Cersei las den Brief ein zweites Mal.»Wie viele Männer habt Ihr mitgebracht?«
«Einige hundert. Überwiegend meine eigenen Leute. Vater wollte mir keine der seinen überlassen. Schließlich steht er mitten im Krieg.«
«Von welchem Nutzen werden uns ein paar hundert Mann sein, falls Renly auf die Stadt marschiert oder Stannis von Dragonstone übersetzt? Ich habe um eine Armee gebeten, und mein Vater schickt mir einen Zwerg. Der König ernennt die Hand in Übereinstimmung mit dem Rat. Joffrey hat unseren Hohen Vater ernannt.«
«Und unser Hoher Vater hat mich ernannt.«
«Das kann er nicht. Nicht ohne Joffs Zustimmung.«
«Lord Tywin befindet sich mit seinem Heer in Harrenhal, wenn Ihr diese Angelegenheit mit ihm besprechen wollt«, sagte Tyrion höflich.»Mylords, würdet Ihr mir vielleicht ein Wort unter vier Augen mit meiner Schwester gestatten?«
Varys erhob sich und lächelte auf seine salbungsvolle Art.»Wie Ihr Euch nach dem Klang der Stimme Eurer Schwester gesehnt haben müßt. Mylords, bitte, lassen wir ihnen ein paar Augenblicke. Die Kümmernisse unseres geschundenen Reiches werden solange warten können.«
Janos Slynt stand zögernd auf, Grand Maester Pycelle schwerfällig, immerhin jedoch erhoben sie sich. Littlefinger war der letzte.»Soll ich dem Haushofmeister sagen, er möge die Gemächer in Maegors Bergfried vorbereiten?«
«Besten Dank, Lord Petyr, aber ich werde mich in Lord
Starks früherer Unterkunft im Turm der Hand einrichten.«
Littlefinger lachte.»Ihr seid ein mutigerer Mann als ich, Lannister. Ist Euch das Schicksal der letzten zwei Hände bekannt?«
«Zwei? Wenn Ihr mich erschrecken wollt, warum sagt Ihr nicht vier?«
«Vier?«Littlefinger zog die Augenbrauen hoch.»Haben die Hände vor Lord Arryn ebenfalls ein unheilvolles Ende in dem Turm genommen? Ich fürchte, ich war zu jung, um dem viel Beachtung zu schenken.«
«Aerys Targaryens letzte Hand wurde während der Plünderung von King's Landing getötet, wenngleich ich auch bezweifle, daß ihm überhaupt Zeit blieb, sich im Turm einzuleben. Er war nur vierzehn Tage lang Hand. Sein Vorgänger wurde bei lebendigem Leibe verbrannt. Und die beiden vor ihnen starben ohne Land und ohne Geld in der Verbannung, und sie durften sich noch glücklich schätzen. Ich glaube, mein Hoher Vater war seit langem die einzige Hand, die King's Landing mit Namen, Lehen und heiler Haut verließ.«
«Faszinierend«, erwiderte Littlefinger.»Und ein Grund mehr, weshalb ich mein Lager im Kerker aufschlagen würde.«
Vielleicht werdet Ihr Euch das noch wünschen, dachte Tyrion, doch er sagte:»Mut und Torheit sind Vettern, jedenfalls habe ich das gehört. Welcher Fluch auch auf dem Turm der Hand liegen mag, ich bete darum, daß ich klein genug bin, ihm zu entschlüpfen.«
Janos Slynt lachte, Littlefinger lächelte, und Grand Maester Pycelle folgte ihnen hinaus und verneigte sich tief.
«Ich hoffe, Vater hat dich nicht den ganzen Weg hergeschickt, um uns mit Geschichtslektionen zu plagen«, sagte seine Schwester, als sie allein waren.
«Wie ich mich nach dem Klang deiner süßen Stimme gesehnt habe«, seufzte Tyrion.
