man wie vom Donner gerührt stehenblieb und den Glassarg und die schwarze Katze anstarrte. »Was ist geschehen?« fragte Singh noch einmal. Dann bemerkte er Mikes blutende Hand und fuhr erschrocken zusammen. »Ihr seid verletzt, Herr!« Er wollte nach Mikes Hand greifen, aber Mike zog den Arm hastig zurück und verbarg die Hand wieder unter der Achselhöhle. Er war verletzt - aber wenn er ehrlich war, dann hauptsächlich in seinem Stolz. »Schon gut«, sagte er. »Ein Kratzer. Nicht mehr.« Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, war Singh in diesem Punkt entschieden anderer Meinung. Aber er kam nicht dazu, eine entsprechende Bemerkung zu machen, denn Trautman berührte ihn am Arm und deutete auf den gläsernen Sarg, und der Anblick schlug selbst den normalerweise durch nichts zu beeindruckenden Sikh in seinen Bann. »Unglaublich!« flüsterte Trautman. »Ich habe es entdeckt«, sagte Mike. »Das Mädchen muß schon seit einer Ewigkeit hier liegen. Passen Sie auf!« fügte er erschrocken hinzu, als Trautman einen Schritt auf den Sarg zu tat. »Dieses Mistvieh wird rabiat, wenn man ihm zu nahe kommt.« Die Katze miaute zur Antwort, hörte auf, mit dem Schwanz zu wedeln, zog die Krallen ein und begann zu schnurren. Trautman bewegte sich vorsichtig weiter. Unschuldig blickte ihn das Tier an, leckte eine seiner Pfoten und schnurrte dabei, als könnte es kein Wässerchen trüben. »Ja, das ist ein richtiges Ungeheuer«, sagte Trautman belustigt. Er trat an den Glassarg heran, nahm die Katze mit beiden Händen hoch und betrachtete sie eingehend, ehe er sie behutsam wieder absetzte. »Es ist übrigens ein Kater. Das erklärt alles. Sei froh, daß er dir nicht den Arm abgerissen hat.«
Mike blieb weder das Glitzern in Trautmans Augen noch der spöttische Klang seiner Stimme verborgen, aber er zog es vor, nicht darauf zu reagieren. Für heute hatte er sich eigentlich genug blamiert. Feindselig musterte er den Kater und trat an Trautmans Seite, hütete sich aber, dem Sarg zu nahe zu kommen. »Es sieht fast so aus, als ob er sie bewache«, sagte Singh leise. Mike blickte auf seine Hand herab: »Hm.« »Wer mag sie gewesen sein?« murmelte Trautman. »Das ... das war ein Kind.« Er sah kurz zu Mike. »Keinesfalls älter als du. Wahrscheinlich sogar jünger. Das ist unglaublich.« »Vielleicht ist das Ganze hier nichts anderes als ein riesiges Grabmal«, sagte Mike. »Möglich.« Trautman überlegte. »Die Pyramiden haben auch keine andere Aufgabe, als Tote zu bewahren.« »Wenn sie tot ist«, hörte Mike sichzu seiner eigenen Überraschung sagen. Trautman schüttelte heftig den Kopf. »Deine Phantasie geht mit dir durch, junger Mann«, sagte er. »Sie atmet nicht, ist dir das schon aufgefallen? Möglicherweise ist siedie einzige Überlebende von Atlantis.« Er zuckte die Schultern. »Auf jeden Fall ist sie tot. Wir können uns später noch den Kopf darüber zerbrechen, wer sie war, und wie sie hierhergekommen ist. Jetzt sollten wir zum Schiff zurückkehren.« Er deutete zum Ausgang. »Ich habe zur Abwechslung eine gute Nachricht. Singh hat einen Lagerraum voller Preßluftflaschen entdeckt. Das erspart uns eine Menge Arbeit.« »Wieso?« »Weil wir so das eingedrungene Wasser nicht mühsam aus der NAUTILUS herauspumpen müssen«, antwortete Trautman. »Singh und ich werden den Riß
schweißen. Wenn es uns gelingt, die Flaschen anzuschließen, können wir das Wasser einfach aus dem Schiff herausblasen. Also los - gehen wir, ehe die anderen anfangen, sich Sorgen zu machen.« Mike drehte sich widerwillig herum, um den Raum zu verlassen. Niemals hätte er es laut zugegeben -aber es fiel ihm sonderbar schwer, das Mädchen zurückzulassen. Er kam sich vor, als ließe er sie im Stich. Der Kater miaute kläglich. Mike bedachte ihn mit einem letzten, finsteren Blick und wandte sich endgültig zum Gehen, blieb dann aber unter der Tür noch einmal stehen. Der Kater folgte ihnen nicht, sondern blieb auf dem gläsernen Sarg sitzen; fast, als hätte Trautman mit seiner scherzhaften Bemerkung recht gehabt, und er bewachte das tote Mädchen tatsächlich. Aber er sah ihnen so mitleiderregend nach, daß Mike ihm nicht mehr böse sein konnte. »Wir kommen zurück«, versprach er. »Und dann werden wir eine Möglichkeit finden, dich mitzunehmen.« Die Antwort war ein langgezogener, schier herzzerreißender Laut - und etwas, was Mike mehr irritierte als alles, was sie bisher gesehen und erlebt hatten. Während sie die Kuppel verließen und zur NAUTILUS zurückgingen, zerbrach er sich die ganze Zeit den Kopf über die Frage, ob er den Kater tatsächlich hatte lächeln sehen. Natürlich war das unmöglich. Schließlich können Katzen nicht lächeln, ebensowenig wie Hunde oder andere Tiere. Er mußte sich getäuscht haben. Aber ganz sicher war er nicht.
