Während das Pony des Prinzen gesattelt wurde, stellte man am gegenüberliegenden Ende der Bahn die Stechpuppe auf. Tommens Gegner war ein Lederkrieger von der Größe eines Kindes, der mit Stroh ausgestopft war, auf einem drehbaren Zapfen saß und in der einen Hand einen Schild und in der anderen eine gepolsterte Keule hielt. Jemand hatte ihm ein Geweih am Kopf befestigt. Joffreys Vater, König Robert, hatte ein Geweih an seinem Helm getragen, erinnerte sich Sansa… aber ebenso sein Onkel Lord Renly, Roberts Bruder, der Hochverräter, der sich selbst zum König gekrönt hatte.
Zwei Knappen schnallten dem Prinzen die verzierte silberne und purpurrote Rüstung an. Ein hoher Federbusch wuchs aus der Spitze des Helms, und auf dem Schild tummelten sich der Löwe der Lannisters und der gekrönte Hirsch des Hauses Baratheon. Die Knappen halfen Tommen beim Aufsteigen, und Ser Aron Santagar, der Waffenmeister des Red Keep, trat vor und reichte ihm ein stumpfes, silbernes Langschwert mit blattförmiger Klinge in der Größe, die eine achtjährige Hand halten konnte.
Tommen hob das Schwert.»Casterly Rock!«rief er mit seiner schrillen Knabenstimme, gab dem Pony die Sporen und ritt über die gestampfte Erde auf die Stechpuppe zu. Lady Tanda und Lord Gyles stimmten schwachen Jubel an, und Sansa fiel in ihre Anfeuerungen mit ein. Der König brütete schweigend vor sich hin.
Tommen brachte sein Pony zum flotten Trab, fuchtelte heftig mit dem Schwert und versetzte dem Schild des Ritters im Vorbeireiten einen kräftigen Hieb. Die Stechpuppe drehte sich, die gepolsterte Keule schwang herum und traf den Prinzen hart am Hinterkopf. Tommen flog aus dem Sattel, und seine neue Rüstung klapperte wie ein Sack voll alter Töpfe, als er auf dem Boden landete. Das Schwert fiel ihm aus der Hand, das Pony rannte durch den Burghof, und sofort erhob sich spöttisches Geschrei. König Joffrey lachte am längsten und lautesten.
«Oh!«rief Prinzessin Myrcella. Sie kletterte aus der Loge und lief zu ihrem kleinen Bruder hinunter.
Sansa verspürte in ihrer Ausgelassenheit plötzlich eigentümlichen Mut.»Ihr solltet sie begleiten«, sagte sie zum
König.»Euer Bruder könnte verletzt sein.«
Joffrey zuckte mit den Schultern.»Und wenn schon?«
«Ihr könntet ihm aufhelfen und ihm sagen, wie gut er geritten ist. «Sansa vermochte ihre Zunge nicht im Zaum zu halten.
«Er ist vom Pferd geworfen worden und im Dreck gelandet«, wandte der König ein.»Das verstehe ich nicht gerade unter >gut gerittene.«
«Seht«, unterbrach ihn der Bluthund.»Der Junge hat Mut. Er versucht es noch einmal.«
Sie halfen Prinz Tommen, abermals aufzusteigen. Wenn doch nur Tommen an Joffreys Statt der Ältere wäre, dachte Sansa. Ihn würde ich gern heiraten.
In diesem Augenblick wurden sie von dem Lärm überrascht, der vom Torhaus herüberhallte. Ketten rasselten, als das Fallgitter hochgezogen wurde, und unter dem Quietschen der eisernen Angeln öffnete sich das Tor.»Wer hat ihnen erlaubt, das Tor zu öffnen?«wollte Joff wissen. Angesichts der Unruhen in der Stadt waren die Tore des Red Keep seit Tagen geschlossen.
Eine Kolonne Reiter kam, vom Hufschlag und stählernem Klirren begleitet, unter dem Fallgatter hervor. Clegane trat dicht an den König heran und legte eine Hand auf den Griff seines Langschwerts. Die Besucher waren reichlich mitgenommen, ausgezehrt und staubig, und dennoch trugen sie als Standarte den Löwen der Lannisters — golden prangte er auf purpurrotem Feld. Einige waren in rote Umhänge gekleidet und hatten Kettenhemden angelegt, wie sie bei den Soldaten der Lannisters üblich waren, doch die meisten waren freie Ritter und Söldner, deren Rüstungen aus Einzelstücken bestanden und die von scharfem Stahl starrten… und dann waren da noch andere, riesige Wilde aus den Ammenmärchen, die Bran so gern gehört hatte. Diese Männer trugen schäbige Felle und gegerbtes Leder, langes Haar und verfilzte Barte. Manche hatten den Kopf oder die Hände mit blutgefleckten Verbänden verbunden, während anderen Augen, Ohren oder Finger fehlten.