«Wie ich mich danach sehne, diesem Eunuchen die Zunge mit glühenden Zangen herausreißen zu lassen«, gab Cersei zurück.»Hat Vater den Verstand verloren? Oder hast du den Brief gefälscht?«Sie las ihn erneut, und dabei steigerte sich ihr Ärger noch.»Warum hat er mich mir dir gestraft? Ich wollte, daß er selbst kommt. «Sie zerknüllte Lord Tywins Schreiben.»Ich bin Joffreys Regentin, und ich habe ihm einen königlichen Befehl geschickt!«
«Und er hat ihn ignoriert«, meinte Tyrion.»Er hat eine ziemlich große Armee und kann sich das leisten. Und er ist auch nicht der erste. Oder?«
Cersei preßte die Lippen aufeinander. Er sah die Röte, die in ihrem Gesicht aufstieg.»Wenn ich diesen Brief als Fälschung bezeichne und ihnen sage, sie sollten dich in den Kerker werfen, wird das niemand ignorieren, soviel kann ich dir versprechen.«
Er wandelte auf dünnem Eis, das war Tyrion durchaus bewußt. Ein falscher Schritt, und er würde einbrechen.»Niemand«, stimmte er freundlich zu,»und am wenigsten unser Vater. Der mit der Armee. Aber warum willst du mich in die Verliese bringen lassen, liebe Schwester, wo ich doch den ganzen weiten Weg gemacht habe, um dir zu helfen?«
«Ich habe nicht um deine Hilfe gebeten, sondern Vater befohlen, herzukommen.«
«Ja«, sagte er leise,»aber eigentlich wolltest du Jaime.«
Seine Schwester lächelte schwach, aber er war mit ihr aufgewachsen, und ihr Gesicht war für ihn ein offenes Buch, und was es ihm nur verkündete waren Zorn, Angst und Verzweiflung.»Jaime — «
«- ist genauso mein Bruder wie deiner«, unterbrach Tyrion sie.»Unterstütze mich, und ich verspreche dir, wir werden
Jaime unverletzt befreien.«
«Und wie?«verlangte Cersei zu wissen.»Der junge Stark und seine Mutter werden wohl kaum vergessen, daß wir Lord Eddard geköpft haben.«
«Das ist wahr«, stimmte Tyrion zu,»aber immerhin hältst du noch seine Töchter bei dir fest, nicht wahr? Das ältere Mädchen habe ich draußen bei Joffrey im Hof gesehen.«
«Sansa«, sagte die Königin.»Ich habe zwar verlauten lassen, daß ich das jüngere Balg ebenfalls in meiner Gewalt habe, nur war das eine Lüge. Ich habe Meryn Trant geschickt, um sie zu ergreifen, als Robert starb, aber ihr verfluchter Tanzmeister hat sich eingemischt, und sie konnte fliehen. Seitdem hat sie niemand mehr zu Gesicht bekommen. Vermutlich ist sie tot. An jenem Tag haben viele, viele Menschen ihr Leben gelassen.«
Tyrion hatte sich beide Mädchen der Starks erhofft, dennoch ging er davon aus, eins würde genügen.»Berichte mir über unsere Freunde im Rat.«
Seine Schwester blickte zur Tür.»Was ist mit ihnen?«
«Vater scheint sie nicht besonders zu mögen. Als ich ihn verließ, fragte er sich, wie sich ihre Köpfe wohl neben dem von Lord Stark auf der Mauer machen würden. «Er beugte sich über den Tisch.»Bist du dir ihrer Loyalität sicher? Vertraust du ihnen?«
«Ich vertraue niemandem«, fauchte Cersei.»Ich brauche sie. Glaubt Vater, sie würden ein falsches Spiel mit uns treiben?«
«Er hegt eher einen gewissen Verdacht.«
«Warum? Was weiß er?«
Tyrion zuckte mit den Schultern.»Er weiß, daß die kurze Herrschaft deines Sohnes eine einzige Folge von Torheiten und Katastrophen war. Aus diesem Grund nimmt er an, jemand würde Joffrey schlechtberaten.«
Cersei blickte ihn forschend an.»Joff mangelt es nicht an gutem Rat. Er war schon immer sehr eigenwillig. Jetzt, da er König ist, glaubt er, das tun zu müssen, was er will, und nicht das, was man ihm sagt.«
«Kronen stellen seltsame Dinge mit den Köpfen darunter an«, pflichtete Tyrion bei.»Diese Angelegenheit mit Eddard Stark… War das Joffreys Werk?«
Die Königin schnitt eine Grimasse.»Man hat ihn angewiesen, Stark zu begnadigen und ihm anzubieten, das Schwarz anzulegen. Der Mann wäre uns auf diese Weise für immer aus dem Weg gewesen, und wir hätten uns mit seinem Sohn friedlich einigen können; Joff hingegen hat entschieden, dem Pöbel eine bessere Vorstellung zu bieten. Was hätte ich tun sollen? Er hat vor der halben Stadt Lord Eddards Tod gefordert. Und Janos Slynt und Ser Ilyn schritten unbekümmert zur Tat und haben den Mann einen Kopf kürzer gemacht, ohne mich zu Rate zu ziehen!«Sie ballte die Hand zur Faust.»Der Hohe Septon behauptet, wir hätten Baelors Septe mit Blut besudelt, nachdem wir ihn über unsere wahren Absichten belogen hätten.«
«Da hat er meines Erachtens durchaus recht«, antwortete Tyrion.»Und dieser Lord Slynt, hat sich also daran beteiligt. Sag mir, wessen erlauchte Idee war es, ihm Harrenhal zu geben und ihn in den Rat zu berufen?«
«Um diese Dinge hat sich Littlefinger gekümmert. Wir brauchten Slynts Goldröcke. Eddard Stark hat ein Komplott mit Renly geschmiedet, und er hatte auch Lord Stannis geschrieben und ihm den Thron angeboten. Wir hätten möglicherweise alles verloren. Und dennoch sind wir dem Unheil nur knapp entgangen. Wäre Sansa nicht zu mir gekommen und hätte mir die Pläne ihres Vaters offenbart…«
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