gefüllt. Cressen suchte einen Kristall in seinem Ärmel, hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und griff nach dem Kelch. Sicher und geschickt, ich darf es nicht verderben, betete er, und die Götter erbarmten sich seiner. Einen Herzschlag später war seine Hand leer. Seit Jahren hatte er sie nicht mehr so ruhig gehalten, so fließend bewegen können. Davos hatte es bemerkt, aber sonst niemand, dessen war er gewiß. Mit dem Becher in der Hand erhob er sich.»Womöglich war ich in der Tat ein Narr. Lady Melisandre, würdet Ihr einen Kelch Wein mit mir teilen? Einen
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