In ihrer Mitte ritt auf einem großen Rotfuchs in einem eigentümlich hohen Sattel, der ihn von vorn bis hinten umschloß, der zwergenwüchsige Bruder der Königin, Tyrion Lannister, den man überall den Gnom nannte. Er hatte sich den Bart stehen lassen, um sein eingedrücktes Gesicht zu verhüllen, der zu einem gelben und schwarzen Wirrwarr aus drahtigen Haaren herangewachsen war. Über seinen Rücken hing ein Mantel aus schwarzem Pelz, der mit weißen Streifen durchsetzt war. Er hielt die Zügel in der Linken und trug den rechten Arm in einer weißen Schlinge, ansonsten wirkte er noch immer so grotesk, wie Sansa ihn von seinem Besuch auf Winterfell in Erinnerung hatte. Seine vorgewölbte Stirn und seine ungleichen Augen machten ihn zu dem häßlichsten Mann, den sie je gesehen hatte.
Tommen gab seinem Pony trotzdem die Sporen und galoppierte unter Freudengeschrei über den Hof. Einer der Wilden, ein großer, ungeschlachter Mann, dessen Gesicht so behaart war, das die untere Hälfte vollständig hinter dem Bart verschwand, packte den Jungen, riß ihn aus dem Sattel und stellte ihn neben seinem Onkel auf den Boden. Tommens atemloses Lachen hallte von den Mauern wider, und Tyrion klopfte ihm auf die gepanzerten Schultern. Überrascht sah Sansa, daß die beiden gleich groß waren. Myrcella rannte ihrem Bruder hinterher, und der Zwerg hob sie in die Höhe und wirbelte das kreischende Mädchen im Kreis.
Nachdem der kleine Mann sie wieder abgesetzt hatte, drückte er ihr einen sanften Kuß auf die Stirn und watschelte über den Hof auf Joffrey zu. Zwei seiner Männer folgten ihm dichtauf — ein schwarzhaariger, schwarzäugiger Söldner mit katzenhaften Bewegungen und ein hagerer junger Mann mit einer leeren Augenhöhle. Tommen und Myrcella trotteten hinter ihnen her.
Der Zwerg beugte ein Knie vor dem König.»Euer Gnaden.«
«Ihr«, sagte Joffrey.
«Ich«, bestätigte der Gnom,»obwohl ein höflicherer Gruß angebracht wäre, wo ich doch zum einen Euer Onkel und zum anderen der Ältere bin.«
«Man sagte, Ihr wäret tot«, warf der Bluthund ein.
Der kleine Mann warf dem Größeren einen Blick zu. Eines seiner Augen war grün, das andere schwarz, aber beide hatten dieselbe Kälte gemeinsam.»Ich habe mit dem König geredet, nicht mit seinem Köter.«
«Ich bin froh, daß Ihr nicht tot seid«, verkündete Prinzessin Myrcella.
«Darin sind wir uns gewiß einig, süßes Kind. «Tyrion wandte sich an Sansa.»Mylady, mein Beileid angesichts Eurer schweren Verluste. Den Göttern mangelt es wahrlich nicht an Grausamkeit.«
Sansa fiel keine Erwiderung ein. Wie konnten ihm ihre Verluste leid tun? Verspottete er sie? Nicht die Götter waren grausam, sondern Joffrey.
«Und mein Beileid gilt auch Euch, Joffrey«, fügte der Zwerg hinzu.»Wofür?«
«Für den Verlust Eures königlichen Vaters; ein großer ungestümer Mann mit schwarzem Bart; Ihr werdet Euch an ihn erinnern, wenn Ihr es nur versucht. Er war König vor Euch.«»Ach, er. Ja, sehr traurig. Ein Keiler hat ihn getötet.«»Haben >sie< Euch das erzählt, Euer Gnaden?«Joffrey runzelte die Stirn. Sansa spürte, daß sie etwas sagen sollte. Was hatte Septa Mordane ihr stets eingebleut? Die Rüstung einer Dame ist die Höflichkeit, ja. Sie legte ihren Harnisch an.»Meine Hohe Mutter hat Euch gefangengenommen, und das tut mir leid,
Mylord.«
«Das tut vielen, vielen Leuten leid«, erwiderte Tyrion,»und bevor es mit mir vorbei sein wird, könnte es einigen noch viel, viel mehr leid tun… Dennoch möchte ich Euch meinen Dank für Euer Mitgefühl aussprechen. Joffrey, wo finde ich Eure Mutter?«
«Sie tagt mit meinem Rat«, antwortete der König.»Euer Bruder Jaime verliert eine Schlacht nach der anderen. «Er warf Sansa einen wütenden Blick zu, als sei dies ihre Schuld.»Er ist von den Starks gefangengenommen worden, wir haben Riverrun verloren, und jetzt nennt sich ihr dummer Bruder König.«
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