Trautman hatte recht gehabt - die anderen waren in Sorge, als sie zurückkamen. Sie waren weit länger als eine Stunde draußen gewesen, viel länger, als ihr mitgenommener Sauerstoffvorrat eigentlich reichte.
Die Erleichterung, Trautman, ihn und den Inder lebend und unversehrt wiederzusehen, wich rasch ungläubigem Staunen, als sie von ihrer Entdeckung berichteten - und dann dem Wunsch, sofort zur Kuppel zu gehen. Aber Trautman winkte ab. Er erklärte, daß oben über dem Meer mittlerweile längst die Sonne untergegangen sein mußte und es auch für sie an der Zeit wäre, sich schlafen zu legen. Am nächsten Morgen würden sie ihre erste richtige Expedition zur Unterwasserkuppel vorbereiten - und vor allem überlegen, wie sie die schweren Preßluftflaschen in ausreichender Menge zur NAUTILUS herüberschaffen konnten. Alle waren enttäuscht, Mike eingeschlossen. Aber er sah auch ein, daß es so besser war. Der nächste Tag würde anstrengend werden. Sie würden jedes bißchen Kraft brauchen. Sie hatten jetzt schon eine der großen Stahlflaschen mitgebracht, und obwohl ihnen das Wasser geholfen hatte, mit dem enormen Gewicht fertig zu werden, hatte es ihre Kräfte fast überstiegen. Selbst allen drei zusammen war es kaum gelungen, die Stahlflasche durch die Tauchkammer und dann die schmale Treppe zu den oberen Lagerräumen hinaufzuschaffen. Nach und nach zogen sich alle in ihre Kabinen zurück. Auch Mike wollte das tun, überlegte es sich aber dann und ging noch einmal in den oberen Teil des Schiffes, wo Singh und Trautman mit der Preßluftflasche hantierten. »Klappt es?« fragte Mike, während er hinter den beiden stehenblieb, die über die Stahlflasche gebeugt
dahockten. Trautman sah nicht besonders begeistert drein. »Ich bin nicht sicher«, antwortete er. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf das stählerne Schott, vor dem sie
knieten. Die gepanzerte Tür hatte sich bei dem Wassereinbruch automatisch geschlossen. Sie gehörte zu einem ausgeklügelten System, das im Falle eines Lecks verhindern sollte, daß die NAUTILUS ganz mit Wasser vollief, und das - wie er ja mit eigenen Augen sah - auch zuverlässig funktionierte. Wogegen keine Automatik der Welt etwas hätte tun können, waren die fünfzig- oder auch hunderttausend Liter Wasser, die in den Raum hinter der geschlossenen Tür eingedrungen waren und das Schiff wie ein Betongewicht am Meeresgrund festnagelten. Trautman wies auf einen runden, kompliziert aussehenden Verschluß neben der Tür. »Die Anschlüsse passen nicht«, sagte er. »Ich hatte gehofft, die Preßluftflaschen einfach anschließen zu können, um das Wasser kurzerhand aus dem Schiff zu pusten, aber die Ventile passen nicht genau aufeinander.« »Also doch pumpen?« fragte Mike. Trautman hob die Schultern. »Das kann Tage dauern«, sagte er. »Hast du eine Vorstellung, wie viel Arbeit es bedeutet, etliche zehntausend Liter Wasser aus dem Schiff zu pumpen?« »Wenn wir alle mithelfen -« »Darum geht es nicht«, unterbrach ihn Trautman. »Ich bin nicht sicher, daß uns genug Zeit bleibt.« Er deutete zur Decke hinauf. »Vergiß nicht auf Winterfeld. Früher oder später werden sie hier herunterkom
Читать дальше